Besuch am Drehort:Alles echt erfunden

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"Die Mockridges - eine Knallerfamilie" ist ein seltenes Experiment im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Derzeit entsteht in Köln die zweite Staffel, die noch konsequenter Mockumentary sein soll als bisher. Dafür sorgt Regisseur Robert Wilde.

Von Hans Hoff

In der Einfamilienhaus- und Vorstadtidylle von Köln-Sürth macht es plopp, und ein Mann fällt um. Das Plopp kommt von einer Champagnerflasche. Mit der soll die Pensionierung von Bill Mockridge in der Lindenstraße gefeiert werden. Gerade ist er dort in seiner Rolle als Erich Schiller ausgeschieden, 25 Jahre lang hat er den zweiten Mann von Mutter Beimer gespielt, und er hat eine schöne Leiche abgegeben. Nun liegt er schon wieder leblos am Boden. Aber nicht lange. Auf einmal steht er wieder quicklebendig im Raum und zeigt, was er von der Lindenstraße zum Abschied bekommen hat: eine Tüte mit allen verfügbaren Lindenstraße-Folgen auf DVD. Ob das alles sei, will Margie Kinsky, seine Gattin, wissen. Ja, sagt Bill. Nur die Tragetasche müsse er wieder zurückgeben. Hat ja alles seine Ordnung beim WDR.

Es geht munter über mehrere Ebenen und auch mal durcheinander. Das ist gewollt

Die Szene mit der Tragetasche gehört zu einer neuen Folge der WDR-Serie Die Mockridges - eine Knallerfamilie, einer der wenigen wirklich guten deutschen Serien in den Dritten Programmen. Die zeigte im vergangenen Jahr in vier Episoden, wie es in der Künstlerfamilie zugeht, wo nicht nur Vater Bill und Mutter Margie mit dem Medienbetrieb zu tun haben, sondern auch die sechs Söhne, zu denen der leidlich umjubelte Luke Mockridge zählt. Luke Mockridge begann auch mal in der Lindenstraße, tritt heute bei Sat 1 in seiner eigenen Sendung auf; bei dem Privatsender gilt er als Talent, von dem man sich noch einiges erwartet. Und immerhin wurde er im vergangenen Jahr ein paar Wochen lang als möglicher Nachfolger von Stefan Raab gehandelt.

Weil die erste Ministaffel der Mockridges ein Erfolg war, gibt es nun Nachschub. Sechs weitere Folgen spendiert der WDR und fördert damit ein feines Experiment, bei dem es über diverse Ebenen geht. Schließlich treten die einzelnen Glieder des Clans ohnehin stets als Kunstfiguren auf, wenn sie das Licht der Öffentlichkeit suchen. Wenn also Bill Mockridge auf eine Bühne steigt oder vor einer Kamera steht, dann ist er natürlich nicht der private, sondern der öffentliche Bill. In der Serie tut man so, als beschreibe man das echte Leben jener öffentlichen Mockridges. Dass die Ebenen dabei leicht mal durcheinandergeraten, ist gewollt. Aber manches ist dann doch echter, als man denkt.

Man kann die Serie, für alle jene, die sie nicht kennen, zum Beispiel mit der von Bastian Pastewka vergleichen, wo ja auch eine Kunstfigur so tut, als spiele sie sich selbst, während sie in Wahrheit nur eine weitere Kunstfigur etabliert. "Bastian hat die ersten Folgen gesehen und fand sie toll. Das war ein echter Ritterschlag", sagt Bill Mockridge. Andererseits sieht er sich nun mit erhöhten Ansprüchen konfrontiert. "Man kann sich beim Drama viel leichter durchmogeln", sagt er über seine Vergangenheit. In der neuen Serie funktioniert das nicht so einfach. "Comedy ist Comedy. Entweder du lachst, oder du lachst nicht."

"Wir nehmen alles auseinander", sagt Sohn Luke, der zunehmend Spaß an seinem neuen Dasein als Schauspieler zu haben scheint. In der ersten Staffel sei er das eine oder andere Mal aufgefallen, weil er seinen Text nur mäßig beherrschte, hört man. Das ist nun anders: "Mein Ehrgeiz ist jetzt, professioneller zu sein." In seiner Serienrolle gibt er den Fernseh-Shootingstar, den Medienschnösel, als der er in der Drehpause so gar nicht durchgeht.

Man merkt am Umgang von Vater Bill, Mutter Margie und Sohn Luke schnell, dass sich da Menschen auf Augenhöhe begegnen. Anders könnte so eine Sippe, in der irgendwie alle etwas mit Medien zu tun haben, auch gar nicht funktionieren. Zudem sieht Luke das Projekt als eine Art bezahlte Familienzusammenführung. "Wir haben dem WDR die Sendung vorgeschlagen, damit wir uns überhaupt mal alle sehen", sagt er. Für eine Weihnachtsfolge kommen alle sechs Söhne zusammen, Arbeitstitel: "Das Krippe-Virus".

Mal sehen, ob sich der WDR den Mut zum Risiko bis zur Ausstrahlung bewahrt

Für einen öffentlich-rechtlichen Sender ist solch eine Serie Versuchung und Wagnis zugleich. Ein kleines bisschen brav war sie noch zuletzt, doch das könnte sich ändern, weil Robert Wilde nun Regie führt. Den kennt, wer ein paar Arbeiten von Schauspieler und Fernsehmacher Christian Ulmen gesehen hat. "Die Serie verträgt etwas mehr Realismus, etwas mehr Dokumentarisches", sagt Wilde. Man wolle den Mockumentary-Gedanken mehr nach vorne stellen, also die dokumentarische Anmutung einer erfundenen Geschichte.

Bis Mitte August wurde gedreht in dem kleinen Einfamilienhaus in Köln-Sürth. Wann man sehen kann, ob der ausnahmsweise mal mutige WDR seine Lust am Risiko bis zur fertigen Sendung bewahrt hat, ist noch nicht raus. Ein Sendeplatz wird noch gesucht.

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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