"Der Spiegel":Verneigung vor dem "Scheißblatt"

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Feiern: Klaus Brinkbäumer, Ursula von der Leyen, Olaf Scholz (v.l.). (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Bei einem Empfang im Hamburger Rathaus feiert das Nachrichtenmagazin seinen 70. Geburtstag.

Von Thomas Hahn

Der peinlichste Moment im Journalisten-leben des Spiegel -Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer ereignete sich vor vielen Jahren beim Volleyball. Brinkbäumer war Anfang 20 und freier Reporter des Münchner Lokalradiosenders Charivari. Er sollte von einem Länderspiel berichten, das Frauen-Nationalteam hatte seine Olympia-Teilnahme verspielt. Unter verheulten Volleyballerinnen musste Brinkbäumer eine Partnerin fürs Interview suchen und fand sie in Michaela Luckner. Bald stand die Live-Schalte, Brinkbäumer sagte ins Mikrofon: "Ich stehe hier mit ..." Und dann fiel ihm der Name nicht mehr ein. Er kam einfach nicht mehr drauf. Irgendwann flüsterte Michaela Luckner: "Michaela Luckner." - "Aber das machte nichts besser", sagt Brinkbäumer.

Die Art des Spiegel, Themen zu setzen, hat Generationen von Reportern beeinflusst

Klaus Brinkbäumer, 49, hat diese Anekdote am Freitag beim Senatsempfang zum 70. Geburtstag des Nachrichtenmagazins Der Spiegel erzählt. Er lieferte sie als Vorbemerkung zu seiner Rede im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses. Und das war gut, denn die Geschichte erzählte viel über das, was einen guten Journalisten auch noch auszeichnet neben Hartnäckigkeit und Geschichten-Instinkt: Bodenständigkeit, Selbstkritik, Humor. Der Spiegel-Chef trat auf wie der Nachbar von nebenan, der nicht den Staatsmann spielen mag, bloß weil er bei einem offiziellen Anlass zwischen Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sitzt.

Vielleicht ist dieser authentische Auftritt des Spiegel-Chefs sogar wichtiger gewesen als all die klugen Dinge, die er anschließend über Verantwortung und Relevanz des Journalismus in Zeiten von Populismus und Fake News sagte. Denn gerade bei einem Jubiläum, wie der Spiegel es dieser Tage feiert, gerät vor lauter guten Reden und stolzen Rückblicken leicht der Umstand aus dem Blick, dass Journalisten nicht nur von ihrer eigenen Wichtigkeit leben. Sondern vor allem von einem ehrlichen Interesse an der Wahrheit.

Das Thema des Empfangs war der Wert des Journalismus im Allgemeinen und der des Spiegel im Besonderen. Scholz feierte das Magazin als "einen kritischen Begleiter der Bundesrepublik Deutschland, der inzwischen nicht nur unverzichtbar, sondern selbst so etwas wie eine demokratische Institution geworden ist". Ursula von der Leyen sagte, es sei "ein erfahrener und unbeugsamer Advokat der Freiheit des Wortes". Die Politik-Elite verbeugte sich sozusagen vor denen, die sie manchmal nerven - das tat gut, das war ein klares Bekenntnis gegen autoritäre Politik. Allerdings passte es nicht ganz zur Geburtstagskampagne des Magazins. Stolz zitiert der Spiegel auf seinem Jubiläums-Cover die Kraftausdrücke, mit denen Politiker ihn einst bedachten, unter anderem Willy Brandts Würdigung "Dieses Scheißblatt!". Darunter steht: "Wut kann man sich erarbeiten." Aber ist Wut wirklich immer der Lohn guter Recherche?

Der Spiegel hat als Pionier der investigativen Recherche beträchtliche Verdienste. Sein Schreibstil, seine Art, Themen zu setzen, hat Generationen von Journalisten beeinflusst. Der Zorn der Entlarvten ist dabei tatsächlich immer wieder das Symptom einer klugen Berichterstattung gewesen. Durch den Mut des Spiegel hat die junge Bundesrepublik den Wert der Pressefreiheit gelernt. Die Spiegel-Affäre, bei der ein Bericht über die mangelnde Ausstattung der Bundeswehr zu Redaktionsdurchsuchungen und U-Haft von Chefredakteur Rudolf Augstein führte, ist ein wichtiges Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte; Konrad Adenauer musste damals lernen, dass nicht alles, was ihm nicht gefällt, Landesverrat ist.

Aber man hat beim Spiegel auch immer wieder den Eindruck gehabt, als könnte er näher an den Menschen sein, als blicke er zu selbstgefällig auf die Welt. Vielen im Haus ist das offensichtlich bewusst, was aber wohl niemand so richtig wissen soll. Im vergangenen Frühjahr geriet durch den Sender SWR ein interner Innovationsreport an die Öffentlichkeit, der diesen Eindruck erweckte. Das sehr umfassende Papier beruht auf einer Mitarbeiterumfrage. "Wir überhöhen unsere Wichtigkeit", erklärte es zum Beispiel, oder: "Wir können Schwächen nicht eingestehen und erst recht nicht zeigen." Es war ein spannendes Dokument, es bezeugte, wie das wichtigste Nachrichtenmagazin Deutschlands seinen Journalismus von morgen plant, und es wäre ein schöner Anlass gewesen, auch öffentlich zu diskutieren, wie Berichterstattung in den aufgewühlten Zeiten des Internetzeitalters tatsächlich noch Orientierung geben kann.

Aber Brinkbäumer war damals sauer, dass das Papier raus kam. Darüber reden wollte er nicht. Das war nicht ungewöhnlich, und doch eine verpasste Chance, über journalistische Werte jenseits von Klick- und Auflagenzahlen zu reden. Es war, als vertrage der Spiegel die Selbstkritik nicht, mit der er Zeichen für die gesamte Demokratie-Gesellschaft setzen könnte. Dabei kann das eigentlich gar nicht sein. Klaus Brinkbäumer zumindest kann ganz gut über sich lachen, wie er am Freitag gezeigt hat.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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