Weltnichtrauchertag:Die Rauchfrei-Industrie

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Die Zahl der Nichtraucher wächst - doch 19 Millionen Deutsche müssen noch entwöhnt werden. Selbsthypnose-DVDs oder ärztlich betreute Therapien bieten Hilfe an.

Tanja Rest

Vor ein paar Tagen ist Birgit Albrecht dann beinahe nochmal rückfällig geworden. Abends, man saß in größerer Runde zusammen, auf dem Tisch stand der Rotwein, die Stimmung war gelöst und damit höchst gefährlich.

In dieser Situation hatte sie sich zehn Jahre lang immer eine angezündet. Und dann noch eine. Und noch eine. Die berühmte Entspannungszigarette, bei der es nicht bleibt - jeder Raucher kennt sie.

An diesem Abend hat Birgit Albrecht dann aber doch lieber in ihre Handtasche gegriffen, eine Nikotintablette geschluckt und den anderen beim Qualmen zugeschaut. "Das macht mich natürlich stolz", sagt sie, "wenn ich selbst stark bleibe." An der Tafel notiert die Therapeutin: "Stolz, stark."

"Luftsprung" heißt die Praxis der Münchner Allgemeinmedizinerin Rita von Vopelius-Feldt, die sich auf Raucherentwöhnung spezialisiert hat. Für Birgit Albrecht (Name geändert), 41, ist es die sechste und letzte Sitzung; seit dem 9.Mai ist sie Nichtraucherin.

Auf der Tafel stehen all die Veränderungen zum Guten, die sie seither festgestellt hat: Geruchs- und Geschmackssinn haben sich verbessert, sie unternimmt mehr, muss zum Qualmen nicht immer auf den Balkon, ernährt sich bewusster und fährt wieder Fahrrad. Gerade hat sie diesen Spruch in der Apotheke gelesen, "Danke, ich brauche dein Feuer nicht!" Das sei ein guter Moment gewesen, sagt sie.

95 von 100 Entwöhnungsversuchen scheitern

Was lange undenkbar schien, wird langsam wahr: Den Deutschen vergeht der Spaß am Rauchen. Dass jedes Jahr bis zu 140000 an den Folgen des Tabakkonsums sterben, das wussten sie ja schon lange - um umso panischer weiterzuqualmen.

Seit einiger Zeit müssen die Raucher aber feststellen, dass ihnen nicht nur ihre gefährdete Gesundheit, sondern auch der Gesetzgeber mit immer weitergehenden Einschränkungen die Lust an der Zigarette mächtig vermiest.

Also aufhören! Nur wie? Nicht jeder ist so trickreich wie der Komiker Buster Keaton, der die kokelnde Kippe auf den Waggon seiner Spielzeugeisenbahn legte und sich jedesmal, wenn sie an ihm vorbeiknatterte, einen einzigen Zug gestattete.

Ob diese Methode zum Erfolg führte? Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen. Von 100 Versuchen, die Finger für immer vom Glimmstängel zu lassen, scheitern laut Statistik 95. Mit anderen Worten: Wer aufhören will, braucht Hilfe. Und an Hilfsbereitschaft herrscht kein Mangel.

27 Prozent der Deutschen über 15 Jahre rauchen regelmäßig - das ist eine 19 Millionen Menschen starke Zielgruppe, auf die sich mittlerweile eine ganze Industrie spezialisiert hat. Ihr schlagendes Argument: Jede Methode, auch die kostspieligste, kommt den künftigen Nichtraucher immer noch günstiger als lebenslanges Weiterqualmen - vom gesundheitlichen Bonus ganz zu schweigen.

Das Geschäft mit dem Entzug boomt. Das Pharma-Marktforschungsinstitut Insight Health hat ermittelt, dass der Umsatz mit Nikotinpflastern und -kaugummis innerhalb von fünf Jahren von 15,6 auf 24,7 Millionen Euro angestiegen ist.

Nach Angaben des Marktforschers IMS Health haben die Deutschen im vergangenen Jahr 2,3 Millionen Packungen Tabakentwöhnungsprodukte gekauft, 15 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. 30 Nikotinkaugummis kosten etwa 10 Euro - so viel wie zweieinhalb Schachteln Zigaretten.

Die Branche ist auf Nikotinsüchtige angewiesen wie die Zigarettenindustrie

Es ist also viel Geld zu holen bei den Möchtegern-Nichtrauchern, und neben seriösen Anbietern wie der Münchner "Luftsprung"-Praxis wuchert die Grauzone. Auf dem Buchmarkt überbieten sich die Autoren geradezu mit Titeln, die den beschwerlichen Entzug zum Turbo-Trip mit Wohlfühlaroma umdeuten: "Nichtraucher in..." - wahlweise vier Tagen, fünf Stunden oder 60 Minuten.

Es gibt die Selbsthypnose-DVD, die Stereo-Tiefensuggestions-CD und die Anleitung für den aktiven Esoteriker: "Klopfen Sie sich rauchfrei mit Meridian-Energie-Techniken". Viele Anbieter werben mit Erfolgsquoten, die einer Überprüfung niemals standhalten würden. Ein kostenpflichtiger Online-Nichtraucherkurs führt unter der Rubrik "Vorteile" dann auch das schöne Argument: "Sie können den Kurs bei Rückfällen von neuem beginnen."

Hier zeigt sich der innere Antagonismus der Branche, die letztlich nicht minder auf die Nikotinsüchtigen angewiesen ist wie ihr natürlicher Gegner, die Tabakindustrie.

Die Utopie, auf die die Anbieter von Nikotinpflastern, Nichtraucher-Seminaren und Entzugsliteratur hinarbeiten - ein qualmfreies Deutschland -, bedeutet in letzter Konsequenz die Selbstabschaffung. Entsprechend zurückhaltend ist man mit der Herausgabe aktueller Umsatzzahlen.

Dass mit der moralisch einwandfreien Unterstützung von Entwöhnungswilligen eben auch satte Gewinne erwirtschaftet werden, muss man den Leuten ja nicht unbedingt unter die Nase reiben.

"Raucher sind eine willkommene Zielgruppe", sagt Anil Batra. "Viele wollen aufhören, und weil sie so zahlreich sind, kann sich selbst ein dubioser Anbieter immer Hoffnungen auf ein paar hundert Interessenten machen." Batra ist Leitender Oberarzt der Psychiatrischen Uniklinik Tübingen und Leiter des Arbeitskreises Raucherentwöhnung.

Auch er hat festgestellt, dass immer mehr Nikotinsüchtige die Abhängigkeit satt haben und professionelle Hilfe suchen - was sinnvoll sei, denn von den wenigen, die es schaffen, schaffen es die allerwenigsten alleine.

Wo den Aspiranten jedoch allzu tief in die Tasche gegriffen wird, hält der Mediziner Misstrauen für angebracht: "1500 Euro für ein Seminar, bei dem man gemeinsam raucht, dann gemeinsam schweigt und zum Schluss nach Hause geht - da wirkt höchstens noch der suggestive Effekt: Ich habe viel bezahlt, da muss doch was passiert sein."

Seminar oder Wunderpille

Raucherentwöhnung muss nicht teuer sein, sagt Batra. Die Internetprogramme der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung etwa könnenkostenlos besucht werden, sein Tübinger Seminar - zwölf Therapiestunden in sechs Wochen - kostet 130 Euro. "Eine Verhaltenstherapie mit medikamentöser Unterstützung" hält er für die beste Methode. Wobei er stets hinzufügt, dass begleitende Medikamente nur eine Krücke sind, um die Entzugssymptome gut zu überstehen.

Das sagt sogar Sabine Jackel-Büsching, Deutschland-Sprecherin des US- Pharmakonzerns Pfizer. Seit März bietet Pfizer auf dem deutschen Markt die Nichtraucher-Pille Champix an, ein nikotinfreies Präparat, das das unstillbare Verlangen nach der Zigarette lindern soll.

Studien haben laut Hersteller ergeben, dass 44 Prozent der Testpersonen nach drei Monaten rauchfrei waren; Kostenpunkt: immerhin 120 Euro. Eine "Wunderpille", betont Jackel-Büsching, sei das allerdings nicht: "Man braucht schon einen festen Willen, ärztliche Unterstützung und idealerweise auch eine Anleitung zur Verhaltensänderung."

Am Ende ihrer letzten Therapiesitzung ist Birgit Albrecht optimistisch, dass sie nach vielen gescheiterten Versuchen diesmal clean bleiben wird: "Es gibt jetzt schon Momente, da denk' ich gar nicht mehr ans Rauchen."

Statistisch gesehen haben sich ihre Chancen durch den Besuch eines Nichtraucherkurses von fünf auf etwa 15 Prozent erhöht. Ein Drittel der Kosten übernimmt die Krankenkasse, 120 Euro zahlt sie selbst - die Summe hat sie bisher in einem Monat weggequalmt.

© SZ vom 31.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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