SZ-Serie:Projekt Familie:Das Märchen vom Superweib

Lesezeit: 4 min

Zu schön um wahr zu sein: Die moderne Mutter, die Kinder, Haushalt und Job entspannt unter einen Hut bringt, ist nichts als ein Supermythos

Cathrin Kahlweit

Die meisten ihrer Freundinnen finden sie ein wenig beängstigend. Fröhlich, nett - aber eben doch irgendwie beängstigend: Sie zieht allein eine Tochter groß, betreibt das "Tafel und Schwafel", ein hippes Speiselokal in München, und als sei das nicht genug, hat sie jetzt auch noch das Café im neu eröffneten Jüdischen Museum übernommen. Alle zwei Wochen nur kommt die Putzfrau, ansonsten schmeißt Annette Abt ihren Haushalt allein; und weil der Vater ihrer achtjährigen Tochter Josephine zwar viel und gern, aber eben nicht immer zur Verfügung steht, kümmert sich die 41-Jährige neben den zwei Restaurants auch noch überwiegend allein um das Kind.

Karriere, Kind, Haushalt und das ganze lässig auf dem Sofa - kein Problem? Von wegen! (Foto: Foto: iStock)

Seit sie sich vom Kindsvater getrennt hat, hat sie noch keinen Babysitter gebraucht, darauf ist sie stolz. Wie jede Frau, die so lebt wie sie, sagt sie: "Man muss gut organisiert sein und alles im Kopf haben." Oder: "Ich erwarte Disziplin, von mir und anderen." Ihre Freundinnen sehen in ihr eine "Superfrau", eine von denen, die im Kino wahlweise von Veronica Ferres oder Christine Neubauer gespielt werden. Ihre Kunden sehen eine Frau mit Löwenmähne und coolem Outfit. Und ihre Tochter eine fürsorgliche Mama, die sich so viel Zeit nimmt, dass sie kaum noch ausgeht. Alles easy?

Von wegen. Alles geht, aber manchmal ist es zu viel. Alles klappt, aber oft nur irgendwie. Alles ist selbst gewählt, aber eine Alternative wäre auch ganz schön. Die Einkaufstüten werden allein in den fünften Stock geschleppt, "aber manchmal stehe ich vor meiner Wohnungstür und heule, weil ich wünschte, jemand trüge meine Lasten mit mir."

Das Kunstprodukt Superfrau, wie es von Medien und Zeitgeist geformt wird, ist eine stets gut gelaunte Mutter, die ihre fröhlichen Kinder von hervorragend ausgebildeten Erzieherinnen betreuen lässt (modern), aber immer auch selbst genug Zeit für die Kleinen aufbringt (liebevoll), während sie andererseits mit einem Karrierejob das Volksvermögen mehrt (ehrgeizig), sich als wertvolles Mitglied der Gesellschaft für die Allgemeinheit und die Firma engagiert (tüchtig), die abends Vier-Gänge-Menues zaubert (patent), die neuesten Romane und Filme kennt (interessiert), vor dem Zubettgehen noch ein paar Sit-Ups macht, um ihren Körper unter dem bauchfreien Venice-Beach-Top in einwandfreiem Zustand zu erhalten (attraktiv), und die das alles mit links macht (souverän). Superfrauen werden nie müde. Es gibt sogar den passenden Popsong dazu: "Supergirls don't cry".

Bevor Hera Lind, Autorin des Romans "Das Superweib", diese neue Gattung in eine literarische Form goss, hat es zwar auch schon seit Jahrtausenden Frauen gegeben, die Arbeit und Familie so gut wie möglich unter einen Hut brachten und dabei sogar bisweilen Spaß hatten. Aber erst mit dem Lindschen Bestseller bekam dieser Typus einen Namen. Diese beklagt Probleme nicht, sie löst sie. Sie ängstigt Männer nicht, sondern macht sie glücklich. Kinder und Haushalt schmeißt sie allein, quasi nebenher, und ist dabei schön, fit, erfolgreich, sexuell aktiv und glücklich. Pickel, Tränen, Überforderung, Geldmangel, Zeitmangel, Männermangel, Energiemangel - nicht vorgesehen.

Praktisch ist dieser imagebildende Horror, weil so schön unpolitisch. Supermütter sind das ideologische Gegenmodell zu Rabenmüttern, wenn auch faktisch die selbe Spezies Frau: Während sich die Rabenmutter (karrieregeil, männerfeindlich, anspruchsvoll, intellektuell) erdreistet, Betreuungs- oder Vereinbarungsdebatten zu führen und gender mainstreaming oder Gleichstellung buchstabieren zu können, wuppt die andere alles allein und findet das auch noch toll. Katholische Kardinäle, CSU-Politiker und andere Kulturpessimisten, die Rabenmütter verabscheuen, müssten Supermüttern dankbar sein: Die einen verdienen keine Unterstützung, die anderen brauchen keine.

Nach-Wende-Deutschland hat ziemlich gut gelebt mit diesem anspruchslosen, aber alle Ansprüche erfüllenden Modell: Wer genug Energie aufbringt, um Frauenzeitschrifts-Idealen, Männerphantasien und dem Arbeitgeber gerecht zu werden, der fragt nicht nach Krippen, Horten und Ganztagsschulen. Der organisiert sich und seine kleine, glückliche Familie selbst. Der Vorteil für die Volkswirtschaft: Lasten werden privatisiert. Und nach Überlastungen wird nicht gefragt.

Aber die Strahlkraft der Superfrau lässt nach. Im Quotenrenner "Desperate Housewives" flüchtet die patente Mehrfach-Mutter Lynette heulend vor ihrem wildgewordenen Nachwuchs und lässt sich von ihren Freundinnen versichern, dass auch sie das kennen: diese Nächte voller Verzweiflung und die Frage, wie es weitergehen soll. Die Ratgeber-Literatur ist voll von Werken wie "Superfrau ade - entkommen Sie der Falle des Vergleichs" oder "Der Superfrau-Komplex". Die jüngere Literatur produziert Themen wie "Wenn Frauen über ihre Grenzen gehen" oder "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs". Kein Wunder: Kaum eine Frau, die das Heldenlied von der Allesschafferin verinnerlicht hat, hält dieses Leben und diese Haltung lange durch.

Das Mittel gegen die Quartals-Erschöpfung, sagt zum Beispiel Restaurant-Inhaberin und Mutter Annette Abt, liegt darin, sich alles zunutze zu machen, was hilft, und: sich freizumachen von dem Ideal, das die Mehrheit ihrer Generation internalisiert hat, ohne ihm zu entsprechen. Ihr Kind geht daher in eine Schule mit Nachmittagshort. Ein Netz von Freundinnen übernimmt die Tochter, wenn es mal eng wird. Der Vater von Josephine verbringt möglichst viel Zeit mit seiner Tochter, was die Mutter entlastet. T-Shirts werden ungebügelt getragen, das Kind wird auch mit Schnupfen in die Schule geschickt. Ihr Problem: "Ich bitte ungern." Die - nicht immer fröhliche - Antwort auf die Frage, wie sie ihr Leben meistert, lautet aber auch: durch Verzicht auf einen Partner, auf Muße. Ob ihre Tochter mal genauso leben will?

Die Bosch-Stiftung hat vor wenigen Monaten eine hochbrisante Studie vorgelegt, die vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung erstellt wurde. Danach ist die Zahl der Frauen, die glauben, man brauche Kinder für ein erfülltes Leben, zwischen 1990 und 2000 von 65 auf 36 Prozent gesunken. Zwei Drittel der befragten Frauen rechnen mit einer deutlichen Verschlechterung ihrer Berufschancen, sollten sie ein Kind kriegen. Kein Wunder, dass die Zahl der kinderlosen Akademikerinnen bei 40 Prozent liegt. Was das heißt? Dass die Lebenswirklichkeit in Deutschland Frauen eher davon abhält, zu glauben, Beruf und Familie ließen sich problemlos vereinbaren, ohne dabei endlos draufzuzahlen.

Was die Generation der heute 40- bis 60-Jährigen ohne nennenswerte Unterstützung durch Staat und Wirtschaft meistert und gemeistert hat, will die Töchtergeneration nicht mehr meistern müssen. Die 16-Stunden-Tage mit Halbtagskindergarten, Halbtagesschule, abwesenden Vätern und Halbtags- oder gar Vollzeitjob, die für viele Frauen der mittleren Generation selbstverständlich sind, stellen für ihre Töchter einen Horror dar; das Superweib ist zum Supermythos mutiert. Hoffnung gibt es erst wieder für die nächste Generation: Wenn die Teenager von heute Kinder kriegen, wird es - hoffentlich - genug Krippen geben, und die Unternehmen werden gut ausgebildete Frauen mit Betriebskindergärten, hyperflexiblen Arbeitszeiten, Hausdienern und Chauffeuren umwerben, damit sie nicht genau das tun, wovon viele entnervte Frauen heute träumen: einfach zu Hause bleiben.

© SZ vom 10.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: