Digital Audio Broadcasting (DAB):Beleidigung der technischen Intelligenz

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Das Letzte, was Menschen im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausend brauchen, ist Digital Audio Broadcasting. Das Internet macht diesen einstigen Hoffnungsträger der digitalen Radioübertragung inzwischen überflüssig. Jetzt kostet er nur noch Gebührengeld.

Bernd Graff

Es ist, als ob man Formel-1-Wagen mit Holzrädern bestückte. Oder Smartphones mit Wählscheiben. Oder ICEs mit Kohle-Tendern. Es ist zum Verzweifeln. Wie immer, wenn veraltete Technologie den Stand jeweiliger Technik hintergeht. Man spricht dann von Atavismen. Den Start des aus öffentlich-rechtlichen Etats finanzierten, terrestrischen Digitalradios wird man als einen Atavismus bezeichnen müssen: Man weiß jetzt schon, dass DAB (Digital Audio Broadcasting) eine überholte Technologie ist.

Moderator eines DAB-Senders in Franken im Jahr 2000. Der Übertragungsstandard war einst eine vielversprechende Technologie, doch inzwischen hält das Internet abertausende Radio- und Musik-Dienste bereit. (Foto: DPA)

In Deutschland wird sie von 1. August an als "Digital Radio plus" (DAB+, auch DAB Plus) geschaltet. Das älteste elektronische Medium, das sich von den technologisch überalterten UKW-Frequenzen verabschiedet, bewegt sich damit nicht in Richtung Zukunft, sondern gebührenfinanziert in eine Sackgasse der Technik-Evolution.

Seit zwei Jahrzehnten werkelt man an dem Projekt: "Digital Radio, das über terrestrische Antennen ausgestrahlt wird." Damals - also vor zwei Jahrzehnten - war die Technik auch revolutionär. Der empfangene Klang wird als CD-nah empfunden, es gibt kein Rauschen und kein Knistern mehr. Außerdem kann man mit dem Hörfunk-Datenstrom programmbezogene Zusatzinformationen als Text senden: Verkehrsinformationen etwa, Wetterberichte, den Sendernamen und aktuelle Songtitel. Alles ganz toll. Damals.

Denn zu jener Zeit, kurz nach dem Mauerfall, gab es weder Handys, die ständig im Internet sind, noch GPS-Navigation, die aktuelle Routen auf Grundlage von Ortung und aktueller Verkehrssituationen berechnet. Es gab noch nicht einmal das Internet wirklich.

Netzfähige Smartphones und GPS für PKW aber sind die Standards von heute. Die Menschen sind inzwischen hinlänglich vernetzt und aktive Internetnutzer, selbst wenn sie mobil sind. Und das Internet hält bereits abertausende Radio- und Musik-Dienste bereit. Selbst das etablierte, überall empfangbare terrestrisch ausgestrahlte Fernsehen (DVB-T) kann Radiosender nebenbei mitübertragen.

Eine Sackgasse der Technik

Das letzte also, was Menschen im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausend brauchen, ist eine abgeschottete Nur-Sende-Technologie, die neben bereits vorhandene kommunikations-offenen Standards tritt. Der mit politischem Wohlwollen und viel Gebührengeld gepäppelte Wachkoma-Patient DAB (mit oder ohne plus) ist daher eine Beleidigung der technischen Intelligenz unserer Zeit.

Seit dem Start von DAB Mitte der neunziger Jahre krankt dieser Regeldienst daran, dass er wenig mehr ist als das Versprechen, einmal irgendwas zu sein. Es gab und gibt kaum Sender, kaum Programme, fast keine Endgeräte, vulgo: Radios, die DAB empfangen können - und folglich keine Zuhörerschaft. Hinzu kommt das Klagen derjenigen, die sich DAB-Radios angeschafft haben - in Deutschland sind es nach einer Studie der Uni Bonn aus dem Jahr 2007 etwas mehr als eine halbe Million Haushalte.

Zu den Klagen gehört: die DAB-Empfangsgeräte seien zu teuer, ihr Stromverbrauch sei zu hoch, folglich sei es nicht sinnvoll, portable Geräte anzuschaffen, da der rapide Batterie-Verschleiß nicht hinnehmbar sei. Und Zimmer-Geräte, so hörte man in der Vergangenheit, hätten einen schlechten Empfang.

Internet-Radio ist längst da

Das sind Totschlagargumente angesichts der Tatsache, dass UKW-Empfänger Pfennigware sind, die man zu den Haferflocken dazu bekommt. Und angesichts auch der Tatsache, dass viele potentielle DAB-Kunden längst Geräte erstanden haben, die für den Empfang von Internet-Radio ausgelegt sind. Die ja, aber das nur nebenbei, auch längst von denselben Radio-Sendern bedient werden, die jetzt auf den müden DAB-Zug aufspringen.

Warum nur, fragt sich der Gebührenzahler. Eine Frage, die sich auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, KEF, wiederholt gestellt hat.

Die ARD etwa hatte für den Zeitraum 2009 bis 2012 140 Millionen Euro DAB-Entwicklungshilfe beantragt. Dazu formulierte die KEF in ihrem "16. Bericht zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" vom Dezember 2007 scharf und bündig: "Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass eine Fortführung der DAB-Finanzierung nicht in Frage kommt. Eine erfolgreiche Digitalisierung des Hörfunks ist mit diesem Ansatz nicht mehr zu leisten. In der Ära der Entwicklung von DAB war an Internetradio, Satellitenradio, Radio über DVB-T, Mobile Broadcast, MP3-Player, Podcast et cetera noch nicht zu denken. Alle diese Verbreitungswege sind heute Realität."

Die Erde hat sich weitergedreht

Im Herbst 2009 stand DAB vor dem Aus: Damals legte die KEF einen 42-Millionen-Euro-Etat für weiteren Netzausbau auf Eis, da sie kein wirtschaftlich sinnvolles Konzept darin erkennen mochte. In ihrer Pressemitteilung von damals heißt es: "Bei den Projektanträgen zum Digitalen Hörfunk wurden wesentliche, von der KEF benannte Kriterien nicht erfüllt, so dass die Wirtschaftlichkeit der Projekte nicht nachgewiesen werden konnte."

Im Dezember vorigen Jahres erklärte die KEF, diese Mittel nur freizugeben, wenn sich Deutschlandradio, private Hörfunksender und der Netzbetreiber Media Broadcast, eine ehemalige Telekom-Tochter, über gemeinsame Programm-Ausstrahlungen in Form eines "Radio-Multiplexes" verständigen könnten.

Das scheint gelungen. Denn die KEF gab im Februar 2011 für die ARD Mittel in Höhe 23,75 Millionen Euro und für Deutschlandradio 12Millionen Euro frei. Ab 1. August werden Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, DRadio Wissen mit DAB+-Programmen auf Sendung gehen. Hinzu kommen Angebote privater Sender. Habemus Multiplex! Noch einmal: Dieselben Sender strahlen ihre Programme längst im Internet aus.

Lebte man in einer Welt, die ausschließlich DAB zur Verbreitung digitalen Hörfunks zur Verfügung hätte, müsste man schon monieren, dass der neue Standard so spät kommt. Es hat aber einen einfachen Grund, dass dieser neue Standard so spät kommt: Die Erde hat sich weiter gedreht.

Es gibt längst von den Hörern akzeptierte Alternativen zu DAB. Wollte man diesen Hörern einen Gefallen tun, dann sollte man Gebührengelder in den Ausbau der Internet-Erreichbarkeit stecken. Aber dafür sind die Gelder nicht vorgesehen. Dumm nur, dass man ihnen jetzt bei der Verbrennung zusehen muss.

© SZ vom 02.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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