Folgen der Corona-Krise:Der schwache Puls Hollywoods

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Ari Emanuel wurde schon als Legende der Unterhaltungsbranche in der Serie "Entourage" verewigt, nun kämpft einer der mächtigsten Produzenten in Hollywood um das Überleben seines Konzerns.

Von Jürgen Schmieder

Wer Ari Emanuel erleben will, der muss nicht unbedingt ins Chateau Marmont in West Hollywood kommen - eine Begegnung mit dem legendären Künstleragenten überleben ohnehin nur masochistisch veranlagte Menschen ohne bleibende Schäden. Emanuel ist laut, es gibt keinen Filter zwischen Gehirn und Mund, Gefühle anderer Menschen sind Trampelpfade für ihn. Es genpgt schon die TV-Serie Entourage zu sehen. Die hat ihn für immer verewigt, eine Auswahl der besten Beleidigungen der von Jeremy Piven verkörperten Figur findensich auf jedem gut sortierten Videoportal. Emanuel ist einer der mächtigsten Menschen der Unterhaltungsbranche, seit er 1995 in einer Nacht- und Nebelaktion die Agentur ICM verlassen und die Firma Endeavor gegründet hat. Die heißt nach Fusionen und Zukäufen mittlerweile Endeavor Group Holdings (EGH), mehr als 7500 Leute arbeiten dort. Es heißt, dass man am Puls der Künstleragenturen fühlen solle, wenn man sich nach dem Befinden dieser Industrie erkundigen wolle, und in Hollywood kursieren derzeit Gerüchte, dass Emanuels Konzern lebensverlängernde Maßnahmen brauche.

Die Probleme haben mit der Coronavirus-Pandemie zu tun - aber nicht nur. Bereits die Absage des Börsenganges im September (das Unternehmen sollte mit 7,6 Milliarden Dollar bewertet werden, zog jedoch einen Tag davor zurück) sorgte für Spekulationen, dass die Schulden zu hoch (mehr als 4,6 Milliarden Dollar) seien und die Expansionspolitik von Emanuel zu aggressiv. Der hatte aus seinem Unternehmen einen Kraken gemacht, dessen Tentakel in jeden Bereich der Unterhaltungsbranche reichen - gemäß dem Motto, das er 2012 in einem Pamphlet über, nun ja, sich selbst veröffentlicht hat: "Keiner versagt so wie ich, aber man wird keinen Erfolg haben, wenn man keine Risiken eingeht. Große Risiken."

Emanuel hat aus seiner Firma eine eierlegende Wollmilchsau der Unterhaltungsbranche gemacht

Die Wette von Emanuel seit einigen Jahren: Live-Events werden immer bedeutsamer, ob nun beim Sport oder im Showbusiness. Zu EGH gehören die Künstleragenturen WME (Schauspieler wie Angelina Jolie), Dixon Talent (Moderatoren wie Jon Stewart), IMG (Sportler und Models wie Novak Djokovic und Gisele Bündchen) und The Wall Group (Stylisten und Designer), aber eben auch Beteiligungen an der Basketballliga Euroleague, am Kampfsportverband UFC sowie am Eventplaner On Location Experiences und Wettkämpfen wie Miss Universe oder Bullenreiten.

Das Wachstum rechtfertigte den Schuldenberg, doch Finanzexperten warnten beim Durchsehen des Börsenprospektes, dass das frische Kapital (zuerst war von 600 Millionen Dollar die Rede, später von nur 405 Millionen) eher dem Abtragen dieses Schuldenbergs dienen solle und weniger weiteren Investitionen. "Das ist ein heftiger Schlag für Ari. Ich bin sehr gespannt, wie das Unternehmen an frisches Kapital gelangen will", sagte der Investmentbanker Lloyd Greif nach der Absage des Börsengangs. Nun befürchtet er, dass ohne frisches Geld gar die Pleite bevorstehe: "Sie brauchen eine komplette Umstrukturierung."

Emanuel, 59, hat aus seiner Firma eine eierlegende Wollmilchsau der Unterhaltungsbranche gemacht, das gefällt nicht jedem. Seit einem Jahr gibt es einen Streik zwischen Autoren und Agenturen, in dessen Zentrum EGH steht, weil es Autoren vertritt, über die Tochterfirma Endeavor Content aber auch selbst Inhalte produziert und deshalb - vereinfacht ausgedrückt - mit sich selbst verhandelt. "Es kann nicht funktionieren, beide Felder zu bedienen", warnt die Autorengewerkschaft WGA. Mehr als 1 400 Autoren haben die Agentur deshalb verlassen.

Die Coronavirus-Pandemie hat die Schwachstellen in der Struktur des Konzerns offengelegt. Es müssen alle Räder ineinander greifen, damit die riskante Strategie funktioniert - nur: Es greift derzeit überhaupt nichts ineinander, Hollywood ist quasi stillgelegt. Bereits im März hat EGH angekündigt, bis zu 250 seiner Angestellten entlassen zu müssen. Im April wurde der Rückkauf von Anteilen verschoben, bei dem das Unternehmen nur noch mit 3,6 Milliarden Dollar bewertet worden wäre, vor zwei Wochen verkündete die Tochteragentur WME, 300 der 1500 Agenten zu entlassen. Bei der nächsten Finanzierungsrunde des erfolgreichen Videospiel-Herstellers Epic Games (unter anderem: Fortnite) will EGH Anteile verkaufen; was erneut als Hinweis darauf gedeutet wird, dass der Konzern dringend Geld braucht.

Wenn es wirklich stimmt, dass einem der Finger am Puls der Künstleragenturen verrät, wie es Hollywood so geht, dann deuten diese Gerüchte auf Intensivstation hin. Die Agentur Standard & Poor hat die Kreditfähigkeit von EGH auf CCC+ herabgestuft, viel schlechter geht es nicht.

Alles Quatsch, sagte der EGH-Vorstand nun der Los Angeles Times, die Gerüchte würden gezielt gestreut: "Ich werde nicht darüber spekulieren, wer die Pfeile wirft. Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir in Zeiten der Pandemie die Kosten senken müssen. Wir haben aber genügend Zugang zu Kapital, das uns über einen längeren Zeitraum solvent bleiben lässt. Es gibt eine riesige Nachfrage nach Inhalten und Events. Wir sind gut aufgestellt, damit wir die Ersten aus den Startlöchern sein können. Wir müssen nur über den Berg kommen." Der Investor Oaktree Capital hat einen 260-Millionen-Dollar-Kredit gewährt, auch die Investmentfirma Silver Lake hat angekündigt, hinter EGH zu stehen.

Es gehört zu den prägendsten Eigenschaften von Emanuel, sich rührend um seine Klienten zu kümmern und für sie durchs Feuer zu gehen; nun muss er also einen Berg erklimmen. Er kennt das, Punkt zwei seines Pamphlets trägt den Titel: "Die einzige Konstante ist Veränderung. Finde dich damit ab."

© SZ vom 26.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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