Fernsehen:System-Spielerin

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Ein Nachwende-Drama der spannenden Art: Petra Schmidt-Schaller als Doppelagentin, die nach dem Mauerfall ihre Stasi-Zeit verbergen muss.

Von Clara Lipkowski

Berliner CIA-Zentrale: Agentin Saskia Starke (Petra Schmidt-Schaller) schiebt Dienst für die US-Amerikaner und spioniert für die Stasi. (Foto: rbb/ARD/Volker Roloff)

Die Nacht, in der die Mauer fiel, hat Petra Schmidt-Schaller verschlafen. Sie war auch erst neun Jahre alt. Am nächsten Morgen erfuhr sie, dass ihre Eltern sie in jener historischen Nacht einfach zu Hause vergessen hatten. Sie waren aufgebrochen, um von Ostberlin zum Grenzübergang Bornholmer Straße zu fahren, schließlich waren so gut wie alle auf den Beinen, gucken, was da jetzt los war an der Mauer! Gegen 23 Uhr drängten Tausende an den Grenzübergang. Die Stimmung war aufgeheizt, die Grenzsoldaten überfordert. "Das halte ich ihnen heute noch vor, denn was wäre denn gewesen, die Mauer wäre wieder geschlossen worden?", sagt Schmidt-Schaller, "dann hätte ich da alleine gesessen." Sie lacht. Die heute 39-Jährige bewirbt an einem Sommertag in einem Hamburger Hotel ihren neuesten Film, der um diesen Zeitraum spielt; die damals Neunjährige Schmidt-Schaller ging am nächsten Tag wie immer zur Schule. Doch außer ihr saßen nur ein oder zwei andere Mitschüler in der Klasse, ganz genau weiß sie es nicht mehr. Alle anderen waren irgendwo im Taumel des Mauerfalls mit ihren Familien hängen geblieben.

In diesem Taumel findet sich auch die fiktive Agentin wider, die Schmidt-Schaller in Wendezeit spielt. Diese arbeitet für die CIA in Westberlin, ist aber in Wirklichkeit Spionin der DDR. Der Mauerfall am 9. November 1989 läutete nicht nur die Wiedervereinigung ein, er bedeutete auch das Ende des DDR-Spitzelsystems. Mehrere Tausend DDR-Agenten waren zu dieser Zeit in der DDR, Westberlin und in Westdeutschland im Einsatz, viele als IM - inoffizielle Mitarbeiter. Nun stürzte das System und mit ihnen die Spione. Im Film droht ein Überläufer aus der DDR die Tarnung der Spionin auffliegen zu lassen.

Als ein Überläufer aus der DDR droht, die Doppelagentin auffliegen zu lassen, muss Saskia Starke schnell handeln. (Foto: rbb/ARD/Volker Roloff)

Bis dahin lebte die Agentin mit Mann und zwei Kindern als Saskia Starke in einer Zehlendorfer Villa ein ebenso mustergültiges wie gediegenes Leben im Kapitalismus. Als Tatjana Leschke, wie sie in ihrer Heimat DDR heißt, überquert sie regelmäßig am Checkpoint Charlie die Grenze nach "drüben", Ostberlin, um geheime Operationen durchzuführen, Quellen anzuzapfen. Aber jetzt muss sie ihr eigenes Leben schützen.

Die Spionin fremdelt mit beiden Systemen, und ist gleichermaßen Teil von ihnen

Petra Schmidt-Schaller spielt die Spionin beeindruckend vielschichtig. Starke alias Leschke fremdelt mit beiden Systemen, mit Kapitalismus wie Sozialismus, und ist gleichermaßen Teil von ihnen. Leschke fühlt sich hingezogen zu der familiären Gemeinschaft, welche die Stasi um sie herum aufgebaut hat. Es ist bekannt, wie intensiv sich die Behörde teilweise um Spitzel kümmerte, um sie an sich zu binden. Leschke trifft Markus Wolf, Chef der HVA, der Auslandabteilung der Stasi, der sie protegiert. Wolf gab es tatsächlich, er galt als berechnender Marionettenspieler und wird so auch im Film dargestellt (Robert Hunger-Bühler), begegnet Leschke fast väterlich. Die ist aber zudem seit Jahren als Saskia Starke in Westberlin zu Hause, liebt ihre Kinder und den Mann (Harald Schrott) und will jenes zweite Leben ebenfalls schützen.

Die CIA sucht nach dem Maulwurf in ihren Reihen. Doch Saskia Starke schafft es, den Lügendetektor zu überlisten. (Foto: rbb/ARD/Volker Roloff)

Dieses Zerrissensein zwischen zwei Systemen hat Schmidt-Schaller als Kind weniger wahrgenommen, dafür war sie zu jung. Auch das perfide Spitzelsystem der DDR in Ostberlin fiel ihr erst später auf. "Das war dann so: Dass der bei der Stasi war, das war ja klar! Oder: Ach, guck mal, der war bei der Stasi!" Schmidt-Schallers Eltern, beide Schauspieler, hielten sie als Kind aus allem "Staatskritischen" heraus, sagt sie. Die Angst, dass man Probleme bekam, weil das Kind etwas ausplauderte, sei groß gewesen. Kritische Gespräche in ihrem Elternhaus seien hinter verschlossenen Türen gelaufen, vermutet sie. Nicht offen reden können ist natürlich auch essentieller Teil ihrer Rolle als Doppelagentin. Ihren Freunden, Chefs, dem Ehemann gegenüber spielt die Agentin (und Schmidt-Schaller) überzeugend und mitunter kühl unterschiedliche Identitäten vor. In einer Szene überlistet Starke einen Lügendetektor. Dass das mit guter Vorbereitung möglich ist, ist bekannt, aber wer es wie sie macht, indem sie sich Schmerz zufügt, hält den Zuschauer in Atem.

Es geht auch um die brisanten Rosenholz-Dateien, die 1990 tatsächlich bei den USA landeten

Die Nervosität der Agentin steigt im Film und Regisseur Sven Bohse gelingt ein facettenreiches Porträt. Doch er zieht den Zuschauer auch in die historisch einmalige Zeit hinein und vertieft, ohne zu detailliert zu werden: Starke kann ihre Enttarnung nur verhindern, wenn sie ihre Akte, die in der DDR auf ihren Namen angelegt wurde, vernichtet. Und zwar bevor die US-Amerikaner sie in die Hände bekommen. Dieses Spiel aus Fiktion und Realität - die Stasi-Zentrale wurde 1990 tatsächlich gestürmt und die Karteien landeten bei den Amerikanern - funktioniert sehr gut.

Brisant waren damals die sogenannten Rosenholz-Dateien, in denen in Wendezeit auch Tatjana Leschke gelistet ist. Ein unwahrscheinlicher Wust an Karteikarten (benannt nach einem Geheimdienstvorgang), auf denen "etwa 300 000 deutsche Bürger standen, aus der DDR, Westberlin und der BRD, und maximal etwa 6000 Agenten", sagt der Berliner Politologe und Stasiforscher Helmut Müller-Enbergs.

Wer darin auftauchte, den hatte die Stasi in irgendeiner Weise auf dem Radar - sowohl Spitzel als auch Überwachte, es reichte aber auch schon Enkel oder Gattin eines IM zu sein. Hätte die CIA von Starkes Kartei erfahren, hätte sie ermittelt und sie vermutlich wegen Verrats angeklagt. Mit der puren existenziellen Angst, die fortlaufend Thema ist, ist ein packender Film gelungen. Ungenauigkeiten, wie Alleingänge der Spionin, für die viel mehr Agenten notwendig gewesen wären oder die allzu umsorgende Rolle von Markus Wolf, verzeiht man den Machern.

Wendezeit , Das Erste, Mittwoch, 20.15 Uhr.

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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