Verzehrstudie:Die dicken Unterschiede

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Die Verzehrstudie hat gezeigt: Die Deutschen sind zu dick und ernähren sich falsch. Doch Ernährungstipps sind getarnt als Gesundheitsappelle, tatsächlich zementieren sie soziale Grenzen.

Werner Bartens

Die Suche nach den versteckten Fetten, zu der Ernährungsexperten wie Politiker in jüngster Zeit immer wieder auffordern, ist von gemeiner Doppeldeutigkeit. Sie meint eigentlich das nicht auf Anhieb sichtbare Fett, das sich in der Wurst und vielen anderen Nahrungsmitteln versteckt.

Die moralisierenden Appelle, sich gesünder zu essen, richten sich an das Ernährungs-Prekariat. (Foto: Foto: iStockphotos)

Man kann darunter aber auch die vielen Dicken verstehen, die sich in der Gesellschaft verbergen und dazu beitragen, dass die Deutschen vergangenes Jahr sogar in dem Ruf standen, die dicksten Europäer zu sein.

Die Nationale Verzehrstudie II, die am Mittwoch vorgestellt wurde, gibt erneut Anlass, versteckte Fette zu identifizieren; sprich: Dicke und das Dicksein anzuprangern. Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung an 20.000 Menschen sind, dass die Deutschen zu dick sind und zu süß, zu salzig, zu fett und vor allem zu viel essen.

Das Prinzip: aktivieren und demütigen

Diese Resultate sind so wenig überraschend wie es die Ermahnungen und Aufrufe der Politiker und Ernährungsexperten sind, die folgten: Bewegt euch mehr, esst weniger und gesünder, was stereotyp übersetzt wird mit: weniger Fleisch und Fastfood, mehr Obst und Gemüse.

Die meisten Ernährungsempfehlungen sind wissenschaftlich zwar kaum zu belegen. Doch um die Frage, ob die Deutschen ungesund essen und das überflüssige Fett tatsächlich ihr Leben verkürzt, geht es in der Ernährungsdiskussion auch nur noch vordergründig. Die medizinisch-wissenschaftlichen Debatten darüber, was gesund ist und was nicht, sind nämlich längst untrennbar verbunden mit moralisierenden und pädagogischen Appellen.

Die in jeder Hinsicht maßlose Unterschicht soll diszipliniert werden. Nach wertkonservativen Maßstäben heißt das, den Dicken, Armen und Unterprivilegierten nicht nur das Trash-TV abzugewöhnen, sondern ihnen auch endlich Esskultur beizubringen.

Das Prinzip, das sich hinter derartigen Erziehungsmaßnahmen verbirgt, lautet Aktivieren und Demütigen. Die Aktivierung zeigt sich in Programmen wie "Fit statt Fett" oder "3000 Schritte". Sie wurden und werden ebenso von Renate Künast (Die Grünen) wie Horst Seehofer (CSU) oder Ulla Schmidt (SPD) vorangetrieben. Die Trennlinie zwischen denen, die es nötig haben, und denen, die es verordnen, verläuft nicht zwischen politischen Parteien.

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Fette statt feine Unterschiede

Gegenüber stehen sich auf der einen Seite die - zumeist körperlich wohlgeformte - Klasse, die eine gesellschaftliche Meinungsführerschaft beansprucht und auf der anderen Seite das Ernährungs-Prekariat, das zumeist stimm- und sprachlos ist und in Büchern über erfolglose Diäten wie "Moppel-Ich" Trost sucht.

Die Aufgabenverteilung ist klar: Wir da oben belehren euch da unten darüber, was und wie ihr zu essen habt. Darüber zu reden, dass Übergewicht und Fast-Food-Konsum in erster Linie ein soziales Problem darstellen, ist bereits Teil dieser Erziehungsmaßnahme und immer wieder demütigend für die Betroffenen. Die weitaus größere Erniedrigung besteht jedoch darin, dass dicke Menschen permanent vermittelt bekommen, dass es nicht in Ordnung ist, wie sie sind.

Die Folge dieser ständig beschriebenen Unterscheidung ist nicht weniger als eine gesellschaftliche Spaltung. Die Dicken, das sind von wenigen Ausnahmen abgesehen, eben auch die Armen und die Dummen. Längst ist ein wohlgeformtes Embonpoint kein Zeichen von Wohlstand und kommoder Fülle mehr, sondern ein sozialer Makel.

Der Politik, die diesen Diskurs aufnimmt, geht es nicht um medizinische Notwendigkeiten, sondern um Handlungen mit reinem Symbolcharakter. Dadurch werden die feinen Unterschiede in der Gesellschaft, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu die Versuche ästhetischer Abgrenzung genannt hat, weiter vertieft. Aus feinen werden fette Unterschiede.

Gewichtsgegensätze sind in Deutschland daher in erster Linie Klassengegensätze. Das hat absurde Folgen: Die einen erörtern die Nachteile der Trennkost und mögliche Menüfolgen, die anderen machen sich eine Fertigpizza warm, während sie Koch-Shows im Fernsehen betrachten, in der die Nahrungszubereitung als Kunsthandwerk zelebriert wird.

Während das Essen im Alltag immer mehr an kultureller Bedeutung verliert und für Lebensmittel seit Jahren immer weniger vom Einkommen geopfert wird, wird das Kochen inszeniert. Kein Buchsegment boomt - neben Diätfibeln - so sehr wie das der Kochbücher. Mit der Art, wie man über Essen redet und Essen inszeniert, lässt sich gesellschaftlicher Distinktionsgewinn erzielen, wie es Soziologen nennen. Die Botschaft der Nationalen Verzehrstudie lautet deshalb vor allem: Der Mensch ist, was und wie er isst.

© SZ vom 31.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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