SZ-Serie: Freitagsküche:Wein oder Wahrheit?

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Bei der Eigenwerbung nimmt es mancher Winzer nicht so genau. Behauptet wird, was der Genießer gerne hören möchte. Doch oft verbirgt sich dahinter nur ein Schmalspurwein.

Robert Lücke

Die große Weinerei beginnt wie immer im Frühling. Da gedeiht die Werbung, die Europas Winzer für ihre Weine machen, mindestens so üppig wie das frische Grün der Rebstöcke. Natürlich tut jeder so, als ob seine Weine die besten wären, ach was: einzigartig! So war in den vergangenen Jahren andauernd von "Terroir" zu lesen, ohne dass irgendjemand kurz und bündig hätte sagen können, was das eigentlich ist.

Einzigartig, regional, öko! So großspurig Winzer ihren Tropfen auch anpreisen, oft verbirgt sich dahinter doch nur ein Schmalspur-Wein. (Foto: ag.ddp)

Seit kurzem werben südeuropäische und auch deutsche Weinbauern zusätzlich immer häufiger mit "autochthonen Reben" und "autochthonen, wilden Hefen", also ursprünglich aus der jeweiligen Gegend stammenden Rebsorten und den dazugehörigen Hefestämmen, mit deren Hilfe sie ihre Weine vergären. Das klingt gut und authentisch, aber verlassen sollte man sich wohl besser nicht darauf.

"Das ist der mit Verlaub größte Beschiss, um Weinkäufer zu täuschen", sagt ein sehr bekannter Weinbuchautor, der es vorzieht, diese Äußerung anonym zu tätigen - schließlich möchte er ja weiter seine Bücher verkaufen und mit der Weinszene lieb Kind bleiben. Hans-Jörg Zielske, Weinimporteur aus Sprockhövel, steht dagegen zu seiner Meinung: "So viele autochthone Reben und Hefen kann es gar nicht geben, wie uns Winzer weismachen wollen", schimpft er.

Vergleichbar mit kleinem Käsebauer und Goudafabrik

Hefen sind sozusagen das Benzin des Winzers, ohne die der Wein-Motor gar nicht erst anspringt. Ohne Hefen: kein Wein. Ähnlich wie die Bakterien, die dem Bierbrauer helfen oder dem Stollen- und Zopfbäcker den Teig aufgehen lassen, sorgen die Hefekulturen im Wein für den Alkohol und für viele Aromastoffe, das so genannte Bukettaroma. Im Lauf des Sommers bildet sich durch die Sonnenstrahlung in der Weinbeere Zucker, und nach der Lese ist jeder spätere Wein erst mal nichts weiter als ein mäßig süßer oder saurer Traubensaft.

Nun kommen die Hefen ins Spiel. Kleine Lebewesen mit Zellkern, bilden sie den im Most enthaltenen Zucker in Alkohol um. Je nachdem, was für einen Wein der Winzer haben möchte, lässt er die Hefen ihre Arbeit zu Ende tun, etwa bei knochentrockenen Rotweinen ohne Restsüße oder durchgegorenen Weißen, wie es etwa beim Riesling oft gewollt ist. Will der Winzer aber keinen ganz trockenen Wein, stoppt er die Gärung einfach, indem er den Most herunterkühlt - die Hefen mögen Kälte nicht und stellen flugs ihre Arbeit ein. So behält der Wein den gewünschten Alkoholwert und eine bestimmte Menge an Restzucker.

All das hängt aber natürlich auch von der Art der Hefe ab, und jetzt kommt der neue Marketing-Trick ins Spiel. Autochthone Hefen sind wilde Stämme, die seit Urzeiten im Weinberg oder Keller des Winzers natürlicherweise vorkommen. Sie sitzen auf den Trauben, in den Schläuchen und Fässern im Weinkeller, mitunter haben Generationen von Winzern diese Kulturen schon verwendet. Sie sind so individuell wie der Wein. Dem gegenüber stehen die Reinzuchthefen: normiert, vorgefertigt und einfach zu handhaben. Vergleichbar ist das mit kleinen Käsebauern und der großen Goudafabrik.

Der eine werkelt mit Minimengen an roher, unbehandelter Milch vor sich hin, schöpft und kellert ein, wäscht und misst, probiert und tüftelt in Handarbeit, und sein Produkt ist so gut, wie er selbst und die Natur es jeweils vermögen. Die Goudafabrik aber überlässt nichts der grausam zufälligen Natur, alles wird bis ins Kleinste mit Computern gesteuert. Blitzsauber und immergleich ist das Produkt: gepflegte, zuverlässige Langeweile.

Risiko oder Sicherheit?

So ist es auch beim Wein. Wer mit natürlichen Hefen arbeitet, riskiert viel: Anders als die Industriehefen sind sie unberechenbar. Vielleicht geht ein Fass daneben, im schlimmsten Fall ist die ganze Ernte hinüber, weil der Most nicht so gärt, wie er soll. Im besten Fall aber entsteht ein Spitzenwein von Weltrang. "Verläuft die Spontangärung gut, ist der Wein komplexer als der mit Reinzuchthefen gemachte", sagt Manfred Großmann, Professor für Mikrobiologie an der Geisenheimer Wein-Forschungsanstalt. "Aber vorher muss der Winzer beten, dass alles klappt."

Der Weinbauer, der auf Nummer Sicher geht, will viel in kurzer Zeit und mit möglichst hohem Gewinn. Er setzt auf standardisierte Verfahren und verwendet nur die Reinzuchthefe Sacharomyces cervisiae, die sich gegen ihre wilden Verwandten, die in allen Kellern vorkommen, durchsetzt und den Wein zuverlässig gut werden lässt. Aber eben selten überragend. Das will allerdings nicht jeder Winzer seinen Kunden verraten und wirbt einfach mit dem schönen Begriff "eigene Hefen".

"Ich schätze, die Hälfte bis zwei Drittel aller Winzer, die mit autochthonen Hefen werben, haben gar keine, sondern machen es mit Industriehefen", sagt Weinimporteur Zielske, der in Spanien selbst Wein macht und weiß, wie fragil die wilden Hefen sein können. Das Gärbukett umfasse bis zu 80 verschiedene Stoffe, die dem Wein sein Aroma geben. Das Risiko, dass diese Stoffe in einem für den Menschen schlecht schmeckenden Verhältnis zueinander stünden, sei bei der Spontanvergärung größer, sagt der Mikrobiologe Großmann - weil mehr Hefen daran beteiligt sind, oft bis zu 20 verschiedene.

Chemisch nachweisen könne man kaum, ob ein Winzer tatsächlich spontanvergäre oder mit gekauften Hefen arbeite, sagt Großmann. Auch sensorisch sei der Unterschied schwer festzustellen. Der Professor hat seine Studenten im Versuch einmal Weine probieren lassen, spontan vergorene und mit Reinzuchthefen gemachte. "Sie sollten feststellen, welche Weine wie entstanden sind", sagt er, "das ging aus wie das Hornberger Schießen."

Konsumenten warnt Großmann davor, auf die Tricks der Winzer hereinzufallen. "Wenn ein Winzer zehn Weinberge hat und alle Weine in einem Keller macht und sagt, in dem Wein von Weinberg 5 seien nur Hefen von Weinberg 5 , dann ist das wissenschaftlich nicht haltbar." Ulrich Sautter, Chef-Weintester beim Magazin Der Feinschmecker, mag lieber keinen generellen Verdacht äußern. "Aber man hört eben immer wieder davon", sagt er. "Für Spontanvergärung braucht man viel Erfahrung - und die hat nicht jeder."

Was will man: Netrebko oder Bohlen?

Der Winzer Reinhard Löwenstein aus Winningen an der Mosel, einer der eifrigsten deutschen Verfechter unverfälschter Weine, wettert seit Jahren gegen "Frankenstein"-Weine, gegen Reinzuchthefen oder die Praxis, dem Most Wasser zu entziehen und ihn so konzentrierter zu machen. "Seit sich Öko und Terroir so gut verkaufen lassen, machen angeblich alle auf einmal Terroir- und Öko-Wein - ganz egal, was die für einen Mist in ihren Wein reinrühren."

Seit 1996 arbeite Löwenstein mit Spontanvergärung, er schwärmt von den mineralischen Tönen der Weine, die nicht so konsumfreudig seien wie mit Reinzuchthefen gemachte. "Aber man muss sich doch fragen, was man will: Netrebko oder Bohlen? Opernhalle oder CD?" Bei einem Livekonzert gebe es eben auch mal Misstöne. Dafür sei der Genuss ein ganz anderer. Leider würden die Menschen heute "mit Flower-Power-Weinen versorgt, die früh ganz toll fruchtig schmecken. Aber nach ein paar Monaten gleiten die bestenfalls in ein langweiliges Nichts ab oder in eine traurige Bitterkeit". Ein hochwertiger, spontanvergorener Terroir-Wein liege noch im Fass, wenn die "Coca-Cola-Weine auf irgendwelchen Preisverleihungen ihre Goldmedaillen bekommen", statt Tutti frutti zeigten sie erst später ihre Tiefe, Brillanz und Komplexität. Aber solche Begriffe passen nicht ins moderne Marketing. Löwenstein warnt davor, auf die "billigen Primäraromen" hereinzufallen, er plädiert stattdessen für die Bereitschaft, auch mal schwierige, unzugänglichere Weine zu probieren.

Dem Genießer bleibt bei all dem nur, auf seinen eigenen Geschmack zu vertrauen. Er muss die Wahrheit im Wein suchen - auf dem Etikett wird er sie im Zweifelsfall nicht finden.

© SZ vom 04.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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