"Lindenstraße":Die Sendung mit dem Haus

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30 Jahre nach ihrer Premiere ist die "Lindenstraße" eine Fernsehinstitution mit Alterungserscheinungen. Die Kulissen hat der Filmarchitekt Toni Lüdi vom Leben in München abgeschaut.

Von Katharina Riehl

Ende Januar des Jahres 1986 zeigte die Zeitschrift Zuhause - Ideen für Wohnung, Haus und Garten Fotos von mehreren adrett eingerichteten Wohnzimmern, Küchen und Schlafzimmern, unter jedem der Bilder war die Familie zu sehen, die in diesen Räumen wohnte, aß oder schlief. Und dazwischen, in großen schwarzen Lettern, wurde die Frage gestellt: "Wohnen wir Deutschen wirklich so?"

Januar 1986, das war einen Monat, nachdem im Ersten Deutschen Fernsehen eine völlig neue Art von Serie Premiere gefeiert hatte. Die Lindenstraße erzählte keine Kriminalgeschichten, sondern von alltäglichen Problemen ganz durchschnittlicher Menschen, die eben zufällig gemeinsam im selben Mehrfamilienhaus in der Münchner Lindenstraße wohnen. Die erste deutsche Seifenoper. Wer schon einmal durch die echte Lindenstraße in München gefahren ist, weiß natürlich, dass dort sehr schmucke Einfamilienhäuser zu finden sind - die Fernseh- Lindenstraße aber ist eine Kleinbürgerheimat. Und die Studios stehen sowieso in Köln.

Die Lindenstraße, erfunden von Hans W. Geißendörfer, wollte (mit einigem sozialdemokratischen Impetus) ins wahre deutsche Leben blicken, weswegen die Frage aus der Zeitschrift Zuhause auch nicht ganz unberechtigt war. Und so bat Geißendörfer damals den Filmarchitekten Toni Lüdi, eine Straße, Wohnungen, eine Gaststätte zu entwerfen, eine kleine Fernsehwelt also. Wenn man Lüdi, 1945 in der Schweiz geboren, heute besucht (und danach mit einer riesigen Plastiktüte voller Skizzen und Fotos nach Hause geht), erzählt er von den Zeiten, als er sich mit Geißendörfer, Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder traf, in einer Münchner Flipperkastenbar. Heute, da die Lindenstraße für viele das alte, bräsige deutsche Fernsehen verkörpert, vergisst man gern, aus welchem Geist, in welchem Umfeld sie eigentlich mal entstand. Diese Serie war damals etwas sehr Modernes. Geißendörfer, ihr Erfinder, gründete 1971 gemeinsam mit Filmemachern wie Wenders oder Peter Lilienthal den Verlag der Autoren. Und Toni Lüdi, sein Architekt, drehte etwa mit Wenders Der amerikanische Freund.

Die "Lindenstraße" war in ihren Anfängen etwas sehr Modernes. Heute finden sie viele bräsig

Toni Lüdi fuhr, nachdem Geißendörfer ihn zum Designer seiner Serie gemacht hatte, nach England, um sich dort die Kulissen der erfolgreichen Soap Coronation Street anzusehen, vor allem aber lief er durch das Münchner Stadtviertel Haidhausen. In Toni Lüdis Unterlagen findet man unzählige Fotos von Fassaden, Haustüren, Treppenhäusern, Einrichtungen von Arztpraxen. Am Ende zeichnete Lüdi aus all diesen Ideen die Lindenstraße, von außen und von innen, mit Wohnungen, einem Lokal, einem Friseursalon; ein bis zwei Jahre, sagt er, habe er "da hingewerkelt".

Die Zeitschrift Zuhause übrigens hat ihre Frage 1986 so beantwortet: Das deutsche Wohnen sei in der Lindenstraße "sehr richtig gesehen", nur sei die Einrichtung leider "etwas durchschnittlich". Für Toni Lüdi aber wird das ein Lob gewesen sein.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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