Hörspiel:Blutige Geschichte

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Im Hörspiel wühlt sich Lara Belmardi durch alte Dokumente. (Foto: Getty/EyeEm)

Die WDR-Sendung "Verschiebungen" bietet ein Hörspiel im Hörspiel - und befasst sich mit Historischem wie der Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen und dem hochrangigen NSDAP-Mann Dr. Werner Best, dem "Bluthund von Paris".

Von Kevin Scheerschmidt

"Deine Mutter wäre stolz auf dich", sagt eine weibliche, alte, dünne Stimme mit französischem Akzent. Die Stimme gehört der ehemaligen Vermieterin der verstorbenen Erika Belmadi. Das Lob richtet sich an deren Tochter, Lara Belmadi. Die Belmadis sind Figuren im Hörspiel Verschiebungen: Man möchte ja kein Unmensch sein von Uta Reitz.

In Reitz' Hörspiel produziert Lara Belmadi, gesprochen von Karin Pfammatter, ebenfalls ein Hörspiel. Das heißt "Der Bluthund" und geht der Frage nach, wer ihre Mutter, die sie stets vernachlässigt hatte, eigentlich war. Die für das Hörspiel erfundene Lara stößt bei der Recherche auf echte historische Ereignisse und Figuren: die Flüchtlingskonferenz von Évian aus dem Jahr 1938, die Auschwitz-Prozesse von 1963 und den hochrangigen NSDAP-Mann Dr. Werner Best, den "Bluthund von Paris".

Regisseurin Uta Reitz gelingt es, den Bogen zur heutigen Zeit zu schlagen. Im Juli 1938 kamen im französischen Évian-les-Bains 32 Länder zusammen, um über die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge zu beraten. In der Abschlusserklärung ließen die Staaten verlauten, "sie hätten gern eine beträchtliche Zahl an Flüchtlingen aufgenommen, seien jedoch dazu bedauerlicherweise nicht im Stande". Die über 80 Jahre zurückliegende Konferenz erinnert an den Umgang mit den aktuellen Flüchtlingsströmen nach Europa. Damit es auch der Letzte versteht, ertönt direkt zu Beginn des Hörspiels Angela Merkel: "Wir schaffen das."

Uta Reitz hat starke Zitate herausgefiltert und bindet diese intelligent in das Hörspiel ein. Was am meisten hängen bleibt, ist der titelgebende Satz: "Man möchte ja kein Unmensch sein, wagt aber wegen der Folgen nicht, Mensch zu sein". Gesagt hat ihn der dänische Justizminister Karl Kristian Steincke 1938 in Évian.

Erika Belmadi musste mit ihren Eltern von Frankreich nach Dänemark fliehen, stets bedroht durch den SS-General Dr. Werner Best. Auch wenn Erika Belmadi eine erfundene Figur ist, wird durch sie das Schicksal vieler Juden der damaligen Zeit verdeutlicht. Je tiefer Lara Belmadi in die Unterlagen eintaucht, umso mehr lernt sie das Lebenswerk ihrer Mutter, die sie kaum kannte, zu schätzen. Die war, wie Lara selbst, Journalistin. Ihr Leben lang war Erika Belmadi Werner Best auf der Spur, der nach dem Zweiten Weltkrieg kaum die Konsequenzen seines Handelns tragen musste. Nach und nach begreift Lara dadurch, wer ihre Mutter wirklich war.

Man erfährt im Hörspiel viel über die deutsche Vergangenheit, das Beispiel von Werner Best illustriert auf erschreckende Weise, wie viel Einfluss Nazis auch in der Nachkriegszeit noch auf die deutsche Politik hatten. Im Hintergrund sorgen traurige Geigenklänge, Klaviermusik und von einem Sprechchor gezischte Sätze für eine teils düstere Stimmung, die zur ebenso düsteren Vergangenheit passt.

Das Hörspiel verfällt dabei vor allem gegen Ende zu oft in ein moralisches Floskelgewitter: "Es gibt nicht nur schwarz und weiß", "Recht und Gerechtigkeit sind nicht ein und dasselbe", "Wir müssen alle was tun." An manchen Stellen fehlt die Kreativität bei der Formulierung der moralischen Belehrungen.

Auch in den folgenden Hörspielen der Verschiebungen-Reihe von Uta Reitz "Über den Sund" (Juden müssen während des Zweiten Weltkriegs von Dänemark nach Schweden fliehen) und "Entgrenzung" (Probanden müssen unmoralisch über eine Lösung der aktuellen Flüchtlingsdebatte debattieren) geht es um Flucht. Dabei sind diese formal komplett anders gestaltet und nur thematisch sind die Verbindungen zu erkennen.

In Verschiebungen: Man möchte ja kein Unmensch sein tritt die Tochter trotz anfänglicher Ablehnung doch in die Fußstapfen der Mutter. Und das Hörspiel zeigt, so schmerzhaft das sein mag, dass Europa derzeit in die Fußstapfen der Konferenz von Évian tritt.

Verschiebungen: Man möchte ja kein Unmensch sein, WDR 3, 19.04 Uhr.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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