Dominic Proctor im Werbemarkt:Unbekannter mit der Macht von 90 Milliarden

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Dominic Proctor ist ein Großer in der Medienbranche - und doch kennt ihn keiner. Er ist Chefs eines Konglomerats von Media-Agenturen. Sein Geschäftsmodell: Riesige Mengen an Werbeplätzen mit großen Rabatten kaufen und teuer verschachern.

Jochen Kalka

Der mächtigste Mann der europäischen Werbemärkte ist gut geschützt. Höchste Sicherheitsstufe. Die gilt auch fernab seines Büros in London, hier in Cannes an der Côte d'Azur. Kein unbefugter Gast darf das Gebäude betreten. Wachpersonal steht im Aufzug. Ganz oben wartet Dominic Proctor. Er ist der Boss von Group M, eines Konglomerats von Media-Agenturen, die das Geld der Werbekunden an die Medien leiten - wenn sie es als günstig empfinden. Diese Group M ist das Phantom der Medienmärkte und der ganze Stolz des Mutterkonzerns WPP.

Dominic Proctor ist also ein Großer des Mediengeschäfts. Und doch kennt ihn keiner. Man kennt Leute wie Rupert Murdoch, die schrille Zeitungen besitzen oder bunte Sender lenken. Aber den Chef einer Groß-Media-Agentur?

Und doch herrscht Mister Proctor weltweit über 90,77 Milliarden Euro Werbegeld. 90,77 Milliarden, das sind 20 Milliarden Euro mehr, als der gesamte BMW-Konzern im Jahr umsetzt. Nun bittet der Herr von Group M zu einem kleinen Empfang am Mittelmeer. 40 wichtige Werbekunden aus aller Welt sind geladen. Sie blicken vom 9. Stock einer gemieteten Räumlichkeit mit Dachterrasse über die Croisette hinweg auf die Wellen.

Einladung zum Fest des Erfolgs

Der omnipotente Group M-Chef hat allen Grund zum Feiern: Um 8,1 Prozent ist sein Imperium - zu dem vier Media-Agenturen gehören - im vergangenen Jahr gewachsen. Der Marktanteil der weltweit größten Gruppe ihres Gewerbes liegt bei 28,4 Prozent, hat der "Recma Report" errechnet - er ermittelt jährlich sämtliche Agenturdaten. In Deutschland ist der Werbezeitenhändler Group M sogar mit einer Marktmacht von knapp 40 Prozent unterwegs, weit vor den Konkurrenten. Aegis Media und Omnicom kommen jeweils auf lediglich je gut 14 Prozent.

Der Gigant Group M, "mit einer Armee von 20.000 Mitarbeitern", wie Proctor das ausdrückt, ist in Deutschland sehr umstritten. Das liegt an einem speziellen Geschäftsfeld, das vor allem die Tochter-Agentur Mediacom forciert: das ist das sogenannte Trading. Dabei kaufen Mediaagenturen von Fernsehsendern oder Verlagshäusern riesige Mengen an Werbeplätzen mit großen Rabatten ein, also viele Sendeminuten oder Presse-Seiten, um sie dann teurer zu verschachern. Sie sind Zwischenhändler, die den Medien die Arbeit, aber auch das Geschäft abnehmen. Sie sind Krisen-Profiteure.

Masse statt Klasse

Andere Media-Agenturen buchen Spots und Anzeigen explizit für ihre Kunden direkt bei Sendern und Verlagen. Viele tüfteln Mediapläne aus, die sich fein nach Zielgruppen ausrichten, die Dinge wie Qualität und Entscheidernähe werten und wichten. Die Großen jedoch, so der oft vorgebrachte Vorwurf, ermitteln über Computerprogramme einfach die billigsten Werbeplätze. Hier zählt die Masse, denn die bringt den Tausender-Kontakt-Preis, die heilige Größe, nach unten. Das ist der Wert, der anzeigt, wie teuer es ist, tausend Zuschauer, Nutzer oder Leser zu erreichen.

Trading-Agenturen, wettern Kritiker, würden besonders gern billige Werbeplätze unter ihren Kunden verteilen. Dominic Proctor nerven solche Kritiker seines Systems: "Jeder Markt ist hart, egal, ob man einen Teppich kauft oder einen Fernsehspot", erklärt er gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Da gebe es immer einen Verkäufer und einen Käufer. Und das sorge nun einmal für Diskussionen. "Wir versuchen doch nur, das Beste für unsere Kunden herauszuholen", führt er weiter aus.

Er wirkt dabei fast schon bescheiden.

Gegner des Trading-Systems befürchten immer weiter fallende Preise - und das in einem äußerst nervösen und unsicheren Werbemarkt. Manch großes Medienhaus, gerade in Deutschland, wehrt sich vehement gegen diese Trading-Politik.

Der Werbezeitenvermarkter der RTL-Gruppe, IP Deutschland, geht offenbar bis heute nicht auf diese Praktiken ein. Einer der wenigen Widerstreiter gegen Media-Macht. Doch dazu möchte sich der Brite nicht äußern. Das ist ihm zu speziell.

"Trading ist doch keine schlechte Sache", wehrt sich Dominic Proctor ganz grundsätzlich. "Wir sind Marktführer. Es ist uns nicht peinlich, diese Situation für Kunden auszunutzen."

Diesem Zweck dienen auch andere wichtige Tochterfirmen wie Xaxis oder Quisma. Sie tarieren aus, was sich in Zielgruppen so genau tut.

Dominic Proctor gegen den Rest der Agenturwelt

Erst seit Januar ist Präsident Proctor der mächtigste Mediamanager der Welt. Er gilt als Veteran der Szene. Schon 1979 startete er seine Karriere im Planungs-Business bei Everett's in London. Zu seinen Stationen gehören Agenturen wie Allen Brady & Mash oder J. Walter Thompson (JWT). Dann wechselte er - immer in London bleibend - im Jahr 1997 zu Mindshare Worldwide. Das war damals eine Neugründung in dem weltweit größten Werbenetzwerk WPP des Martin Sorrell.

Zur WPP-Gruppe gehören Werbeagenturen wie Grey, Ogilvy, Scholz & Friends und JWT. Lauter bekannte Namen. Mit diesen Kreativfabriken will es Proctor aufnehmen - und zum Rivalen im eigenen Haus werden. "Es ist eine Art Wertewandel", sagt er. Vor zehn Jahren noch hätten Mediaplaner schlicht als "Erbsenzähler" gegolten, die nur Werbung eingebucht hätten. "Die relative Relevanz von Media-Agenturen bewegt sich von reinen Budget-Transaktionen hin zum kreativen Business", befindet er jetzt.

Das heißt: Proctor will mit Group M nicht nur die Werbung in den Medien der Welt verteilen, sondern selbst immer mehr Kreation verantworten. "Alle Agenturen überschneiden sich zu einem gewissen Grad."

Proctor und die teuren Gäste

Das war auch jüngst beim weltweit größten Werbefestival in Cannes zu sehen. Da kamen ausgerechnet in der Kategorie "Media" die meisten Einreichungen von Kreativagenturen - nicht von Planern, wie es Proctor wollte. Aber der Wettbewerb lief ohnehin nicht nach dem Gusto des 56-Jährigen. Er unterstellt den Juroren Böses: "Es gab diesmal jede Menge Gerüchte, dass die Urteile korrupt gewesen seien. Mehr als jemals zuvor." Auch WPP-Boss Sorrell haut in diese Kerbe. Der Cannes-Veranstalter prüft nun das Jury-Verfahren.

Auf der Dachterrasse in Cannes kommen die ersten Kunden an. Manager Proctor, lässig gekleidet im weißen Polohemd von Ralph Lauren, blickt auf seine Rolex mit Oyster-Armband. Nun müsse er sich um seine Gäste kümmern. Das sind Gäste, die ihm 90 Milliarden Euro bescheren.

© SZ vom 27.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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