Sterbehilfe:Um Leben oder Tod

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Niemand darf jemanden aktiv töten oder ihm Gift reichen, damit er sich selber tötet. Doch ein Gerichtsurteil entfacht nun erneut die Diskussion um Sterbehilfe.

Matthias Drobinski

Es ist wie damals bei der Kampagne gegen den Abtreibungs-Paragraphen 218 mit dem legendären Titel: "Ich habe abgetrieben".

Sterbhilfe - tödliches Mitleid? (Foto: Foto: ddp)

Zwölf todkranke und leidende Menschen erzählen im Stern, warum sie sterben wollen, und die Zeitschrift fragt auf dem Titel: "Warum wird Sterbehilfe in Deutschland nicht erlaubt?"

Hierzulande bleibt nur die passive Sterbehilfe straffrei: Ein Arzt kann die Behandlung eines Sterbenden unterlassen, wenn diese nur das Leiden verlängert.

Aber niemand darf jemanden aktiv töten oder ihm Gift reichen, damit er sich selber tötet.

In den Niederlanden und der Schweiz ist dies unter strengen Auflagen erlaubt.

Warum nicht auch in Deutschland, wenn doch durch den medizinischen Fortschritt die Grauzone zwischen Leben und Tod immer größer wird, wenn Patienten, Ärzte und Verwandte immer häufiger vor ausweglosen Situationen stehen? Das fragen nicht nur die Stern-Redakteure.

Mehrheit für Sterbehilfe

Das Oberlandesgericht Frankfurt erlaubte jetzt einer Mutter die Betreuung ihrer Tochter, obwohl die Frau die künstliche Ernährung ihres unheilbar kranken Kindes ablehnt. In Umfragen sind die Befürworter aktiver Sterbehilfe regelmäßig in der Mehrheit.

Auch eine Untersuchung im Auftrag des Altersforschers Frieder Lang, der in Erlangen und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung arbeitet, sowie des Berliner Volkswirtschaftlers Gert Wagner belegt dies.

80 Prozent der 500 Befragten sagen dort, dass sie bestimmen wollen, wann und wie sie sterben; zwei Drittel wollen ihr Wunschalter, das im Durchschnitt bei 85 Jahren liegt, nicht erreichen, wenn sie dafür gesundheitliche Einschränkungen in Kauf nehmen müssen.

"Die meisten Menschen fühlen sich durch den Verlust ihrer Selbstbestimmung am Ende des Lebens in hohem Maße bedroht", sagt Volkswirt Wagner. Eine Patientenverfügung, die den Willen im Falle einer unheilbaren Krankheit beschreibt, haben aber nur die wenigsten - vier Prozent der unter 35-Jährigen, zehn Prozent der bis 64-Jährigen und 20 Prozent derjenigen über 65.

Unfähigkeit zum Mitleiden

Kritiker solcher Studien halten jedoch die Freigabe der Sterbehilfe aufgrund von Meinungsbildern für gefährlich.

Der Hamburger Psychologe Klaus Dörner schreibt vom "tödlichen Mitleid", das in Wahrheit die Unfähigkeit der Umgebung des Kranken zum Mitleiden sei - gerade auf Alte und chronisch Kranke steige der Druck, der Umgebung nicht mehr zur Last zu fallen.

Die deutsche Hospiz-Bewegung verweist darauf, dass bei den meisten Befragten nicht die Sorge um die Selbstbestimmung im Vordergrund stehe, sondern die Furcht, einsam und schlecht versorgt zu sterben.

Gestützt werden solche Befürchtungen durch die Erfahrungen in den Niederlanden. Dort sank die Zahl der gemeldeten Fälle innerhalb eines Jahres von 2100 auf 1800, weil die Ärzte das langwierige und komplizierte Prüf- und Meldeverfahren scheuten.

Die Dunkelziffer bei aktiver Sterbehilfe soll bei 60 Prozent liegen; statt zu regeln, wann ein Leben enden darf und wann nicht, hat das niederländische Gesetz die Grauzone erweitert.

Inzwischen gibt es in Holland Menschen, die eine sogenannte Lebensverfügung mit sich tragen: Sie wollen bei Krankheit oder Unfall nicht ungewollt vom Leben zum Tode befördert werden.

© SZ vom 30.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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