SZ-Serie: Projekt Familie:Wir Schizo-Eltern

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Sie sind hin- und hergerissen zwischen Arbeit und Familie, haben ein schlechtes Gewissen und nehmen hochdosierte Ratgeberliteratur ein: ein Krankheitsbild deutscher Eltern.

Alex Rühle

Ach, Sie geben Ihr Kind in die Krippe? Wissen Sie eigentlich, was die beiden Erzieherinnen da so machen den ganzen Vormittag über? Und wenn Sie die frühkindliche Erziehung schon komplett an Fremdpersonal delegieren, haben Sie dann wenigstens das Gehirnjogging-Set für Vorschulkinder bestellt?

(Foto: Illustration: Eric Giriat)

Nein? Sie wissen aber schon, dass die wichtigste Entscheidung im Leben Ihres Kindes in nur fünf Jahren ansteht. Natürlich muss nicht jeder Junge aufs Gymnasium. Aber Ihrer? Wär doch schade, wenn sich Ihr Familienhintergrund plötzlich migrationsfarbig verdüstern würde, Hauptschule, Türkendeutsch, Happy Slapping. Und alles nur, weil Sie seinerzeit unbedingt arbeiten mussten? Naja, müssen Sie natürlich selber wissen.

Rabenmutter, Glucke, Egoistin

Und Sie da, in der Nachbarwohnung? Ja, Sie da am vollgekleckerten Küchentisch! Sie sind zu Hause und zementieren so die alten Familienbilder? Dachten wir uns, Ihre Kleine hat so was verhockt Introvertiertes, ganz typisch für Kinder, die in mütterlicher Isolation aufgezogen werden. Ihr Mann arbeitet? Vollzeit? Dem sind Kinder nicht so wichtig?

Wenn es das Krankheitsbild der Schizo-Eltern offiziell noch nicht gibt, dann wollen wir es hiermit patentieren lassen. Noch nie wollten Eltern so gut sein. Und noch nie haben sie sich so mies gefühlt. Arbeitende Mütter - Rabenmütter. Hausfrauenmütter - Glucken. Kinderlose - Egoistinnen. Und Väter checken's eh nicht.

Die Psychoanalytikerin Shari Thurer schreibt, sie könne sich nicht erinnern, "je eine Mutter behandelt zu haben, die nicht Geheimnisse über sich hütete, über die Art und Weise, wie ihr Verhalten und ihre Gefühle ihren Kindern geschadet hätten." Großer Renner auf dem Buchmarkt ist zur Zeit der Ratgeber: "Eltern sind nicht immer schuld. Warum manche Kinder schwieriger sind."

Laut Amazon wird es gerne zusammengekauft mit dem Ratgeber: "Was auffällige Kinder uns sagen wollen. Verhaltensstörungen neu deuten." Und gibt man auf Google die drei Begriffe "schlechtes Gewissen Eltern" ein, bekommt man 588.000 Treffer, 588.000!

Eine der 558.000 Mütter grämt sich, weil sie sich beim Spazierengehen mit einer Freundin über einen Kinofilm unterhalten hat, statt die Tochter am Ententeich für ihr Gestammel zu loben: "Prompt bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil mein Kind vielleicht sprachlich nicht ausreichend gefördert wird."

Ein Vater, der arbeitet und dessen Frau deshalb nachts mit dem Neugeborenen im Wohnzimmer schläft, schreibt auf Eltern.de: "Wenn ich ausgeschlafen aufwache und meine unausgeschlafene Frau erblicke, beschleicht mich augenblicklich ein schlechtes Gewissen."

Und der Vater, der diese Zeilen schreibt, hatte zwei Jahre lang seinem Arbeitgeber gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil er die Idee hatte, zwecks Familie auf Viertagewoche zu wechseln. Prompt bewohnte ihn das Gefühl, in der Arbeit zu wenig zu leisten. Jetzt arbeitet er wieder fünf Tage und ist dafür Rabenvater.

Früher wurde gebetet, heute kauft man Ratgeber

Früher konnte man beten, wenn mit den Kindern nichts mehr ging, man hatte dann halbwegs seine Schuldigkeit getan, den Rest würde der liebe Gott schon richten. Heute kauft man, schon lange bevor nichts mehr geht, einen Stapel Ratgeber, die einen allesamt dauernd nur zurückverweisen auf einen selbst.

"God could not be everywhere, so he created mothers" lautet ein amerikanisches Sprichwort. Grauenhaft. Gott ist tot seit hundert Jahren, aber die Mütter müssen immer noch übernatürliche Wesen sein. Kein Wunder, dass sich alle Klientinnen der Psychotherapeutin Shari Turher hochgradig überfordert fühlen.

Oder der Kinderpsychologe Daniel Stern, laut Eigenwerbung "einer der führenden Spezialisten der Säuglingsforschung". Er interpretiert die Rolle der Mutter als diejenige des "schöpferischen Künstlers", des "mittanzenden Choreographen" und des "komponierenden, konzertierenden Musikers". Das Kind als Totalkunstwerk, die Mutter als beschwingt schöpferische Fee - was für ein grotesker Unsinn. Hat der Mann noch nie einen Blick geworfen in eine normale Familienmaschine? Man kann froh sein, wenn man es morgens schafft, sich selber die Zähne zu putzen, bevor man die Kinder in den Kindergarten bringt.

Besagter Daniel Stern behauptet auch, aus der Enge der Bindung einer Mutter an ihr Kleinkind den "wahrscheinlichen Verlauf künftiger interpersonaler Beziehungen voraussagen und skizzieren" zu können. Tja nun, liebe Mütter, da wären wir wieder im Schizopark, ihr habt in den ersten zwölf Monaten 80 Jahre Lebensglück in der Hand. Oder eben Lebensunglück, nicht wahr. Aber wir haben nichts gesagt, das müsst ihr alles ganz alleine entscheiden.

© SZ vom 13.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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