Spreebogen:"Give me the papers!"

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Unser Kolumnist bekommt die einmalige Chance, in die Königsklasse des Berufes aufzusteigen und Enthüllungsjournalist zu werden. Und wird prompt von gefährlichen US-Agenten heimgesucht - also beinahe jedenfalls.

Von Nico Fried

Neulich war ich Enthüllungsjournalist auf Zeit. Die Süddeutsche Zeitung hatte von Wikileaks Papiere bekommen, die davon handelten, wie der amerikanische Geheimdienst NSA offenkundig die Bundesregierung abgehört hat. Das Material musste in kurzer Zeit ausgewertet und politisch eingeordnet werden, weshalb auch die Berliner Parlamentsredaktion gefordert war. Diese Chance, auch mal Enthüller zu sein, ließ ich mir natürlich nicht entgehen.

Enthüllungsjournalismus ist ja so was wie die Königsklasse unseres Berufes. Früher hat man das vor allem beim Spiegel gemacht, aber heute arbeiten Leute, die früher beim Spiegel waren, lieber für die SZ in München, selbst wenn sie fanatische Borussia-Dortmund-Fans sind wie Hans Leyendecker. Leserinnen oder Leser, die sich über Artikel von mir ärgern, schreiben gerne in Briefen, ich solle mal so gründlich recherchieren wie Leyendecker. (Viele schreiben auch, ich solle mal so objektiv berichten wie Heribert Prantl, aber das ist eine andere Geschichte). Wenn man also von den Enthüllern um Mithilfe gebeten wird, dann ist das in etwa so wie früher auf dem Schulhof, wenn die aus der achten Klasse mich aus der siebten Klasse gefragt haben, ob ich mitkicken wolle, weil in einer Mannschaft noch ein Torwart gefehlt hat.

Mein Dasein als Enthüller begann damit, dass ich die geheimen Papiere bekam, auf denen Telefonnummern standen und Berichte über abgehörte Gespräche der Bundeskanzlerin. Weil ich keine Erfahrung als Enthüller hatte, wusste ich nicht, was ich mit den Papieren über Nacht machen sollte. Nach Hause mitnehmen war ausgeschlossen, weil ich meine Familie nicht gefährden wollte. Die Amerikaner sind ja zu allem fähig! Plötzlich bricht mitten in der Nacht die NSA meine Haustür auf, und ein schwer bewaffneter Agent brüllt: "Give me the papers!" Also legte ich die Papiere im Büro in meine rechte Schreibtischschublade, schloss diese ab und verstaute den Schlüssel in der linken Schreibtischschublade. Ich wählte nach langem Überlegen ganz bewusst diese sehr einfache Variante, um den Feind zu irritieren.

Am nächsten Morgen begann das Enthüllen. Es bestand darin, dass ich Dutzende der Telefonnummern in Ministerien anrufen musste, um herauszufinden, wem der Anschluss heute gehört. Wenn jemand abhob, gab ich vor, eine alte Telefonnummernliste zu aktualisieren, was ja irgendwie auch stimmte. Von der NSA habe ich natürlich nichts gesagt. Die Angerufenen waren allesamt freundlich und auskunftsfreudig, bis auf eine Dame im Haushaltsreferat des Finanzministeriums, die den Verdacht hatte, ich wollte Geheimnisse über den Bundesetat ausforschen. Sie sagte, ich bräuchte nicht mehr anzurufen, sie werde mir sowieso nichts sagen. Dabei wusste ich ja schon, was ich wissen wollte. Die Dame tat mir ein bisschen leid. Wahrscheinlich bin ich für einen Enthüller auch nicht hart genug.

Geschrieben habe ich dann einen Artikel, in dem ich das abgehörte Merkel-Gespräch in die politischen Zusammenhänge einordnete. Das war mehr Einbettung als Enthüllung. Ich glaube sowieso, ich bleibe den Rest meines Lebens Einbetter.

Enthüller ist mir zu aufregend.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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