Hörspiel:In der Mühle

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Der Bayerische Rundfunk bringt die Erzählung "Der Todeskandidat" ins Radio. Eine tolle Wiederentdeckung inszeniert mit spröder Unbarmherzigkeit - und mit einer Figur, wie auch Kafka einige beschrieben hat.

Von Stefan Fischer

Die Hörspielredaktion des Bayerischen Rundfunks hat eine Leidenschaft für die deutsche Literatur des späten 19. und mehr noch des frühen 20. Jahrhunderts. Über die Jahre ist da eine prächtige Hörspiel-Sammlung entstanden mit einer Vielzahl spannender Adaptionen. Darunter finden sich Hauptwerke, vor allem aber ist das ein Kanon der vergessenen, verbrämten und verkannten Romane und Erzählungen.

Der kulturelle Bruch, den der Nationalsozialismus herbeigeführt hat, ist nach wie vor nicht ausreichend behoben. Auch das hat sich der BR mit seinem Faible zur Aufgabe gemacht: das literarische Gedächtnis zu stärken, das für die gesellschaftlich und künstlerisch turbulente Phase vor dem Zweiten Weltkrieg fragil ist. Eine tolle Wiederentdeckung erlaubt nun Ulrich Lampens Inszenierung von Max Herrmann-Neißes Erzählung Der Todeskandidat von 1927. Nach dem Reichstagsbrand, 1933, ist der Autor nach England geflohen. Die Nazis haben ihm die Staatsbürgerschaft entzogen, die Engländer ihm die ihre verweigert. 1941 ist er mit 54 Jahren gestorben.

Clemens, der Todeskandidat, gespielt von Marek Harloff, ist eine Figur, wie auch Kafka einige beschrieben hat: Ein Mann gerät in die Mühlen einer Bürokratie und liefert sich ihr vollständig aus. Weil er sich etwas verspricht von ihrer Autorität und dafür tiefe Demütigungen erträgt. In diesem Fall ist das ein Arzt (Peter Fricke), von dem Clemens sich eine Diagnose erhofft, die seine Antriebslosigkeit erklärt. Er kann sich gegen nichts wehren, für nichts kämpfen, seine Empörung fällt schnell in sich zusammen. So wird er zum Niedersten der Niederen und irgendwann zum Todeskandidaten - zu einem, der zu nichts nütze ist und deshalb kein Anrecht hat auf sein Leben. Lampen inszeniert das mit spröder Unbarmherzigkeit.

Der Todeskandidat , Bayern 2, Samstag, 15.05 Uhr.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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