Deutschlandradio:Hierarch dringend gesucht

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Wird er der neue Chef des einzigen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Hörfunks? Stefan Raue, geboren 1958, derzeit Chefredakteur beim MDR, wo er TV, Hörfunk und Web zusammenbrachte. Auch das DRadio experimentiert digital. (Foto: MDR/Marco Prosch)

Die Anstalt braucht einen Nachfolger für den scheidenden Intendanten Willi Steul. Favorit ist ein Mann, der schon den MDR digital aufgerüstet hat.

Von David Denk und Stefan Fischer

Willi Steul ist die große Geste nicht völlig wesensfremd. Insofern dürfte der Termin diesen Mittwoch im Großen Saal des Berliner Literaturhauses ganz nach dem Geschmack des scheidenden Deutschlandradio-Intendanten sein. Nach einer Laudatio von Ex-First-Lady Daniela Schadt diskutiert der promovierte Ethnologe Steul mit zwei Professoren über das Anfang Mai erscheinende Buch Koran erklärt zur gleichnamigen Deutschlandfunk-Sendung, dessen Herausgeber ebenfalls Steul ist. "Ein Beitrag zur Aufklärung" will das Buch gemäß Untertitel sein; im Anschluss findet ein kleiner Empfang statt - einer der letzten in der Amtszeit Steuls.

Im vergangenen Jahr hatte der Intendant, der in wenigen Tagen 66 wird, seinen vorzeitigen Rückzug zum 1. Mai 2017 angeboten. Sein Vertrag läuft eigentlich noch bis 2019. Angesichts der Debatte um die langfristige Finanzierung, den Auftrag und die Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks brauche der Sender "einen mit den Bedingungen des Hauses vertrauten und eingearbeiteten Intendanten, der sowohl nach innen als auch nach außen eine deutlich über das Jahr 2019 hinausreichende Führungsperspektive vermittelt", begründete Steul seine Entscheidung. Gerüchte, wonach der vorzeitige Rückzug bereits Teil eines politischen Deals bei seiner Wiederwahl 2014 gewesen sei, dementierte er mehrfach entschieden.

Aber wer soll das sein, der gut eingearbeitete Mann der Zukunft? Nun, zumindest für die kommenden zwei Monate ist ein Nachfolger für Willi Steul gefunden: Willi Steul. Mangels Nachfolger wird der Amtsinhaber seinen Vertrag vorerst weiter erfüllen, voraussichtlich bis Ende Juni. Die Kandidatensuche hatte sich hingezogen, nun hat der Verwaltungsrat des Senders einen gefunden, den das eigentlich entscheidende Gremium, der Hörfunkrat, zu seinem Missfallen auf der nächsten Sitzung am 8. Juni nur noch abnicken muss: Wie der Tagesspiegel zuerst und nach SZ-Informationen zutreffend berichtete, fiel die Wahl auf Stefan Raue, Jahrgang 1958, derzeit noch trimedialer Chefredakteur beim MDR.

Der achtköpfige Verwaltungsrat hat vier Mitglieder aus der Politik sowie je zwei von ARD und ZDF. Seine Aufgabe bei der Wahl ist die Empfehlung eines oder mehrerer Kandidaten an den Hörfunkrat, aber dafür ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Von den vier Kandidaten Andreas-Peter Weber (Programmchef Deutschlandradio), Eckart Gaddum (Leiter ZDF-Hauptabteilung Neue Medien) und Martin Hoffmann (Intendant Berliner Philharmoniker) überstand nur Raue den Auswahlprozess.

Eine Ost- und eine Westwelle, dazu ein US-gegründetes Radio: Das alles wurde 1994 ein Sender

Gesucht wird der erst dritte Intendant des Deutschlandradios mit seinen Sendern Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk und DRadio Wissen. Der Sender besteht seit 1994, Gründungsintendant ist Ernst Elitz, er war beim Rias, der Zeit, dem Spiegel, beim ZDF, wo er Kennzeichen D moderiert hat, beim SDR als Fernseh-Chefredakteur. Auch sein Nachfolger Steul ist ein politischer Journalist, er war für die ARD als Korrespondent in Beirut und Afghanistan und stellvertretender Intendant beim SWR. Er gilt nach der Arithmetik der Rundfunkpolitiker als Konservativer, Elitz wird den Sozialdemokraten zugerechnet. Nach dieser Logik müsste nun wieder einer aus dem linken Lager zum Zug kommen. Einer wie Raue, den für den Job wohl auch qualifiziert, dass er als guter Organisator und digital denkender Hierarch gilt. "Ein klares öffentlich-rechtliches Profil, publizistische Kompetenz und medienübergreifenden Gestaltungswillen" hatte ihm der damalige Intendant Udo Reiter zum Amtsantritt beim MDR 2011 bescheinigt. Hinzu kommt, dass Raue so viele Sender von innen kennt wie wenige: Vor der Berufung nach Leipzig arbeitete der gebürtige Wuppertaler beim WDR, bei Rias-TV, bei Deutsche Welle TV und beim ZDF, zuletzt als Redaktionsleiter des 2012 eingestellten ZDF-Magazins Blickpunkt, das einen Schwerpunkt auf die neuen Bundesländer legte.

Anders als in Großbritannien oder Frankreich mit den altehrwürdigen Sendern BBC und Radio France ist nationaler Hörfunk in Deutschland ein junges Phänomen: Das Deutschlandradio entstand 1994 durch die Fusion von Deutschlandfunk, Rias Berlin und dem DS Kultur, in den wiederum vier Jahre zuvor Radio DDR II und der Deutschlandsender aufgegangen waren. Eine Ost- und eine Westwelle, dazu der von den USA gegründete Westfunk, der sich als Stimme der Freiheit verstand und von Berlin aus in die DDR hineingesendet hat: Das Deutschlandradio ist bis heute eine heterogene Anstalt, mit nach wie vor zwei Sitzen, in Köln und Berlin.

Es ist auch insofern eine besondere öffentlich-rechtliche Anstalt, als sie weder Fernsehen macht noch populäre Radioprogramme anbietet. Dennoch erreicht der Sender Massen: Die Informationswelle Deutschlandfunk hat laut der aktuellen Mediaanalyse 1,6 Millionen Hörer täglich, Deutschlandradio Kultur 540 000. Das ausschließlich digital zu empfangende DRadio Wissen erreicht 32 000 Hörer - es ist der einzige DAB-Sender, der in der Mediaanalyse ausgewiesen wird, die Hörerzuwächse lagen demnach zuletzt bei 68 Prozent.

Das Deutschlandradio ist deshalb auch ein wichtiger Treiber bei der Umstellung von UKW auf das digitale Radio DAB+. Zum einen aus eigenem Interesse: Obwohl der Sender einen bundesweiten Auftrag hat, weist sein UKW-Sendenetz Lücken auf. Außerdem ist die analoge Verbreitung des Programms um ein Vielfaches teurer als die digitale. Speziell bei einem Sender, der das gesamte Bundesgebiet abdecken muss, summiert sich das. Es geht aber auch um die erweiterten technischen Möglichkeiten, die DAB+ bietet. Schon jetzt experimentiert DRadio Wissen auch mit Bewegtbildern und bedient intensiv die sozialen Netzwerke. Dass Raue als Kandidat für den Intendantenposten bereits trimediale Verantwortung hat, ist da nur konsequent. Steuls große Abdankungssgeste sollte sich schließlich für den Sender auch lohnen.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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