Mediendialog in Shanghai:"Sie haben ja wirklich miteinander geredet"

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Keine neuen Positionen, aber erklärende Einblicke: In Shanghai diskutieren deutsche und chinesische Journalisten miteinander.

Hans Werner Kilz

Der Journalist Bai Yansong moderiert allabendlich im chinesischen Staatsfernsehen CCTV das Programm "Dongfang Shikong", was so viel wie "Östliche Zeit" bedeutet. Er fährt ein deutsches Auto, hört gern klassische deutsche Musik und schwärmt von der Ossi-Komödie Good Bye, Lenin!, einem deutschen Kinofilm, der in ganz China zu sehen war: "Da haben auch wir uns sehr amüsiert."

Staatlich gelenkt: die chinesische Ausgabe der Global Times. (Foto: ag.ap)

Bai ist mit seiner täglichen Sendung der berühmteste Nachrichtenkommentator Chinas. Die Frage, wie viele Zuschauer er täglich habe, beantwortet er mit einer Gegenfrage:"Wie viel Einwohner hat Deutschland?"- "80 Millionen." - "Da habe ich mehr."

Bai gehörte zu einer Delegation chinesischer Journalisten, die zwei Tage lang in Shanghai so etwas wie einen deutsch-chinesischen Mediendialog versuchten. Um zu hohen Erwartungen vorzubeugen, zitierte er gleich zu Beginn einen Philosophen, einen deutschen, von dem die Chinesen nach wie vor mehr halten als die Deutschen selber: "Man soll nicht erwarten, dass Rosen und Tulpen den gleichen Duft haben" - sagte einst Karl Marx.

"Versinken Sie nicht in eine Selbstverherrlichung"

Ein Thema wie die Pressefreiheit, so Bai, sei eben in beiden Ländern sehr unterschiedlich zu bewerten. Auch für die Chinesen, assistierte der Gastgeber Hu Xijin, der Chefredakteur der englischsprachigen, staatlich gelenkten Tageszeitung Global Times, habe die Pressefreiheit einen "hohen moralischen Wert". Im Alltagsleben Chinas gebe es "mehr Freiheit", als die westlichen Medien berichteten. Auch "unkorrekte Meinungen" würden nicht gleich sanktioniert, aber die Freiheit der Meinung sei mit einem "schnellen Pferd" zu vergleichen, und das müsse gezügelt werden.

"Versinken Sie nicht in eine Selbstverherrlichung", appellierte Hu an das Dutzend leitende Redakteure aus Deutschland, die auf Einladung der Robert Bosch Stiftung gekommen waren. "Wenn Sie einen Gokart fahren können, sind Sie noch lange nicht in der Lage, uns zu lehren, wie man einen Lkw steuert." Was, auf chinesische Verhältnisse übertragen, bedeuten sollte, bei einem Volk von 1,3 Milliarden Menschen sei Pressefreiheit viel gefährlicher als bei lediglich 80 Millionen. In China, erläuterte Hu seine skeptische Haltung, lebten Millionen Analphabeten, die nähmen viel zu ernst, was in der Presse steht, das könne "wie eine Atombombe" wirken.

Es ging durchaus explosiv zu an den beiden Tagen in Shanghai. Selbst Bundespräsident Horst Köhler, der aus Anlass seines Expo-Besuches auch anderthalb Stunden mit den deutschen und chinesischen Journalisten über die Konferenzergebnisse diskutierte, war erstaunt: "Sie haben ja wirklich miteinander geredet." Köhler hatte auf seiner letzten Auslandsreise als Staatsoberhaupt die Themen Pressefreiheit und Menschenrechte offen angesprochen, aber auch Verständnis dafür gezeigt, dass sich China mit seinem Milliardenvolk vor sozialen Spannungen fürchtet und deshalb "die absolute Meinungsfreiheit nicht oberste Priorität hat".

Miteinander geredet ja, aber auch aneinander vorbei. Wie auch anders, wenn Herr Hu den Dalai Lama mit Osama bin Laden vergleicht: "Beide sind Separatisten und Terroristen." Nun zeigten sich die Deutschen in der Runde auch nicht alle begeistert von den Welttourneen des pazifistischen Popstars der Buddhisten, und Ingrid Hamm, die Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung, versuchte mit dem Hinweis zu beschwichtigen, die staatliche Souveränität genieße in China eben höchste Priorität. Wir Deutschen, empfahl Zhao Zhongying, die Vize-Chefredakteurin von China National Radio, sollten "lieber vor der eigenen Tür kehren". China, ergänzte Bai, habe durchaus "sehr viele Missstände", aber die deutschen Medien berichteten zu selten über positive Entwicklungen.

Das mag sein, zumal nur jeder dritte Deutsche ein positives China-Bild hat, während 80 Prozent der Chinesen von Deutschland in den höchsten Tönen reden. Es liegt aber vielleicht auch daran, dass die deutschen Korrespondenten, die ständig in China leben und nicht nur zu Besuch sind, in ihrem Alltag die umfassende Zensur erleben, die jede Recherche erschwert.

Da werden Chefredakteure ins Büro der Zentralen Propaganda-Abteilung der KP in Peking bestellt oder in Telefonaten angewiesen, wie von bestimmten Ereignissen zu berichten sei. Sie erfahren auch, welche Themen absolut tabu seien, welche "nicht prominent und nicht auf der Titelseite" behandelt werden und ausschließlich mit vorgefertigten Berichten verbreitet werden dürfen - dazu gehören mit Sicherheit die "drei T"- Tibet, Taiwan und Tiananmen.

Nur selten zirkulieren diese Anweisungen in Schriftform, wie die Ende April ergangene Direktive zur Berichterstattung über die Expo: "Was die Aktivitäten der Zentralorgane auf der Shanghai Expo betrifft, müssen alle Medien die Berichte der Agentur Xinhua oder anderer zentral gesteuerter Medien verwenden. Andere Medien dürfen keine eigenen Berichte veröffentlichen und dürfen Führern der Zentralregierung während ihrer Besuche auf der Expo keine Fragen stellen."

Nun steht die Pressefreiheit in China zwar in der Verfassung, aber in Wirklichkeit existiert sie nicht. Bei ihnen sei die Presse frei, sagen die Chinesen, solange sie sich an die Gesetze halte. Weil diese Sichtweise jeden Dialog erschwert, war es den deutschen Journalisten wichtig, diesen Widerspruch immer wieder zu thematisieren. "Keiner sagt, dass wir eine sehr gute Pressefreiheit haben", gestand denn auch Chen Xiaochuan, der Chefredakteur von China Youth Daily, einer der größten Parteizeitungen, die in Peking erscheint. Er weiß auch die Millionenauflagen der chinesischen Blätter zu erklären, die kostenlos an Staatsbetriebe verteilt werden. Das liest dann kaum einer außer den Parteibonzen, die sowieso alles lesen müssen.

"Unser Land braucht soziale Harmonie"

Aber es gibt ermutigende Ansätze von investigativem Journalismus, der Korruption offenlegt und anprangert, der in Einzelfällen dazu führt, dass Polizeichefs oder Staatsbeamte in der Provinz ihren Job verlieren. Ein Artikel der Zeitung Dongfang Zaobao ( "Östlicher Morgen") etwa enthüllte, dass 296 000 Babys an Nierenleiden und Gallensteinen erkrankten und einige von ihnen starben, weil ein mit giftigem Melamin gestrecktes Milchpulver verfüttert wurde. Wegen der Olympischen Spiele war die Berichterstattung damals zwar verzögert worden, führte dann aber zur Auflösung des Großkonzerns Sanlu.

"Unser Land braucht soziale Harmonie", sagt Chefredakteur Hu Xijin von der GlobalTimes, "wenn nicht, haben wir thailändische Verhältnisse." Bei 2000 Zeitungen und 8000 bis 9000 Zeitschriften gebe es durchaus "unterschiedliche Meinungen und Positionen", sagt Hus Kollege Chen von der Youth Daily. Aber China sei ein Entwicklungsland und noch längst keine Weltmacht. "Warum haben Sie Angst vor China", fragt die Radio-Chefredakteurin Zhao Zhongying, "weil China kommunistisch ist?" China betreibe keine Hegemonialpolitik, China habe in seiner Geschichte noch nie ein anderes Land angegriffen. Die Jugend sei genauso "gegenwartsbesessen und materialistisch" wie im Westen, doch die "rote Linie", die es offiziell gar nicht gibt, die "tragen sie alle im Herzen". Politisch kennt eben schon jeder Jugendliche seine Grenzen.

Der Westen, wundert sich Fernsehmoderator Bai, habe sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass China als Global Player inzwischen überall in der Welt seine Rolle spiele: "Wir scheinen eine Art Rotzjunge zu sein, der in die High Society eingedrungen ist." Der Dialog soll weitergeführt werden, 2011 wollen die chinesischen Journalisten nach München kommen.

© SZ vom 01.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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