Iranisches Fernsehen:Von der Rolle

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Eine Moderatorin mit Bier und ohne Schleier im Schweiz-Urlaub empört liberale Iraner - offiziell gibt sich Azadeh Namdari konservativ.

Von Moritz Baumstieger

Am Genuss eines Bieres an einem Schweizer Bergsee nimmt niemand Anstoß, solange die Flasche nicht in der eidgenössischen Natur entsorgt wird. Normalerweise. Azadeh Namdari kann eine andere Geschichte erzählen: Nachdem sich die iranische TV-Moderatorin im Urlaub ein Fläschchen genehmigte, schlagen ihr Wellen der Empörung entgegen - von den liberal Gesinnten in ihrem Heimatland, nicht von Hardlinern der Islamischen Republik.

Seit vor drei Tagen ein heimlich gedrehtes Video im Netz auftauchte, das Namdari ohne Schleier, aber mit Bier zeigt, diskutieren Iraner in den sozialen Medien über die Glaubwürdigkeit der konservativen Medien, die das von Klerikern gelenkte politische System Irans stützen. "Das Problem ist nicht Azadeh", schreibt ein Nutzer in einem tausendfach geteilten Tweet, "das Problem sind die Lügen, die sie uns jeden Tag auftischen." Namdari galt bisher nämlich nicht als Teil jener urbanen Elite, die auf Auslandsreisen gern all das tut, was daheim aus religiösen Gründen verboten ist. Im Gegenteil: In ihren Sendungen pries die 32-Jährige den in Iran für Frauen obligatorischen Schleier. "Ich danke Gott, dass ich ihn trage", bekannte sie auch in der konservativen Zeitung Vatan-e Emruz.

Um den Schaden einzudämmen, nahm Namdari schließlich selbst ein zweites Video auf: Der Schleier sei ihr in jenem Moment vom Kopf gerutscht, als sie heimlich gefilmt wurde. Und da sie im Kreise der Familie gewesen sei, wo das Tragen nicht zwingend vorgeschrieben ist, habe sie ihn nicht gleich wieder aufgesetzt. Eine Erklärung, wie die Bierflasche unbeabsichtigt an ihre Lippen geraten konnte, fiel der Moderatorin nicht ein - zu diesem Komplex schwieg sie.

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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