Wenn die Zuschauer von einem Fernsehsender annehmen, er zeige Klassikkonzerte, dort aber tatsächlich Serien und Filme für ein jüngeres Publikum laufen, dann hat der Sender ein Problem. Ein privater Kanal würde dann wohl hochnervös diverse Werbekampagnen schalten. Nicht so die ARD. Dort ist erst mal Familienaufstellung angesagt.
Die Rede ist vom Spartensender Eins Festival. Dieser wirbt mit knalligen Pop-Art-Motiven für sich: pinke Vespas auf zitronengelbem Grund etwa, kaleidoskopartig im Kreis wiederholt. Von September an soll im Zentrum dieser Fotocollagen ein neuer Sendername stehen. Aus Eins Festival wird dann "One". Die Entwürfe für das neue Logo lagen seit 2013 in der Schublade, denn lange hieß es, der Sender solle eingestellt werden. Stattdessen wird er nun das jugendliche Aushängeschild der ARD im linearen Fernsehen - nur einen Monat, bevor das lange erwartete gemeinsame Internet-Jugendangebot mit dem ebenfalls gebührenfinanzierten ZDF online geht.
Eins Festival heißt künftig One. Der Sender konkurriert mit ZDF Neo um Zuschauer bis 50
Eine öffentlich-rechtliche Fernsehbiografie beginnt dem Papier nach im Alter von drei Jahren mit dem Kinderkanal, einer weiteren Kooperation von ARD und ZDF. Beide Anstalten wünschen sich, dass von Oktober an die 14-Jährigen auf ihr noch namenloses junges Angebot im Netz umsteigen, um das Politik und Sender jahrelang gerungen haben. Das ZDF opfert dafür einen seiner Kanäle für junge Zuschauer, ZDF Kultur, der nach dreieinhalb Jahren Wiederholungsschleife nun Ende September ganz eingestellt wird, wie am Montag bekannt wurde. Die ARD verzichtet auf Eins Plus, einen Digitalsender, den der zuständige SWR einst still und leise zu einem weiteren jugendlichen Sender umbaute.
Klingt nach großer Einigkeit in der öffentlich-rechtlichen Familie, und auch deshalb ist die Rolle des Senders One besonders interessant, bisher eher "das Stiefkind" der ARD, wie es im Sender heißt. Das neue digitale Jugendangebot soll von Oktober an die Zielgruppe bis 29 Jahre bedienen; ZDF Neo, der verbliebene junge TV-Sender aus Mainz, buhlt aber schon um die 25-Jährigen. Und One? Steigt bei 30 ein, weil es dann pro forma keinen Bruch zum Jugendangebot gibt. One und Neo konkurrieren also zwanzig Lebensjahre lang um die Gunst des Gebührenzahlers, bis dieser sich dann von seinem 50. Geburtstag an endlich den Hauptsendern widmen kann.
In der Realität sind den Zuschauern Altersgrenzen allerdings immer weniger wichtig. Geschaut wird, was gefällt. "Ein Film ist nicht per se jung oder alt", meint auch Helfried Spitra, Programmchef von Eins Festival beziehungsweise One. Viel wichtiger sei die "Community". Diese definiert sich über Inhalte. Bei One soll es neben Comedy auch Mystery und Science-Fiction geben - Geschmacksrichtungen, die man bei der ARD lange dem Privatfernsehen überlassen hatte. Es darf internationaler werden. Die BBC-Serie Doctor Who um einen zeitreisenden Timelord vom Planeten Gallifrey läuft in der deutschen Synchronisation neben Serien wie Braunschlag oder Miss Fishers mysteriöse Mordfälle zur Hauptsendezeit.
Mit Serienfans als Zielpublikum ergibt sich das nächste Problem: Ein Teil der Zuschauer will nicht mehr linear fernsehen. Doctor Who etwa gibt es auch bei verschiedenen Streamingdiensten. Angekaufte internationale Produktionen in die Mediathek zu stellen, erlaubt der Rundfunkstaatsvertrag aber nicht, selbst wenn die Onlinerechte vorliegen. Das widerspricht der Intuition der Nutzer, die sich zu Recht fragen, warum die vorhandene Infrastruktur der Mediatheken ungenutzt bleibt.
Hier könnte, so umständlich das klingt, der Umweg über die Zielgruppe Abhilfe schaffen. Das neue Jugendangebot darf nicht nur, sondern muss laut Gesetz komplett im Internet stattfinden. One soll dem Programm des Jugendangebots fiktionale Inhalte beisteuern. Wenn man dort also Doctor Who für die Zielgruppe als geeignet ansieht, dann könnte die Serie so doch noch frei zugänglich im Netz landen. Deutsche Medienpolitik zum Anfassen.
Was derzeit jedoch im linearen Fernsehen bei Eins Festival zu sehen ist, wirkt, je nach Tageszeit, noch nicht durchgehend wie ein öffentlich-rechtlicher Sender für angesagte Qualitätsserien. Helfried Spitra beschreibt den gerade stattfindenden Prozess so: "Das Stiefkind wird ans Herz gedrückt." Die Aufgabe sei nun, "in der Nähe des Ersten zu sein und dessen Programm zu stützen, zu erweitern und zu ergänzen".
In Spitras Büro steht ein viel zu großer Fernseher in der Bücherwand. Das auffällige Gerät, erzählt er, stamme aus einem Konferenzraum, und er habe es vor dem Sondermüll gerettet. Dass nichts wegkommt, was noch gut ist, scheint Senderphilosophie zu sein. Eins Festival stützt das Erste insofern, als man das Programm mit Wiederholungen erfolgreicher ARD-Produktionen füllt. Abends eine Doppelfolge Sturm der Liebe, gleich viermal täglich die Lindenstraße und sonntags, nachdem im Ersten der Abspann des Tatorts vorbei ist, beginnt der Krimi bei Festival aufs Neue. Der Tatort bringt dem kleinen Sender Quote. Die Tonight Show mit Jimmy Fallon am Tag nach der US-Ausstrahlung deutsch untertitelt zu zeigen, bringt Aufmerksamkeit. Mischkalkulation.
Doch die ARD hat vor allem an der Eigenständigkeit von One gespart. Der Sender besetzt 7,5 Redakteursstellen, genauso viele wie zur Sparflammenzeit, als es hieß, Eins Festival solle ganz eingestellt werden. Sein jährliches Budget liegt bei knapp zehn Millionen Euro - nur etwa ein Viertel der Mainzer Konkurrenz von ZDF Neo. Das digitale Jugendangebot hat ein Budget von jährlich maximal 45 Millionen Euro.
Selbst produziert der Sender folglich nur wenig, etwa die vom WDR geerbte Stand-up-Comedy Night Wash. Dabei wäre der Wille da. Spitra: "Ich würde mir wünschen, irgendwann eine eigene Late-Night-Show aus der ARD bei One zu haben." Ein bisschen so wie Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale. Als Stiefkind im Familienbetrieb der ARD wird One aber auch mit neuem Namen hart um eine Taschengelderhöhung verhandeln müssen