Vorm Unterricht:Auf Skiern ins Klassenzimmer

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Oder mit dem Schiff, dem Taxi oder ganz ohne überhaupt das Haus zu verlassen? Fünf Kinder erzählen von ihren ungewöhnlichen Schulwegen, von leeren Pisten und Fährmannhupen, von 30-Sekunden-Taxifahrten und Geburtstagsfeiern.

Protokolle: Claudia Fromme und Hannah Weber, Illustration: Sandra Javera

Tjaša, 10, aus Bovenden

(Foto: privat)

"Ich wohne direkt an einer großen Straße. Hier sausen den ganzen Tag viele Autos und Lkws vorbei. Erst als wir hier eingezogen sind, ist uns so richtig aufgefallen: Ich komme gar nicht allein in die Schule. Die Bushaltestelle ist zwar nur 200 Meter entfernt, es führt aber kein Fußweg dorthin. Ich müsste in einem Graben neben der Straße laufen, das ist aber zu gefährlich. Morgens kann meine Mama mich in die Schule fahren, nach der Schule arbeitet sie aber noch. Deshalb haben wir uns beim Bürgermeister gemeldet. Jetzt wird ein Fußweg geplant, das kann aber noch vier Jahre dauern. Deshalb holt mich nachmittags ein Taxi an der Bushaltestelle ab und fährt mich nach Hause. Dauert zwar nur 30 Sekunden. Drei Sätze quatschen klappt aber trotzdem. Taxi fahren ohne zu bezahlen ist zwar was Besonderes, ich würde aber lieber allein in die Schule, zu Freundinnen und auf den Spielplatz laufen - ohne ein Taxi zu brauchen."

Jona Shari, 10, aus Unkel

(Foto: privat)

"Meine Schule steht auf der Rheininsel Nonnenwerth und ist nur mit einer Fähre erreichbar. Meine Freundinnen und ich sind gern schon früh in der Schule, dann können wir noch quatschen. Deshalb versuchen wir, schon die erste Fähre um zehn nach sieben zu kriegen. Das klappt auch meistens, je nachdem wie lang wir auf dem Weg trödeln. Kurz bevor die Fähre ablegt, drückt der Fährmann auf eine Hupe, dann rennen wir schnell los, damit er uns noch mitnimmt. Wenn wir die Fähre nicht kriegen, müssen wir 15 Minuten warten. Im Winter oder bei Regen macht das keinen Spaß. Die Fahrt mit der Fähre dauert nur fünf Minuten, die verbringe ich am liebsten auf dem Deck. Da platscht das Wasser so schön an die Fähre und man hat eine tolle Aussicht. Mit der Fähre in die Schule zu fahren finde ich schon ziemlich toll, nur bei Hochwasser oder viel Sturm kann das ein Problem sein. Zur Not gibt's halt Online-Unterricht."

Levi, 7, und Lauro, 8, aus Weissbad

(Foto: privat)

"Vier Tage in der Woche wohnen wir ganz oben auf der Ebenalp in der Schweiz. Dort arbeiten unsere Eltern im Gasthaus. Unsere Schule liegt aber unten im Tal. Um pünktlich zu kommen, müssen wir schon los, bevor die erste Gondel fährt. Deshalb fahren wir auf Skiern in die Schule. Wenn noch kein Schnee liegt oder es zu viel schneit, müssen wir auf die erste Gondel warten. Dann kommen wir ein bisschen zu spät - ist aber kein Problem, wir haben ja eine gute Ausrede. So früh morgens auf der Piste zu sein ist toll, es ist noch dunkel und man sieht die Sonne langsam aufgehen. Außerdem sind wir mit Mama oder Papa alleine auf der Piste. Da können wir Wettrennen fahren und keiner ist im Weg. Außer vielleicht ein Reh, ein Fuchs oder ein Schneehuhn, über die freuen wir uns aber besonders."

Jana, 10, aus München

(Foto: privat)

"Bis in mein Klassenzimmer brauche ich 67 Schritte. Ich wohne nämlich in meiner Schule. Mein Vater ist Hausmeister der Bergmannschule. Wenn ich unsere Wohnungstür öffne, stehe ich im Schulflur neben dem Haupteingang, der auch unsere Haustür ist. Ich husche jeden Morgen raus in den Flur, mit Jacke, Schal und Mütze. Ich will nicht auffallen. Aber eigentlich ist es schon cool, weil alle meinen Papa gut finden. Anfangs wollten viele Freundinnen bei mir übernachten, aber dann fanden sie das unheimlich, nachts in der Schule. Meinen Geburtstag feiere ich auf dem Pausenhof. Und am Wochenende grillen wir da im Sommer. Im Schulflur spiele ich manchmal Volleyball. Nach den Sommerferien gehe ich auf eine andere Schule, ich komme in die fünfte Klasse. Davor habe ich ein wenig Angst. Einen normalen Schulweg kenne ich ja gar nicht."

© SZ vom 23.04.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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