Dokumentation:Bikinifreie Zone

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Die Filmemacherin Sung-Hyung Cho durfte nach Nordkorea reisen, musste dafür aber ihren südkoreanischen Pass abgeben. Weil sie die Sprache spricht, kann sie ihren vom Regime gecasteten Gesprächspartnern mit scheinbar naiven Fragen viel entlocken.

Von Viola Schenz

Die wenigen Bilder, die einen aus Nordkorea erreichen, sind seit Jahrzehnten die gleichen: Militärparaden, ein Diktator beim Raketentest, abgemagerte Bauernkinder, Menschen, die vor gewaltigen Denkmälern kollektiv in Tränen ausbrechen, Massen, die "für den geliebten Führer" synchron marschieren oder tanzen. Nur selten schaffen es ausländische Reporter, eine Drehgenehmigung zu erhalten und dann, natürlich bewacht von Regimevertretern, ausgewählte Nordkoreaner zu treffen und zu interviewen.

Sung-Hyung Cho ist das gelungen. Die Regisseurin, die 1990 zum Studieren von Seoul nach Marburg ging, musste allerdings für ihren Dokumentarfilm Meine Brüder und Schwestern in Nordkorea ihre südkoreanische Staatsbürgerschaft aufgeben und die deutsche annehmen. Als Südkoreanerin hätte sie keine Einreise- und Drehgenehmigung für den Norden erhalten. Natürlich darf auch sie nur unter Bewachung ausgewählte Menschen über deren Alltag befragen. Aber da Cho ihre Sprache spricht, kann sie den Leuten mit scheinbar naiven Fragen viel entlocken.

Der Leiter eines Freizeitbades erzählt ihr begeistert, dass der große Führer persönlich Entstehung und Fertigstellung des Bades überwacht habe, und dass Bikinis verboten seien, weil sie den Versuch des Feindes darstellten, das Land kulturell zu unterwandern. Ein Schuldirektor zeigt auf einen Klappschreibtisch und meint: "Hier zeigt sich wieder die Liebe des Führers für den Nachwuchs." In einem Musterkollektiv erfährt Cho, dass man von seiner Reisration ans Kollektiv abgeben muss, denn: "Solange der Staat stark ist, schaffen es die Imperialisten nicht, uns zu überfallen."

Man kennt diese Hirnwäsche von der jahrelangen Berichterstattung aus dem abgeschotteten Land. Und doch machen die spontanen, selbstverständlichen Reaktionen sprachlos. Zum Beispiel eine Großmutter, deren Vater einst "den Märtyrertod für die Revolution" starb. Sie sitzt mit ihrem erwachsenen Enkel auf dem Wohnzimmerboden und erzählt die Geschichte eines Soldaten, der auf einem Bahngleis ein abgerissenes Stromkabel findet, es um sich schlingt, damit in den Tod springt und so einen Zug vor dem Entgleisen bewahrt. "Ich wäre stolz, wenn dieser Soldat mein Enkel wäre", sagt sie, wenn er im entscheidenden Moment sein Leben für Volk und Führer opferte. Der Enkel neben ihr malt mit dem Zeigefinger Muster in den Teppich.

Sung-Hyung Cho machte sich einen Namen mit Full Metal Village, einem prämierten Film über das Heavy-Metal-Festival in Wacken, das der Film auf eine staunende Art wunderbar porträtierte. Meine Brüder und Schwestern in Nordkorea lief 2016 auf Festivals und gewann zwei Dokumentarfilmpreise, die ARD zeigt die Fernsehversion mal wieder spät am Abend. Und Sung-Hyung Cho, die so viel zu sehen bekam, spricht zum Schluss des Films dem Zuschauer aus der Seele, als sie sagt: "Ich habe noch so viele Fragen."

Meine Brüder und Schwestern in Nordkorea , ARD, 22.45 Uhr.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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