Gespräch über Gedrucktes:Gier nach Papier

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"Um das beste Ergebnis kämpfen" - Steidl will, dass Werte entstehen, die man verwahren möchte. Das ist für ihn auch ein Modell für die gedruckte Zeitung. (Foto: Markus Jans)

Gerhard Steidl über den Wert von Print in digitalen Zeiten, einen neuen analogen Lifestyle und die Zeitung zum Streicheln.

Interview von Claudia Tieschky und Willi Winkler

Er steht jeden Morgen um halb vier auf, um fünf ist er bei der Arbeit, ins Bett fällt er erst nach zehn. Gerhard Steidl, 64, ist der Verleger des Nobelpreisträgers Günter Grass, aber auch des Modemachers Karl Lagerfeld. In seinem Vorzimmer, von der Kundschaft nicht nur im Scherz Purgatorium genannt, warten an diesem Tag in der Düsteren Straße in Göttingen der südafrikanische Fotograf David Goldblatt und sein britischer Kollege Chris Killip. Sie sind seit Tagen hier, haben sich ganz dem Arbeitsrhythmus von Steidl unterworfen, der stets mit mehreren Aufträgen parallel beschäftigt ist. Das erfordert von ihnen Geduld, aber für sie gibt es auf der ganzen Welt keinen besseren Drucker und Hersteller als den Papier-Maniac Steidl. An dessen Arbeitsplatz steht ein Teller mit Apfelschnitzen, unter der Decke hängt ein Zettel: Print is not dead.

SZ: Herr Steidl, Ihren Herbstkatalog 2014 haben Sie mit einer Liebeserklärung eingeleitet: "Bücher sind im Grunde wie du und ich: Sie wollen gesehen, berührt, gerochen, kurz: mit allen Sinnen erfahren und gewürdigt werden." Ist das überhaupt noch zeitgemäß?

Gerhard Steidl: Allerdings, die Leute entdecken das gerade wieder. Wenn ich diesen Satz vor 15 Jahren gesagt hätte, wäre ich wahrscheinlich in eine Anstalt eingewiesen worden. Vor kurzem war ich in Saõ Paulo und Rio de Janeiro und habe erstaunt erlebt, dass meine größten Fans ganz junge Leute sind. Es gibt eine regelrechte Gier nach Papier.

Ihre Bücher, sagen Sie, wollen gesehen, berührt und gerochen werden. Sie haben inzwischen aber auch E-Books im Programm. Wie riechen digitale Bücher?

Die riechen gar nicht. Und ehrlich gesagt bin ich auch nicht überzeugt, dass ich bis an mein Lebensende elektronische Bücher herausbringen möchte, ich probier's halt aus, aber eben auch sorgfältig gestaltet und somit wenigstens mit der Duftmarke Steidl versehen. Ich habe mich aber entschieden, visuelle Bücher - Fotobücher, Bücher mit Grafik und Zeichnungen - niemals als E-Book zu machen. Das Betrachten eines Bildes auf Papier ist etwas völlig anderes als das Betrachten am Bildschirm. Egal ob ich das iPad eines Freundes in Tokio benutze oder in Washington oder zu Hause mein eigenes, es ist immer die gleiche Wahrnehmung. Ob ich mir aber in Madrid eine Zeitung kaufe oder in London, das macht einen Unterschied.

Bilder auf dem iPad wirken aber einfach strahlender, bunter, fülliger, appetitlicher. Bilder in der Zeitung wirken im Vergleich dazu oft sehr blass. Das stellt uns bei der Zeitung auf eine harte Probe.

Es ist eine Frage der visuellen Bildung, wie man so etwas wahrnimmt. Wenn ich nie in ein Museum oder in eine Bibliothek gehe, schaue ich mir nie Produkte an, die Bilder anders wiedergeben als auf einem Display, dann habe ich auch kein Gespür dafür. Habe ich aber einen gewissen Erfahrungshorizont mit Büchern oder Zeitungen, dann wird man sogar irgendwann fast süchtig nach neuen Papieren, Formaten und analoger Wahrnehmung.

Dann ist die Attraktivität des digitalen Bildes nur . . .

. . . Fastfood, genau. Es sieht immer attraktiv aus, ob ich im Sonnenlicht bin oder im Dunkeln. Auf Drucksachen muss man sich einlassen. Was ist im Moment besonders begehrt? In Japan gab es in den siebziger Jahren eine Zeitschrift namens Provoke, die haben Fotos von Araki gedruckt. Araki hatte kein Geld, um vernünftige Abzüge zu machen, es ist sehr schlechtes Fotopapier, und somit eine schlechte Bildqualität. Und dann wurde das per Fotokopie - und das war wirklich der Beginn der Xerox-Kopie - auf ganz einfaches Papier gedruckt. Das sieht richtig schön dreckig aus und passt natürlich auch zu den Fotos von Araki. Obwohl es eigentlich drucktechnischer Schrott ist, sind das heute Kultobjekte.

Sie haben bei der aktuellen Ausgabe des Berliner Modemagazins Achtung mitgemacht und eine Fotostrecke auf Spezialpapier hergestellt - nach altem Rezept und ohne optische Aufheller. Eine Notiz klärt den Leser auf: Dieses Papier wird nicht altern, sondern für immer bleiben. Aber sind Zeitschriften überhaupt für die Ewigkeit gedacht?

Nein, man liest sie und wirft sie weg. Früher hat man Zeitungen oft aufgehoben. Wenn man heute einen Artikel nachlesen will, geht man ins Internet. Zeitungen und Magazine müssen sich deshalb auf journalistische, gestalterische und drucktechnische Qualität besinnen. Vielleicht besteht ein Modell zum Überleben darin, dass man auf gutes Papier achtet, dass man ein Produkt ausliefert, das schön bedruckt ist, und das man ein bisschen länger aufheben will als nur für ein Wochenende. Die Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung habe ich früher am Sonntag ins Altpapier getan. Die jetzige Samstagsausgabe behalte ich länger, weil so viel drin ist. Die Seite mit dem "Großformat", die Erstveröffentlichung von Fotos, hänge ich mir an die Wand. Wenn sie nach drei, vier Wochen total vergilbt ist, dann ab in den Müll. Aber ich habe doch über den Samstag hinaus einen Mehrwert.

Das sind jetzt lauter Komplimente, das können wir nicht drucken.

Man kann es auch ganz allgemein sagen: Das neue Geschäftsmodell besteht vielleicht darin, ein hochwertiges Printprodukt zu machen, das eine längere Verweildauer beim Leser hat. Man verlangt etwas mehr Geld, der Leser bekommt aber auch mehr geboten. Und für den Fluss der Nachrichten und den schnellen Konsum gibt es das Internet. Dass ein Wert entsteht, den man verwahren möchte - das ist auch die Idee hinter meiner Arbeit mit dem feinen Papier bei Achtung.

Glauben Sie wirklich, die Leute nehmen wahr, ob ein Magazin am Kiosk auf diesem oder jenem Papier gedruckt ist?

Am Kiosk nicht, aber es geht um die Langzeiterfahrung. Wenn es mir fünf Mal gefallen hat, abonniere ich es vielleicht, und das ist doch das, was Sie wollen: die treuen Leser.

Interessant ist auch, dass Hochglanz in Magazinen inzwischen weniger wertig wirkt als Low-Glanz, das matte Papier.

Wenn Sie sich ein Bild auf dem iPad anschauen, haben Sie immer eine glänzende Oberfläche. Warum soll ich dann meine Sachen auch noch auf etwas Glänzendes drucken? Außerdem ist die Haptik viel angenehmer. Wenn ich das hier anfasse (er streicht über ein Stück raues Papier), finde ich das human. Und das hier (er streicht über das Smartphone) nicht.

Haptik ist das Wort der Saison. Brauchen wir eine Zeitung zum Streicheln?

Unbedingt! Und Sie müssen mit den Druckern um das beste Ergebnis kämpfen. Ich habe das hier beim Göttinger Tageblatt gemacht, als ich einmal Kataloge für eine Ausstellung in Palermo gedruckt habe - auf ganz einfachem Zeitungspapier. Man kann auch auf einer Rotations-Druckmaschine etwas Individuelles machen, selbst wenn Sie aus technischen Gründen für einen Sonderteil der Zeitung kein anderes Papier nehmen können.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat es früher einmal mit ihrer Tiefdruckbeilage "Bilder und Zeiten" gemacht.

Das war doch etwas Wunderbares. Würde man sich das heute noch leisten können, dann wäre das sicherlich ein Rezept, um die Zeitung visuell attraktiver zu machen. Beim Göttinger Tageblatt habe ich einfach gefragt, wann habt ihr am wenigsten zu tun, wo habt ihr Stillstand, ich möchte mal vier Stunden spielen. Und dann habe ich mit den normalen Prozessen sensationelle Ergebnisse hingekriegt. Am Ende brauchte es auch keinen Kampf mit den Druckern mehr, die sagen selbst: Ist ja toll, was man mit dem Ding machen kann.

Zeitungen auf Papier sind immer noch Massenmedien. Werden sie es auch im Internetzeitalter bleiben?

Nein, das muss aber vielleicht auch gar nicht mehr sein. Das Massenprodukt wird digital konsumiert, gut. Sie können natürlich auch der Meinung sein, irgendwann ist das Print-Ding weg, dann ist nur noch die digitale Zeitung übrig. Das ist es, wovon, glaube ich, der Springer-Verlag träumt.

Der gerade fast alle Zeitungstitel verkauft hat, um zum Digitalkonzern zu werden. Ist das Genie oder Wahnsinn?

So wie der Springer-Verlag sein Geschäft aufbaut, ist es genial, denn dort glaubt niemand mehr an die Zeitung. Das wurde mir spätestens klar, als Welt Kompakt zum zehnten Geburtstag erstmals auch als Nachrichten-App erschien. An dem Tag haben sie die Zeitungsausgabe optisch und im Layout vollkommen der digitalen App angepasst. Das war für mich der schlimmste Verrat am Papier: Print, das sich digital verkleidet.

Kann man nicht beide Wege gehen - oder muss es sogar, wenn man als Zeitung überleben will?

Natürlich müssen Sie sich als Zeitungsverlag darauf einstellen, dass es Veränderungen und Schwund gibt. Jetzt ist die Frage: Glaubt man daran, dass es auch in zehn und zwanzig Jahren noch gedruckte Zeitungen gibt oder nicht? Der Springer-Verlag tut das ganz offensichtlich nicht, die amerikanischen Verlage überwiegend auch nicht.

Glauben Sie daran?

Ja, wenn es ein Qualitätsmodell gibt. Kennen Sie eigentlich das San Francisco Panorama? Da haben amerikanische Intellektuelle und Studenten ein Modell für eine Zeitung der Zukunft gestaltet: Wie soll die aussehen? Was soll die bringen? Sie haben zwei- oder dreitausend Stück davon gemacht, zu 16 Dollar das Stück. Die Ausgabe war rasend schnell vergriffen, die Leute haben die gekauft, weil sie einfach diskutieren wollten, wie eine Zeitung aussehen kann. Hier finden Sie unglaublich viel Futter für Überlegungen, wie man ein Massenmedium oder ein Magazin ändern kann. Wenn es das als Wochenendausgabe gäbe, wäre ich sofort abonniert.

Für 16 Dollar?

Ja.

Stört es Sie nicht, dass Print bei solchen Preisen elitär wird?

Diesen Begriff finde ich fast ein wenig beleidigend, er trifft es nicht. Als ich anfing, habe ich mir gesagt, ich will Druck nicht als Kunsthandel betreiben, ich will nicht mit diesen reichen Leuten, die Kunst sammeln, Geschäfte machen. Das gilt heute mehr denn je. Als ich Anfang der Siebziger mit dem Plakatkünstler Klaus Staeck arbeitete, da wollten wir natürlich mit unseren Sachen den Arbeiter erreichen. Vielleicht sehne ich mich heute noch danach. Aber das ist inzwischen völlig undenkbar. Bestimmte Bildungsschichten haben überhaupt kein Verhältnis mehr zu den analogen Produkten, die wir liefern. Wo findet man da einen Mittelweg für das, was wir herstellen möchten - Sie als Zeitung, ich als Büchermacher?

Ja, wo denn?

Wenn Sie mich fragen, kriegen Sie immer nur die eine Antwort. Mein Beruf, die Gestalt Steidl, ist definiert als the analogue man. Meine Welt ist analog, also auf Papier.

Gibt es so etwas wie einen analogen Lifestyle, der sich jetzt gerade entwickelt: Gärtnern, Vinylplatten hören, Zeitungen streicheln?

Das ist absolut meine Erfahrung.

Woher kommt das Bedürfnis? Es ist ja ein Rückzug.

Alles, was ich auf dem iPhone oder auf dem iPad konsumiere, ist sehr flüchtig. Mein Freund, der kanadische Fotograf Robert Polidori, sagt es so: "Digital is made to forget, analogue is made to remember." Ein wunderbarer Satz. Die Besonderheit eines physischen Gegenstandes zu entdecken, liefert auch Lebensqualität. Vielleicht muss man auch in Ihrem Bereich eine solche Nische für das physische Objekt Zeitung finden, die es begehrenswert macht. Für mich jedenfalls wären zwei Dinge existenzbedrohend: Wenn der Karstadt da vorn an der Ecke schließen würde, in dem ich seit Kindesbeinen alles kriege, was ich brauche, und das zweite ist, wenn es keine Zeitungen mehr gäbe.

Bei Karstadt darf man das Schlimmste fürchten.

Ich schlafe mit der Zeitung ein, wenn ich todmüde bin, und wache auch damit auf. Schlafen Sie mal mit so einem Ding ein (er zeigt auf sein Smartphone), das ist dann irgendwann kalt. Aber schlafen Sie mal auf einer Zeitung ein! Das ist mir gerade bei einer Flugreise passiert - danach das Knistern am Morgen, oh, ist das schön!

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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