Fernseh-Persiflage:Die scheinbar Uneitlen sind oft die allerschlimmsten

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Olli Dittrich als Meisterreporter Sigmar Seelenbrecht: Wer rote Hosen anzieht, applaudiert sich selbst. (Foto: Beba Lindhorst/WDR)

Olli Dittrich persifliert das öffentlich-rechtliche Fernsehen, indem er durch ein außerordentlich liebevoll ausgestattetes Museum dieses Fernsehens führt.

Von Holger Gertz

Am Anfang erzählt der Meisterreporter Sigmar Seelenbrecht von seinem Alterswerk, einer Dokumentation mit dem Titel Bären im Trentin. In der Doku also feiert Seelenbrecht den Bären in seiner ganzen Vielfalt, er erzählt vom Grizzly, vom Braunbären und auch vom Malaienbären, der sich selbst Kunststücke beibringt. Der Malaienbär ist Seelenbrechts Lieblingsbär; der Bär als solcher war eine große Geschichte in seinem Journalistenleben. Seelenbrecht hat enthüllt, dass der 2006 erschossene Problembär Bruno in Wahrheit der Hausbär des Papstes Benedikt gewesen ist, dieser Bär trug auf seinem Rücken eine rote Tasche, darin ein Glas Honig als Wegzehrung.

Der Meisterreporter - Sigmar Seelenbrecht wird 81 ist die siebte Persiflage des WDR innerhalb des TV-Zyklus von und mit Olli Dittrich. Tierfreund Dittrich fördert in seinen Geschichten immer sehr schön das Komische auch aus dem Tierreich ans Tageslicht, in einem früheren Stück war er mal ein Forscher, der die Kurzhalsgiraffe entdeckt hat. Im aktuellen Fall hat die Bärennummer eine Beziehung zur Echtwelt: Im Wappen von Benedikt befindet sich tatsächlich ein Bär, und tatsächlich trägt dieser Bär eine rote Tasche. Man kann sich vorstellen, wie Olli Dittrich dieses Wappen irgendwann entdeckt und daraus diese ganze irre Geschichte entwickelt hat. Die kleinen Dinge sehen und ihre Größe begreifen.

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Wahrhaftige Legenden wie Jauch, Wickert und Anne Will reden im Film über Seelenbrecht, den es nicht gibt, den es aber geben könnte. Der Meisterreporter ist in verschiedenen Phasen seines Schaffens zu bewundern. Dittrich ist der schmierhaarige Jungjournalist Seelenbrecht aus den Sechzigern; der kurzbärtige Tagesthemen-Kommentator Seelenbrecht aus den Achtzigern; er ist der Grandseigneur im Ruhestand, der vor einer Bücherwand der Gegenwart sitzt, auf sein Leben zurückschaut und dabei rote Hosen trägt. Wer rote Hosen anzieht, applaudiert sich selbst. Und darum geht es diesem Seelenbrecht, der so uneitel rüberkommt, aber in Wahrheit natürlich gefeiert und gepriesen werden will. Die scheinbar Uneitlen sind in dieser Hinsicht oft die allerschlimmsten.

Olli Dittrichs Vater Kurt war Journalist und Journalistenausbilder. Dittrich kennt sich also aus in dieser Berufsgruppe, und ihm ist klar, dass speziell jene Journalisten, die entsprechend weit rumgekommen sind in der Welt, von einem bestimmten Zeitpunkt an dazu neigen, vor allem von sich selbst zu erzählen. Wer sein Handwerk an einer Journalistenschule gelernt hat, weiß, wie ermüdend das sein kann. Der kennt diese charakterisierenden Sätze, die sich Dittrichs Seelenbrecht für sich selbst zurechtgelegt hat: "Willy Brandt hat gesagt: Wenn du was wissen willst, frag den Seelenbrecht. Der sagt die Wahrheit."

Der Kommentar in den Spätnachrichten war immer schon ein Fest für die Plattitüdenkönige

Seelenbrecht nuschelt sich durch die Weltgeschichte wie Scholl-Latour oder Ruge oder Erich Böhme, er hört sich mal ein wenig wie Sigmund Gottlieb an, sieht aber eher aus wie früher der zauselige NDR-Mann Peter Gatter. Dittrich persifliert das öffentlich-rechtliche Fernsehen, indem er durch ein außerordentlich liebevoll ausgestattetes Museum dieses Fernsehens führt. In Schwarz-Weiß-Sequenzen aus fiktiven Weltspiegel-Reportagen der Sechzigerjahre tritt sein Seelenbrecht auf, aus dem Off seine Stimme im Klang jener Zeit, blechern und überbetont. Und immer wieder: Seelenbrecht in den Nachrichtensendungen. "Ich will den Teufel wirklich nicht an die Wand malen", sagt er in einem Kommentar aus dem Jahr 1999. "Wer nicht hören will, muss fühlen", sagt er in einem Kommentar aus dem Jahr 1973. Und: "Bahn frei für bessere Luft."

Der Kommentar in den Spätnachrichten war immer schon ein Fest für die Plattitüdenkönige aller Sender der ARD. Wie überhaupt die Plastikfernsehsprache mit ihren abgegriffenen Bildern in Der Meisterreporter sehr bewusst strapaziert wird. "Er ist noch ganz gut zu Fuß, der Faktenjäger mit der gestreiften Krawatte, wie der Volksmund ihn schon in den Siebzigern taufte." Oder: "Im Insidersprech wird viel über diesen legendären Giftschrank gemunkelt." Oder: "Seelenbrecht tut das, was man wohl aus dem Nähkästchen plaudern nennt."

Eine Dreiviertelstunde macht sich Dittrich Gedanken über Themen des Lebens: Selbstbild, Kommunikationsverhalten, Malaienbären. Abgesehen davon wird die Rolle des Meisterreporters Seelenbrecht bei der Einführung des Farbfernsehens und der Komposition des Stones-Hits "Angie" geklärt. Außerdem werden endlich die Hintergründe einer rätselhaften Medaillenflut deutscher Sportler aus dem Jahr 1985 ausgeleuchtet. Becker siegte in Wimbledon, der Golfer Langer in Augusta, der Radfahrer Thaler gewann die Querfeldein-Radweltmeisterschaft. Seelenbrecht recherchierte und sprach im Juli 1985 einen Kommentar: "Übereifrige Dopingjäger haben unsere Helden unter Generalverdacht gestellt. Und das nur, weil diese Sportler gepanschten Wein getrunken hatten, Oggauer Welsch Riesling Spätlese, verteilt ausgerechnet beim Ball des Sports. Ein Ball, der sich damit selbst ins Aus katapultiert hat."

Herrlicher und sehr kluger Irrsinn.

Der Meisterreporter - Sigmar Seelenbrecht wird 81 , ARD, Donnerstag, 23.30 Uhr.

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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