Aufsichtsgremium:Zweiter so

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Das ZDF hat einen neuen Fernsehrat, der sich weniger vom alten unterscheidet als vom Verfassungsgericht beabsichtigt. Als Zeichen des Übergangs wurde am Freitag gleich zweimal getagt. Ein Besuch im Sitzungssaal.

Von Hans Hoff

Es gibt Wasser, Saft und Fruchtsalat im Glas. Dazu pünktlich um neun Uhr ein zartes Klingeling. Damit läutet Ruprecht Polenz am Freitagmorgen die letzte Sitzung des alten ZDF-Fernsehrats ein, die letzte mit dem CDU-Mann als Vorsitzendem, die letzte mit 77 Ratsmitgliedern. Weil das Bundesverfassungsgericht bestimmt hat, dass zu viele Politiker dort das Sagen haben, muss umgebaut werden. Künftig hat der Fernsehrat nur noch 60 Mitglieder. Um den Übergang zu demonstrieren, gibt es auf dem Mainzer Lerchenberg gleich zwei Sitzungen an einem Tag.

"Zuerst die letzte Sitzung des alten Fernsehrates, danach wird es bunter, jünger und weiblicher", twittert Jenny Renner, die künftig LSBTTIQ (Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queere Menschen) vertritt. Sie ist neu im Gremium, sie hat offenbar große Hoffnungen. Vielleicht zu große. Als Marlehn Thieme 195 Minuten später als neu gewählte Fernsehratsvorsitzende die zweite Sitzungsrunde beschließt, ist nur ein ganz kleines bisschen zu spüren von bunter, jünger und weiblicher.

Das Problem: Politiker bleiben mächtiger, als sie es sein sollten, werden nur nicht mehr von Parteien entsandt

Im Prinzip funktioniert der neue Fernsehrat nämlich wie der alte. Es werden Tagesordnungspunkte aufgerufen, und irgendwer aus irgendeinem Ausschuss sagt etwas dazu, gibt eine Beschlussempfehlung, und die wird dann abgenickt. Man ist sich mehrheitlich einig. Kampfabstimmungen gibt es an diesem Freitag nicht.

Das hat viel damit zu tun, dass der neue Fernsehrat genau wie der alte schon, am Vortag von zwei Phantomausschüssen, sogenannten Freundeskreisen, vorbereitet wird. Die Mitglieder ordnen sich in der Regel einem von beiden zu, entweder dem schwarzen oder dem roten Kreis. Die Farbenlehre orientiert sich an jenen Zeiten, als CDU und SPD die öffentlich-rechtlichen Sender noch als ihre Erbhöfe betrachteten und entsprechend verwalteten.

Ein Hauch dieser Zeiten weht immer noch durch den großen Sitzungssaal mit den vier riesigen Videowänden. Natürlich sind auch im neuen Rat die Politiker mächtiger, als sie es sein sollten. Sie sitzen nun halt nicht mehr als Abgesandte von Parlamenten oder Parteien im Rat, sondern von gesellschaftlich relevanten Gruppen.

Marlehn Thieme gibt sich trotzdem optimistisch. "Wir sind kleiner, weiblicher, vielfältiger geworden", schwärmt die von der evangelischen Kirche Entsandte hinterher, obwohl auch im neuen Rat weit weniger als die Hälfte Frauen, 24 an der Zahl, sitzen. Die 59 Jahre alte Juristin gehört dem Fernsehrat seit zwölf Jahren an und hat sich offenbar an die gängige Vorgehensweise gewöhnt. Sie gelobt prompt, in die Fußstapfen ihres Vorgängers zu treten.

Wer erwartet hat, dass der neue Fernsehrat mit einem richtigen Bumms starten würde, wird also enttäuscht. Eher gleicht der Neubeginn der Kollision zweier Flaumfedern in der Luft. Aber vielleicht geht es dem ZDF auch gerade zu gut. Am Vortag hat der Fußball dem Sender knapp 30 Millionen Zuschauer beschert. Über 80 Prozent Marktanteil verkündet Intendant Thomas Bellut stolz. Mehr geht nicht. Da nicken die Fernsehratsmitglieder brav. Ne, mehr geht wohl wirklich nicht.

Friede, Freude, Eierkuchen herrscht auch noch, als über die Causa Böhmermann und sein Schmähgedicht beraten wird. Der SPD-Veteran Reinhard Klimmt, künftig für den Bereich Kunst und Kultur im Rat, bekennt, dass er gern Hefte wie Charlie Hebdo oder Titanic liest. "Wenn Sie sich die Hefte angucken, ist Böhmermann ganz kleines Karo", urteilt er. Die beanstandete Sendung hat er gesehen. "Ich habe gedacht, Au, Au, das gibt Haue", berichtet er und empfiehlt dann: "Machen Sie weiter mit Böhmermann."

Das hat der Intendant ohnehin vor. Dem Künstler liege ein Vertragsangebot des ZDF vor, sagt Bellut und erläutert noch mal, warum man das Schmähgedicht aus der Mediathek genommen habe, gleichwohl aber Böhmermann Rechtsschutz gewähre. "Der Fernsehrat unterstützt nachdrücklich die Haltung des Hauses", formuliert Polenz danach einen Beschlussvorschlag. Es gibt eine breite Zustimmung und nur eine Handvoll Enthaltungen.

Exakt 14 Minuten braucht der alte Fernsehrat für diesen Fall. Länger dauert nur das Durchdeklinieren von zwei Handvoll Programmbeschwerden, die allesamt als nicht begründet abgewiesen werden. Danach empfiehlt der scheidende Vorsitzende, das Beschwerdeverfahren mal zu überdenken, damit der Fernsehrat nicht zu einer Art Petitionsausschuss verkomme. Er meint damit wohl, dass er die Sitzung gern noch ein wenig glatter hätte. Wäre Reibungslosigkeit eine Art Programmziel, hätte es dieser Fernsehrat voll erreicht.

Das geht auf Kosten der Dramatik, und so verwundert es kaum, dass sich zu Sitzungsbeginn nur neun Zuschauer auf den für die Öffentlichkeit reservierten Plätzen verlieren. Mehr als ein Dutzend Zeugen werden es auch im Tagesverlauf nicht.

Für mehr Transparenz sorgen da schon eher einige der Neuen im Rat. So wie Jenny Renner twittert auch Leonhard Dobusch, vom Land Berlin für den Bereich Internet entsandt. Er ignoriert gar das Verbot von Ton- und Bildaufnahmen. "So sieht das übrigens aus im #Fernsehrat", twittert er und überträgt aus seiner Hinterbänkler-Position ein Foto, auf dem vornehmlich die Hinterköpfe älterer Herren zu sehen sind. "Man kann heute keinem mehr verbieten, aus einer Sitzung heraus zu twittern", sagt Marlehn Thieme hinterher dazu. Ein bisschen was geht also wohl doch im neuen Fernsehrat. Vielleicht wird es ja auf lange Sicht noch was mit bunter, jünger und weiblicher.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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