Unwetter:Auf Gewitterjagd

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Manche lieben Unwetter. Gerd Bierling zum Beispiel. Sobald es draußen stürmt und donnert, geht er raus und fotografiert Blitze, Hagel oder Tornados - und warnt andere, wenn es gefährlich wird.

Von Rebecca Sandbichler

Da braut sich was zusammen. Es blitzt. Plötzlich: Kabumm! An 20 bis 35 Tagen im Jahr gibt es Gewitter, je nachdem, wo in Deutschland man lebt. Im Süden und Westen sind sie häufiger als im Norden und sie entstehen besonders in den Monaten von Mai bis August. Manche Menschen würden sich dann am liebsten unter der Bettdecke verkriechen. Gerd Bierling aber schnappt sich seine Kamera, geht raus und hofft, dass ihn der Sturm und das Gewitter nicht davonblasen.

Er ist ein sehr erfahrener Gewitterjäger. Seit zwei Jahrzehnten beobachtet er Unwetter, fotografiert Wolkengebilde, Blitze oder sogenannte Superzellen. Sie entstehen, wenn heiße, feuchte Luft aufsteigt, hoch oben auf kalte Luft trifft und sich dort die Richtung und Geschwindigkeit des Windes ändern. Die Zelle beginnt zu rotieren, und ihre Windböen können mit bis zu 120 Kilometern pro Stunde so schnell werden wie ein Gepard auf Gazellenjagd. "Die Superzelle ist die Königin unter den Gewittern", sagt Bierling.

Ein riesiger, sogenannter Crawlerblitz. Sie entladen sich in sehr großer Höhe, oft von Wolke zu Wolke. (Foto: Gerd Bierling)

Gern fotografiert er auch sogenannte Crawler. "Crawl" ist englisch und bedeutet kriechen. Während Erdblitze direkt im Boden einschlagen, kriechen Crawler sozusagen mit feinen Verästelungen über den Himmel.

Der Siemens-Blitzatlas meldete für das vergangene Jahr in Deutschland 446 000 Blitzeinschläge. Deutsche Blitzmeisterin ist die Stadt Schweinfurt mit fünf Blitzen pro Quadratkilometer, doppelt so vielen wie etwa in München und siebenmal mehr als in Berlin. Europaweit gab es die meisten in Kroatien. Wenn Bierling fotografiert, ist er am liebsten ein paar Kilometer weg vom Gewitter. Denn eine Grundregel lautet: "Ein guter Sturmjäger wird nicht nass." Bierling nutzt dafür einerseits das Regenradar auf seinem Handy, das ihm Niederschlagszonen anzeigt. Zusätzlich hilft ihm seine Erfahrung. Schimmern Wolken grünlich-blau, rechnet er mit Hagel.

Ohne Schutz können Starkregen und Windböen sehr gefährlich sein. Ein bekannter amerikanischer Sturmjäger, sein Sohn und der Kameramann sind tödlich verunglückt, weil ein Tornado plötzlich die Richtung geändert hatte. "Wenn das einem Tornado-Experten passiert", sagt Bierling, "sollten normale Leute unbedingt auf Unwetterwarnungen hören." Und das bedeutet: Von Bäumen und Wasser sollte man bei Gewitter weggehen und sich stattdessen einen festen Unterschlupf suchen. Bierling wartet manchmal unter dem Dach einer großen Tankstelle oder bleibt im Auto sitzen. Denn das schützt einen.

Tornados richten oft schwere Schäden an. Im Inneren erreichen die Windrüssel Geschwindigkeiten bis zu 510 Kilometern pro Stunde.

Die berühmten Catatumbo-Gewitter in Venezuela: Durchschnittlich fast jede zweite Nacht blitzt es dort. Von weit weg erscheinen die Blitze rötlich wie bei einem Sonnenuntergang.

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(Foto: Gerd Bierling)

Ein doppelter Regenbogen entsteht, wenn Sonnenlicht in den Wassertropfen zweimal in seine Farben aufgespalten wird. Der Zwillingsbogen ist schwächer und spiegelverkehrt.

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(Foto: Gerd Bierling)

Hagelkörner so groß wie Tennisbälle: Diese hat Bierling in den USA aufgesammelt. In Deutschland maß sein größtes Korn drei Zentimeter.

Dass die Unwetterwarnungen möglichst genau sind, daran arbeitet Bierling selbst mit. Er ist sogenannter Wettermelder und hat dafür sogar eine Prüfung machen müssen. Wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind - etwa eine Hagelgröße von zwei Zentimetern -, meldet er ein Gewitter. Die Daten werden gesammelt und mit Fotos und Videos an die Experten vom Deutschen Wetterdienst weitergeleitet. "Die Profis haben zwar ihre Radarbilder, können aber nicht überall selbst vor Ort sein", erklärt Bierling. "Gewitterjäger sind ihr Auge am Unwetter."

Der sicherste Platz, um ein Gewitter zu beobachten, ist wohl zu Hause vorm Fenster. "Das fand ich als Kind schon toll", sagt Bierling. Und am Schluss kommt manchmal ein Regenbogen. Immer dann, wenn ganz feine Wassertropfen die Lichtstrahlen der Sonne in sieben Farben aufbrechen. Bierling sagt dazu: "Der Himmel hat sich ausgetobt."

Der Traum vieler Gewitterjäger ist es, einmal einen Tornado zu sehen. Bierling flog darum schon viermal in den Mittleren Westen der USA in die berüchtigte "Tornado Alley". Dort entstehen bis zu 1 200 Mal im Jahr diese schnell drehenden Wolkenrüssel. "Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich mir die Videos von damals anschaue", sagt Bierling. Auch in Deutschland gibt es Tornados. Einer davon deckte vor ein paar Jahren genau hinter Bierlings Heimatort mehrere Hausdächer ab. Bierling war ausgerechnet an diesem Tag bei Freunden zum Kaffee eingeladen. In einer anderen Stadt - großes Pech für einen Gewitterjäger.

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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