"Focus": Chefredakteur Weimer gibt auf:Er kam, sah und verlor

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Es ist ein Ende mit Schrecken: Ein Jahr lang hat Wolfram Weimer versucht, den "Focus" neu zu erfinden. Nun ist er als Chefredakteur gescheitert: am Heft, am Herausgeber und an sich selbst. Doch der größte Verlierer ist ein anderer.

Marc Felix Serrao

Er kam mit schönen Worten, und so verabschiedete er sich auch. "Bleibt Imperialisten des Geistes", wünschte Wolfram Weimer der Redaktion des Focus zum Abschied, ein Zitat von Christian Morgenstern. Gerade mal ein Jahr lang war der 46-Jährige Chefredakteur des bürgerlich-liberalen Magazins aus dem Münchner Burda-Verlag. An diesem Dienstag verkündete er in der Morgenkonferenz seinen Abschied, er geht mit sofortiger Wirkung. Es ist ein Ende mit Schrecken - nach monatelangen, zuletzt offen geführten Machtkämpfen. Und egal, wie man Weimers Arbeit bewertet: Der größte Verlierer ist Focus.

Wolfram Weimer verlässt den Focus, nachdem er dem Magazin die Losung "Relevanz! Relevanz! Relevanz!" verpasste - noch bevor er dort angefangen hatte. (Foto: dapd)

Mitten in einem halbgaren Modernisierungsprozess und einer "Roadshow" durch die Werbeagenturen des Landes verliert das Heft sein Gesicht an der Spitze. Was bleibt, sind anhaltend schwache Absatzzahlen (im Einzelverkauf landet der Focus immer öfter unter 100.000), eine zutiefst verunsicherte Redaktion und ein neuer Mann an der Spitze, den außerhalb des Münchner Arabellaparks kaum einer kennt. Uli Baur, informierte Burda, sei nun "alleinverantwortlich" Chefredakteur. Der 55-jährige bisherige Co-Chef ist ein Focus-Mann der ersten Stunde. Sein Umgangston ist jovial-schroff, nicht unsympathisch. Er gilt als solider Blattmacher. Reicht das?

Stellt man die Frage, wer für Weimers Scheitern verantwortlich ist, bekommt man bei Burda drei Antworten. Die erste lautet: Helmut Markwort. Der 74-jährige Focus-Gründer und Herausgeber habe "sein" Heft nicht loslassen können, heißt es. Beide, Markwort wie Baur, sollen Weimers Kurs früh abgelehnt und zuletzt immer stärker behindert haben. Der Neue wollte das Magazin anspruchsvoller und politischer positionieren. Markwort und Baur, heißt es, hätten das Heft hingegen wie früher "nutzwertiger" und volkstümlicher gestalten wollen. Das können sie nun wieder tun - auch wenn vom Verlag verkündet wird, dass der von Weimer "begonnene Weg der inhaltlichen Erneuerung (. . .) mit aller Konsequenz weiter verfolgt" werde, mit ihm als "Berater". Was man als Verlag bei solchen Gelegenheiten so verkündet.

Die zweite Antwort auf die Frage nach dem Grund für Weimers Weggang lautet: Hubert Burda. Der so kunstsinnige wie konfliktscheue Verleger habe zugesehen, wie sein alter Weggefährte Markwort den Neuen Stück für Stück demontiert habe. Das kann stimmen. Auf jeden Fall stimmt es, dass die Machtverhältnisse beim Focus, freundlich formuliert, ungeordnet waren. Statt sich zurückzuziehen, war Markwort weiter ungebremst im Blatt präsent. Kurz bevor sein Nachfolger kam, organisierte der scheidende Chefredakteur noch schnell einen Mini-Relaunch des Focus - ein Affront. Zur Begrüßung musste der Neue dann eine Preiserhöhung und Kündigungen mittragen. Wer so begrüßt wird, kann gleich wieder einpacken. Das sagen die, die Weimer bei Burda schätzen. Es sind nicht mehr viele. Das liegt wohl auch daran, dass Menschen, vor allem Journalisten, gerne bei denen stehen, die gerade oben sind.

Zuletzt setzte Markwort vor ein paar Wochen durch, dass sein "Tagebuch des Herausgebers" auf die letzte Heftseite rutschte. Er kommentiert das Weltgeschehen seither jede Woche an prominenter Stelle. Seine Chefredakteure, die vorne im Blatt außerdem eine Textspalte weniger Platz haben als er, mussten sich im Wochenrhythmus abwechseln. Deutlicher kann man den eigenen Willen zur Macht und Mitsprache kaum ausdrücken. Und Burda schaute zu.

Die dritte Antwort auf die Frage nach den Gründen schallt einem seit diesem Dienstag aus dem Burda-Verlag lauter entgegen als je zuvor: Weimer selbst habe es verbockt. Er sei nicht verheizt worden, er habe sich selbst verheizt, sagen gleich mehrere mit dem Heft vertraute Burda-Mitarbeiter. Auch habe Weimer nur nach außen hin selbst entschieden, dass er jetzt geht. In Wahrheit habe man ihm keine Wahl mehr gelassen. Weimers Kurs der inhaltlichen Erneuerung - hin zu einem meinungsstärkeren, politischeren Heft - sei ja gut und richtig. Aber als wöchentlicher Blattmacher sei er viel zu unerfahren gewesen. Wenn Weimer überhaupt einen Machtkampf verloren habe, dann gegen sich selbst und gegen die eigene Mannschaft. Er sei zu selten in der Redaktion gewesen, heißt es jetzt. Er habe unfähige "Offiziere" eingestellt; hier fällt vor allem der Name der Kulturchefin Christine Eichel. Er habe mit Interviews, in denen er behauptete, die Redaktion "wachgeküsst" zu haben, alle nur genervt. Und so weiter.

Redaktionen großer Verlage sind Haifischbecken. Oft stecken hinter vermeintlich sachlicher Kritik so banale Dinge wie gekränkte Eitelkeit, Neid und Rachsucht. Vieles von dem, was nun über Weimer kolportiert wird, natürlich immer "im Hintergrund", kann man darunter verbuchen und abhaken.

Allerdings drängt sich schon die Frage auf, ob jemand, der sich so behandeln ließ wie Weimer es lange Zeit tat, wirklich die nötige Durchsetzungskraft hat, um ein solches Heft zu führen. Der gebürtige Hesse, der nach Stationen bei der FAZ und verschiedenen Springer-Blättern 2003 für den Ringier-Verlag das Monatsmagazin Cicero konzipierte, ist ein charmanter Gesprächspartner und ein guter Verkäufer. Er denkt in Schlagzeilen - vor allem in eigener Sache. "Relevanz! Relevanz! Relevanz!" Diese neue Losung hatte er dem Focus verpasst, noch bevor er dort angefangen hatte. Und mehr: Er wolle den Spiegel angreifen, ach was, überholen, dazu prominente Autoren engagieren, eine "völlig neue Optik" ins Blatt bringen und so weiter. Man kann solche großen Ankündigungen smart finden. Oder nur aufdringlich.

Was aus Weimer wird, ist unklar. Er habe gerade erst ein Haus am Tegernsee gekauft, heißt es im Verlag. Bei Burda kann er nicht bleiben, Beraterposten hin oder her. Zu groß ist der Imageschaden für ihn und den Verlag. Wie lange Baur den Focus allein führen darf, ist ebenfalls offen. Verlagsvorstand Philipp Welte versichert, Baur werde das Blatt "dauerhaft" führen. Man sei froh mit ihm einen "sehr erfahrenen Blattmacher" an der Spitze zu haben. Alle Gerüchte über einen möglicherweise bald anstehenden weiteren "Neuanfang" seien nur "das übliche Gerede". Was man als Vorstand bei solchen Gelegenheiten so sagt.

Auf die ganz große Frage hat indes keiner eine Antwort: Was wird aus dem Focus? Die einstige Lokomotive des Burda-Verlags steht auch intern nicht mehr an erster Stelle - zumindest was die Zahlen angeht. Der Umsatzerlös des Geschäftsbereichs "Verlag Inland" lag 2010 nur noch bei 587 Millionen Euro. Tendenz: seit Jahren fallend. Anders das Verlagsgeschäft im Ausland und die Digitalsparte, die zusammen auf eine Milliarde kamen.

Kurzum: Der Burda-Verlag könnte heute sogar ohne Focus leben. Er ist nicht mehr angewiesen auf das Heft, das den Verleger einst reich und den Spiegel nervös machte. Damals, vor mehr als einem Jahrzehnt.

© SZ vom 27.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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