Jedes Jahr im Blick:Schau auf diese Stadt

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Am 3. November 2018 startete die erste Staffel der rbb-Sendereihe Berlin - Schicksalsjahre einer Stadt, eine Berlin-Chronik der Superlative, die 1961, im Jahr des Mauerfalls, beginnt und bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1990 erzählt. (Foto: Klaus Morgenstern/rbb)

Wie es dem RBB gelungen ist, in einer Reihe auf feine Art Berlins Geschichte zu erzählen. Und zwar ohne auf den Osten mit Herablassung oder mit Hang zur Ostalgie zu blicken.

Von Jens Schneider

Im Jahr 1974 kommen Hunderte Chilenen nach Ostberlin. In ihrer Heimat hat der Diktator Augusto Pinochet sich an die Macht geputscht. Es sind Linke mit großer Leidenschaft für den Sozialismus, die in der DDR Zuflucht finden und nun in der deutschen Variante des Sozialismus ankommen. Aber "fraglose Unterordnung ist nicht ihr Ding", sie geben auch im Exil nicht klein bei, wenn Vorschriften starr sind. Einige rufen am Arbeitsplatz einen Streik aus, was die SED-Machthaber unerhört finden. Es gibt spannende Aufnahmen von damals, und die Autoren des RBB haben eine Zeitzeugin gefunden, die erzählt, wie die Chilenen ihr Leben bunter machten, beginnend mit der Dekoration der Wohnung, auch ein Chilene blickt zurück. Es sind Geschichten wie diese, mit denen die Reihe "Schicksalsjahre einer Stadt" ein Gefühl für Berlin im Jahr 1974 entstehen lässt.

Seit dem letzten Herbst gibt es die Reihe des Rundfunks Berlin Brandenburg, begonnen hat sie mit den Sechzigern, nun sind die Siebziger dran. Ihr Name kann in die Irre führen: "Schicksalsjahre" - das klingt nach den mit Pathos aufgeladenen Historien-Dramen, die oft zu sehen sind und Geschichte als Schlachtengemälde inszenieren. Diese Produktion ist das ansehnliche Gegenteil.

Jeder Film widmet sich einem Jahr im Leben der Hauptstadt in West und Ost, und es gelingt den Autoren oft außergewöhnlich gut, das Leben der damals noch geteilten Stadthälften zu spiegeln - gerade auch die Welt im Osten, ohne die sonst oft gängige Herablassung, die das Lebensgefühl der Menschen ignoriert. Zugleich vermeiden die Filme jede kitschige Ostalgie. Der Blick ist von Respekt für die Protagonisten geprägt, ganz gleich ob sie als prominent bekannt sind oder als Zeitzeugen vorgestellt werden. Erzählt wird gern über feine Randbeobachtungen, auch wenn es um historische Ereignisse geht. Da ist der Rücktritt des Kanzlers Willy Brandt nach der Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume. Der älteste Brandt-Sohn Peter erinnert sich, auch der Sohn Guillaumes Pierre, der nach Ostberlin übersiedelte. Zu sehen ist auch, wie Brandt nach dem Rücktritt in Berlin empfangen wird, der Stadt, die er einst als Bürgermeister regierte.

Die Fernsehbilder von damals erweisen sich als hervorragendes Material. Allein diese Aufnahmen lohnen, in diese Reihe einzutauchen. Wenn etwa gezeigt wird, wie in Westberlin der hochmoderne neue Flughafen Tegel eröffnet oder das Tanzlokal "Walterchens Ballhaus" vor der Schließung noch mal besucht wurde, wie ein Rauchverbot für die Doppeldeckerbusse erging und Empörung auslöste oder Nina Hagen ihre erste Platte vorstellte: "Du hast den Farbfilm vergessen". Oder dass der Senat ein Zuzugsverbot für Ausländer in einigen Bezirken verhängte. Zum Umgang mit Gastarbeitern werden Ausschnitte aus Rainer Werner Fassbinders Film "Angst essen Seele auf" aus jenem Jahr gezeigt. Die Siebziger sind bis zum Sommer zu sehen, im Herbst folgen die Achtziger bis hin zum Mauerfall.

Berlin - Schicksalsjahre einer Stadt , RBB, Samstag, 20.15 Uhr

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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