Der Journalist kann schreiben, so viel er will, er schreibt, wie der Name schon sagt, für den Tag und ist dann schon wieder vergessen. Nur wenigen ist der Einfluss, den sie gern hätten, tatsächlich vergönnt. Konrad Adenauer fürchtete die Leitartikel des FAZ-Herausgebers Paul Sethe so sehr, dass er seine Entlassung erzwang. Adenauers politischer Enkel Helmut Kohl ließ sich von einem der Nachfolger Sethes zur diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens drängen, und mit dem Bundesstaat Jugoslawien war es aus. Das war das Werk von Johann Georg Reißmüller, der am Montag im Alter von 86 Jahren verstorbene langjährige Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Reißmüller kannte die Region, er war von 1967 bis 1971 Korrespondent in Belgrad gewesen. Noch viel mehr aber prägte ihn seine Jugend in der frühen DDR. Von dort nahm er bei der Flucht in den Westen 1950 einen glühenden Antikommunismus mit, mit dem er großzügig auch die vorübergehend in Bonn regierenden Sozialdemokraten bedachte.
Der gefürchtete Reißmüller verfügte über einen schönen Bariton, wäre vielleicht auch gern Sänger geworden, hatte aber dann Jura studiert und wurde bei der Frankfurter Allgemeinen im Hauptberuf Kommunistenfresser. Doch nie hat er vergessen, was er in der kommunistischen Jugendorganisation FDJ gelernt hatte. Die alten Kampflieder sang er bei seinem Abschied 1999 mit solcher Inbrunst, dass er seine Kollegen bei der FAZ fast zu Tode erschreckte. Beim legendären Versand Zweitausendeins war man klüger und nahm sogleich eine Platte mit ihm auf ("Uns gefällt diese Welt"), die sich - sofern bei Ebay greifbar - hervorragend als Weihnachtsgeschenk eignet.
Die Universität Zagreb hat Reißmüller für seine Verdienste um die Unabhängigkeit Kroatiens einen Ehrendoktor verliehen. Doch wenn der Streit um die Ostpolitik von Willy Brandt ebenso vergessen sein wird wie der jugoslawische Bürgerkrieg, wird man sich noch immer an Johann Georg Reißmüllers bleibenden Verdienst erinnern: Er holte die beiden begnadeten Zeichner Achim Greser und Heribert Lenz in den Politikteil der FAZ. Was also bleibt? Das bleibt.