Ulrich Matthes musste seine Drohung nicht wahrmachen. Der Schauspieler, Journalistensohn und Zeitungsfan hatte in der Jurysitzung am Nachmittag noch angekündigt, notfalls auf die Bühne zu stürmen und dem Preisträger den beidseitig angespitzten Bleistift aus Messing zu entreißen, wenn sein Favorit nicht gewinnt. Dazu kam es nicht. Für die Bildungschancen-Reportage "Klassenunterschied" (SZ-Magazin) wurde Björn Stephan als "Bester freier Reporter" geehrt. "Antisentimental, aber höchst berührend" nannte Matthes den Text in seiner Laudatio.
"Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt", lautete das nicht minder leidenschaftliche Motto der achten Reporterpreis-Verleihung in Berlin, ein Egon-Erwin-Kisch-Zitat. 2016 war ein gutes Jahr für Journalisten und damit auch für den Preis - gerade wegen der politisch unschönen Weltlage. Er sei "als Mensch erschrocken, als Journalist elektrisiert", sagte Cordt Schnibben, Gründungsmitglied des Reporter-Forums, das den Preis "von Journalisten für Journalisten" verleiht, in seiner betont kämpferischen Rede, in der er, ein wenig großspurig, "17 Thesen gegen die Trumps dieser Welt" formulierte. Der Wille, sich von Lügenpresse-Krakeelern nicht unterkriegen zu lassen, war überdeutlich spürbar, nicht nur bei Spiegel-Mann Schnibben, konnte die Ratlosigkeit aber nur bedingt vertreiben.
Aus dem Bedürfnis heraus, die Weltlage nicht nur in den 153 nominierten und 13 ausgezeichneten Arbeiten durchscheinen zu lassen, war der aus Syrien geflüchtete Pianist Aeham Ahmad für die musikalische Begleitung engagiert worden - wofür sich die Galagäste aber nur mäßig erwärmten. Ein Sonderpreis ging an den in Aleppo ausharrenden Kriegsreporter Hadi Abdullah.
In zwei Kategorien wurden die Preise aufgeteilt: Für die "Beste Reportage" wurden zwei Preisträger ausgewählt, Claas Relotius für "Nummer 440" im Spiegel sowie Malte Henk und Henning Sußebach für "Der Exodus von Tel Goran" in der Zeit; die besten Wissenschaftsreportagen sind Nicola Meiers "Wer rettet Klara?" ( Zeit) und Roland Schulz' "Ganz am Ende" ( SZ-Magazin). Der dritte Preis fürs SZ-Magazin ging an Lara Fritzsche für "Frauenlauer" ("Bester Essay"). Außerdem konnte sich das "Panama-Papers"-Rechercheteam der SZ (Katrin Langhans, Hannes Munzinger, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Mauritius Much und Vanessa Wormer) über den Preis für die "Beste Investigation" freuen.
Alle Texte und Preisträger: reporter-forum.de.