"Das Boot":Treffer, versenkt

Lesezeit: 3 min

1981 hat Kameramann Jost Vacano die inzwischen weltberühmten Szenen des Filmklassikers gedreht. Warum er heute, mit 84 Jahren, in Stuttgart um ein angemessenes Honorar kämpft.

Von Stefan Mayr

Es ist eine der legendärsten Szenen der deutschen Kinogeschichte. Die ganze Besatzung des U-Boots U96 rennt panisch durch den engen Gang Richtung Bug, damit das attackierte Kriegsschiff schnellstmöglich abtauchen kann. Mittendrin damals beim Dreh des Sprints um Leben und Tod: Kameramann Jost Vacano mit seiner eigenhändig umgebauten Arri in der Hand und "gepolstert wie ein Football-Spieler" durch Helm, Knie- und Ellbogenschützer.

"Es war meine Idee, da einmal von vorne bis hinten durchzurennen", sagt der preisgekrönte Kameramann heute. Regisseur Wolfgang Petersen war begeistert. Aber nach einem Testlauf durch das Film-U-Boot in den Münchner Bavaria-Studios seien alle einig gewesen: Das geht nicht. "Wegen der Enge und der Luken - und schon gar nicht im Laufschritt", erzählt Vacano. Doch er gab nicht auf. "Ich habe dann pausenlos trainiert mit Hanteln und mir eine kleine Kamera gebastelt mit Kreiselstabilisatoren." Irgendwann hat er es geschafft, die Szene war im Kasten.

"Er hätte den Oscar kriegen müssen", sagte Hauptdarsteller Jürgen Prochnow einmal über Vacano. Seine Arbeit sei so innovativ gewesen, dass "die selbst in Hollywood gefragt haben: Wie sind die einzelnen Einstellungen nur zustande gekommen?" Den Oscar gab es zwar nicht, aber wie Prochnow schaffte auch Jost Vacano den Sprung nach Hollywood. 15 Jahre lang wirkte er dort an Filmen wie Robocop oder Total Recall mit. Sein Kamera-Konstrukt nannten sie "Joosticam".

Vacanos Einsatz um die "Alarmtauchen"-Szene hatte sich also gelohnt. Heute ist er 84 Jahre alt und nicht mehr ganz so hantelgestählt. Aber Ausdauer hat er noch: Seit 13 Jahren kämpft er in den Gerichtssälen von München und Stuttgart um eine angemessene Honorierung seiner Arbeit. Für die Dreharbeiten, die von 1980 bis 1981 dauerten, bekam er 204 000 Mark, viel Geld für damalige Verhältnisse. Aber etwas wenig, wenn man weiß, dass der Film dann mehr als 40 Millionen Euro einspielte.

Die Anstalten könnten einfach zahlen, aber sie fürchten wohl einen Präzedenzfall

Vacano fordert deshalb nun ein nachträgliches Zusatzhonorar von den ARD-Sendeanstalten, weil diese ihm zufolge 104 Mal Das Boot ausgestrahlt haben. Das Oberlandesgericht (OLG) München gab ihm im Dezember gegen den WDR und andere Recht, das Urteil spricht ihm 588 000 Euro zu. Und nun zeichnet sich in einem zweiten Verfahren gegen acht Sender vor dem OLG Stuttgart ein ähnlicher Erfolg ab: Am Mittwoch zerpflückte der Vorsitzende Richter die Argumente der beklagten Anstalten in der Luft und schlug einen Vergleich in Höhe von 330 000 Euro vor. Doch der Anwalt der Sender, Emanuel Burkhardt, wischte den Vorschlag vom Tisch. Er könne sich allenfalls eine Zahlung von 25 000 Euro vorstellen. Die Berechnung des Gerichts "krankt an Fehlern", befand er und "appellierte" an die Kammer, ihr Berechnungsmodell zu "überprüfen".

Diesen Hinweis werden die drei Richter vor der Verkündung ihres Urteils Ende September eher nicht umsetzen, das war auch ohne geschultes Kameramann-Auge deutlich zu erkennen. Im Gerichtssaal saß auch Michael Neubauer vom Berufsverband Kinematografie. Er kritisierte das Gebaren der ARD-Anstalten: "Hier wird das Urheberrecht mithilfe von Gebührengeld ausgehebelt, das ist ein Skandal."

Jost Vacano beruft sich auf Paragraf 32a des Urheberrechtsgesetzes. Der besagt: Falls das Honorar in einem "auffälligen Missverhältnis" zu den Erträgen stehe, dann müsse der Nutzer dem Urheber nachträglich eine "angemessene Beteiligung" gewähren. "Wozu wurde das Gesetz erlassen, wenn sich öffentlich-rechtliche Anstalten nicht daran halten?", fragt Vacano.

Nun könnten die gebührenfinanzierten Anstalten die genannte Summen zahlen, ohne den Ruin befürchten zu müssen. Aber sie tun es nicht. Wohl, weil sie einen Präzedenzfall befürchten. Deshalb zogen sie gegen das Urteil des OLG München vor den Bundesgerichtshof - und werden das auch gegen das Stuttgarter Urteil tun. Und seit 2016 wurde Das Boot ARD-weit nicht mehr gezeigt. Eine Nebenwirkung der ersten Urteile pro Vacano. Treffer, versenkt.

Der Fall Vacano zeigt auch die Mängel des Urheberrechts. 2002 wurde das Gesetz geändert, um die Rechte der Künstler zu stärken. Dies sei dem Gesetzgeber nur in der Theorie gelungen, "praktisch eher weniger", betonte einer der Richter. Der Paragraf sei kaum handhabbar, "weil keiner weiß, wie man das berechnen soll". Das Ringen um die "angemessene" Summe dauert seit 2005 an, der Kläger muss seine Kosten des Verfahrens vorfinanzieren. "Bald bin ich im sechsstelligen Bereich", sagt Vacano und lächelt milde. "Ich zieh' das jetzt durch, ich will ja auch was für meinen Berufsstand tun." Eigentlich sei man als "kleiner Kameramensch" gegen die "großen Medienkonzerne" machtlos. Wer klage, bekomme keinen Auftrag mehr. Er als Ruheständler könne sich das leisten. Der Mann will es wissen. Wie damals, vor seinem unmöglichen Kamerasprint durch das Boot.

Im November zeigt Sky seine neue Serie Das Boot, die von Lothar-Günther Buchheims Roman und Wolfgang Petersens Film inspiriert ist. Spätestens dann dürfte der Wunsch nach dem Werk von 1981 laut werden. Aber ein Sprecher der ARD teilt mit: "Sollte das Urteil des OLG München rechtskräftig werden, werden Wiederholungen, auch wenn sie von den Zuschauern gewünscht sind, kaum noch leistbar sein."

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: