Nachruf:"Eine Bombe in jeder Ausgabe"

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Kein Journalisten-Darsteller, sondern einfach ein Typ: Warren Hinckle (rechts), hier bei einem Ortstermin in San Francisco. (Foto: Corbis Documentary/Getty Images)

Der Journalist Warren Hinckle machte sich mit keiner Sache gemein, außer einer guten.

Von WILLI WINKLER

Warren Hinckle hat wahrscheinlich mehr Zeitschriften versenkt als ein handelsüblicher Pirat Segelschiffe. Ein Pirat war er auch, denn seit einem Unfall als Kind trug er eine kleidsame Augenklappe, die ihn zusammen mit einem dreiteiligen Anzug und hochseetauglichen Lackschuhen nicht etwa zum Journalistendarsteller, sondern zum genialen Blattmacher werden ließ. Am liebsten hockte er in einer Bar, schrieb dort nach höchsteigenem Ermessen, trank die Vorräte weg und lieferte knapp vor, gern auch nach Redaktionsschluss seine Texte ab. Er lebte ausschließlich für seine jeweilige Zeitung und grundsätzlich vom Geld fremder Leute. Vor der Langeweile graute ihm; am liebsten hatte er, wie die Konkurrenten von Time seinen Stil beschrieben, "eine Bombe in jeder Ausgabe".

Die Bombe war dem 1938 als Sohn eines Hafenarbeiters geborenen Katholiken nicht in die Wiege gelegt. Noch als Erwachsener besuchte er regelmäßig die Messe, und die Universität schloss er ordnungsgemäß als Philosoph ab. Dabei blieb er der aufrechte Katholik, für den sich die Welt in Gut und Böse teilte.

Der Konvertit Edward Keating bestellte ihn 1962 zum PR-Agenten seines katholischen Debattenblättchens Ramparts , feuerte ihn wegen seiner unlauteren Geschäftsideen gleich wieder und holte ihn sofort als Chefredakteur zurück. In den ersten Ausgaben wurde noch der Untergang des christlichen Glaubens in Gestalt von J. D. Salingers "Fänger im Roggen" oder den verderblichen Dramen von Tennessee Williams angeprangert, doch die Kulturrevolution erreichte auch diese katholische Bastion.

Für eine einzige Pressekonferenz warf Hinckle 50 000 Dollar aus dem Fenster, doch mit einem alle korrumpierenden Büffet in einem New Yorker Hotel gewann er 1964 die gesamte Presse für Rolf Hochhuths umstrittenes Anti-Papst-Stück "Der Stellvertreter". Ramparts, dieses katholische Grüblermagazin, verwandelte sich unter Hinckles Führung in ein ausgefuchstes Kampagnenblatt, das von der Konkurrenz bald um seinen Spiritus Anstifter beneidet wurde. Ramparts prangerte die soziale Ungleichheit an, kümmerte sich früh um die Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten und kritisierte lang vor der regierungsfreundlichen Presse an der Ostküste den amerikanischen Einsatz in Vietnam. Als ein Rekrut im Blatt detailliert schilderte, wie amerikanische Soldaten zum Foltern ihrer gefangenen Gegner ausgebildet wurden, schritt die CIA ein. Die Ramparts-Redaktion reagierte sofort und brachte die Wehrdienstverweigerung auf den Titel: vier Hände mit Einberufungsbefehlen, theatralisch in Brand gesteckt. Prompt kamen Hinckle und drei weitere Redakteure vor Gericht, wo sie aber nachwiesen, dass sie sich für das Shooting fremder Hände bedient hatten.

1968 enthüllte Ramparts, dass sich fast die gesamte intellektuelle Elite von Hannah Arendt bis Ignazio Silone im Namen der Freiheit und der westlichen Werte von der CIA hatte kaufen lassen. Vom katholischen Fundamentalismus der Anfangszeit war bestenfalls ein kritischer Hausbesuch beim Playboy-Verleger Hugh Hefner geblieben, stilecht mit Ausklappbild: statt der Dreiviertelnackten zeigte es den Pfeife rauchenden Hefner.

Zu den weniger erfreulichen Seiten gehört, dass das Magazin eine Weile als Verlautbarungsorgan der Black Panthers fungierte, die ästhetisch so ansprechenden fotografiert waren, dass sie sogar die sich sammelnde RAF beeinflussten.

Nach dem Ersten Hinckle'schen Gesetz konnte sich dieser leidenschaftliche Journalist mit keiner Sache gemein machen, außer mit einer guten, die aber dafür für Aufsehen sorgen musste. Das kostete Geld. Zwar konnte er die Auflage von Ramparts innerhalb von sechs Jahren bis auf 250 000 verhundertfachen, die ständig umworbenen Geldgeber erlebten aber nie einen Gewinn.

Hinckle verließ Ramparts auf dem Höhepunkt seines Erfolges, schloss sich dem Monatsmagazin Scanlan an, wo er einen anderen Irren förderte, den Gonzo-Journalisten Hunter W. Thompson. Danach verschwendete er Geld bei einem Magazin, das Francis Ford Coppola gegründet hatte, und arbeitete zuletzt vor allem als Kolumnist für die Zeitungen in San Francisco. Dazwischen strebte er, wie es sich gehört für bunte Vögel, nach einem öffentlichen Amt und wollte Bürgermeister von San Francisco werden: der Misserfolg gab ihm Recht.

Am Donnerstag ist Warren Hinckle, dieser letzte Rote Korsar des Journalismus, im Alter von 77 Jahren in San Francisco gestorben.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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