Sinn und Unsinn:Für Mama

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Mütter haben sich am Muttertag gefälligst feiern zu lassen. Wenn man das aber eher doof findet - darf man ihn dann einfach ignorieren?

Von Claudia Fromme

Vor einigen Tagen kam die E-Mail vom Kindergarten. Kurzfristig wurde darin ein Elterncafé annonciert, was prinzipiell gut ist, die Treffen sind immer heiter. Um 15 Uhr geht es los. Mitten am Tag. Unmöglich, dort zu sein. Tut mir leid.

Aber dann steht da noch: "Bitte seien Sie pünktlich, da wir eine kleine Überraschung für die Mamas geplant haben."

Das Drama beginnt.

Am Sonntag ist Muttertag, im Kindergarten wird er ein paar Tage vorher begangen. Seit Wochen schmettert die Tochter ein Lied, das sie einstudiert haben - und das vor den Müttern aufgeführt werden soll, wie seit der Mail klar ist. Es heißt "Eine Mama wie die meine" und wird mit viel Whoawhoawhoawhoa zu Cliff Richards "Rote Lippen soll man küssen" ("Lucky Lips") aus dem Jahr 1963 gesungen. Aus ideell ähnlicher Zeit stammt der Text: "Eine Mama wie die meine ist so fleißig und so nett, wäscht und bügelt meine Sachen und bringt abends mich ins Bett."

Die Wahrheit ist, dass Monika unsere Wäsche bügelt, und an den meisten Tagen der Papa die Kinder ins Bett bringt.

Allein die Ankündigung, dass es schwer werden könnte, am Donnerstag da zu sein - es sei wirklich ziemlich viel zu tun im Büro, zudem könnte sie statt "Mama" doch einfach "Papa" singen, der würde es schaffen, zum Elterncafé zu kommen-, hat dazu geführt, dass unsere sechsjährige Tochter seit Tagen mit feuchten Augen durch die Wohnung schleicht. "Tu mir das nicht an", erheben sie stumme Anklage.

Es wird also sein wie immer: Alle Mütter werden mit rollenden Augen zum Kindergarten hechten, sich unauffällig den Schweiß von der Stirn wischen, das Handy zur Aufnahme der Darbietung zücken und parallel stürmisch klatschen. Einige werden dann nach 45 Minuten Anstandszeit mit quietschenden Reifen wieder zurück zur Arbeit fahren.

Klar, Väter werden auch da sein, aber die zählen in diesem Fall leider nicht.

Wie kann es sein, dass Menschen, die Erziehung, Haushalt, Fürsorge hälftig teilen, um ihren Kindern ein aufgeklärtes Familienbild vorzuleben, dermaßen herausgefordert sind von einem Tag, der längst aufs Abstellgleis der Geschichte gehört?

War da nicht was mit Nazis? Ausgerufen hat ihn die amerikanische Frauenrechtlerin Ann Jarvis 1908, die Nazis haben ihn dann mit dem Mutterkreuz geschmückt.

Der Muttertag lebt von der eigentümlichen Spannung, dass alle Beteiligten, sofern sie nicht in die Kita oder Grundschule gehen, behaupten, dass er ihnen vollkommen egal ist, der Familienfrieden aber versaut ist, wenn dann doch nicht der Blumenstrauß auf dem Tisch steht, oder die Mutter wegen grundsätzlicher Ablehnung solcher Tage den mühsam gebackenen Kuchen nur mit sehr viel Wasser herunterbekommt.

Das Schlachtfeld Muttertag ist dabei kein allein privatgefühltes. Als im Feuilleton dieser Zeitung vor 22 Jahren eine dezidierte Absage an den Muttertag und seine Hauptperson formuliert wurde, mutierte die Leserbriefseite fast zwei Monate lang zum Schlachtfeld. Die Autorin wurde beschimpft, ihr "Machwerk" sei "bösartig", eine "Verhöhnung aller Mütter". Manche empfahlen einen Psychiater, andere lobten ihren Mut, am Ende beschimpften sich Leser gegenseitig. Es konnte nur ein Bruchteil der Briefe abgedruckt werden; immerhin 39, teils lange Ausführungen schafften es ins Blatt, und es gab nicht einmal flächendeckend E-Mail. Manche kündigten ihr Abo.

Mehr als zwei Jahrzehnte her. Das heißt nicht, dass der Schlagabtausch heute netter geworden ist. Einfach mal etwas Markiges für oder gegen den Muttertag bei Facebook posten und abwarten. Die alten Leserbriefe sind dagegen kuschelig.

Umkämpft ist die Mutter auch in der Forschung. Die französische Philosophin Élisabeth Badinter, die 1981 das Buch "Mutterliebe" schrieb, erteilte der Überzeugung eine Absage, nach der es der weiblichen Natur entspricht, sich hingebungsvoll um Kinder zu kümmern. 2010 legte sie mit "Der Konflikt" nach und diagnostizierte, dass die Werte, die sich Frauen in den 68ern erkämpft hätten, heute durch neue Ideale der perfekten Mutterschaft bedroht sind - in Deutschland noch mehr als in Frankreich. Das moralische Diktat führe dazu, dass Frauen, die ihr Kind nicht über sich selbst stellten, permanent von einem schlechten Gewissen geplagt sind.

Die deutsche Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken ("Die deutsche Mutter") spitzt dieses neue Ideal weiter zu. Ihrer Sicht nach geben Frauen in Deutschland jede Souveränität preis, um im Muttersein eine Identität als "einzige und unersetzliche" Geliebte des Kindes zu finden, und daraus "unüberbietbare narzisstische Befriedigung" zu erleben. Alles in allem stehe "die Berufung der Frau zur Mutter" in Deutschland "als Bollwerk gegen die Gleichheit von Frauen und Männern", die verhindere, dass Frauen im Job Karriere machten. Im europäischen Kontext sei die deutsche Mutter "ein Sonderweg".

Am Tag, der allein der Mutter geweiht ist, mündet die Theorie in die Praxis: das schlechte Gewissen nach Badinter, die eingebildete Unersetzlichkeit nach Vinken - und die traurigen Augen der Tochter.

Auf dem Schlachtfeld der Müttermoral versammeln sich neben Experten auch Laien, die immer eine Meinung zu Erziehung, Karriere, Komfortzone und Rabenmutter haben. Eine sagt: "Du willst nicht in den Kindergarten, wenn sie das Muttertagslied singen? Das kannst du nicht bringen!" Eine andere sagt: "Du willst hinfahren? Damit beugst du dich dem Unsinn."

Aber was weiß ein Kindergartenkind schon von Élisabeth Badinter und Barbara Vinken. Die Tochter kennt doch nur den Drachen Kokosnuss, Madita und "Künstlerin Merkel", wie sie die Kanzlerin immer nennt, die ich wählen soll, sagt sie, weil sie eine Frau ist. Aber muss man als moderner Mensch nicht auch Kindern vorleben, dass so etwas Rollendogmatisches wie der Muttertag zwar schön ist für Fleurop, Dawanda und Aldi Süd - aber nicht für uns?

Man muss nicht. Natürlich kann jede Frau sagen, dass sie bei dem Quatsch nicht mitmacht; dass der Kindergarten der paternalistischen Gesellschaft die Hand reicht und die Tochter mit frauenfeindlichen Ideen indoktriniert; dass man sich kein schlechtes Gewissen einreden lässt, nur weil andere Mütter immer die dickste Torte aufs Sommerfest der Kita rollen.

Gleichwohl, macht es das Kind glücklich zu wissen, dass sein Wunsch, der Mutter ein Bild zu malen, Blumen zu pflücken, ein Lied zu singen, politisch nicht okay ist? Macht es die eigene Mutter glücklich, keinen Anruf, Besuch, Blumen zu bekommen, weil sie den Tag zwar wichtig findet, man selbst ihn aber ablehnt?

Es gibt Regeln für Weihnachten (Singen, Schenken, Essen), für Ostern (Eiersuchen, Essen), für Geburtstage (Singen, Schenken, Essen). Für den Muttertag gibt es sie auch, mit kleinem Spielraum von Anruf über Blumengruß bis Besuch.

Vielleicht sollte man die Legitimität seines Handelns auch am Muttertag an den Folgen messen. Ist das eigene Tun in Ordnung, wenn es andere Menschen unglücklich macht? Wenn alle Beteiligten den Muttertag hassen, stellt sich die Frage nicht. Die Wahrheit ist aber, dass es kaum Familien gibt, in denen das Common Sense ist.

Natürlich sind alle Mütter am Donnerstag zum Kindergarten gefahren. Es war wie immer: Die meisten hechteten zum Treffen, wischten sich den Schweiß von der Stirn, zückten das Handy zur Aufnahme des Muttertagsliedes, klatschten stürmisch ihren lachenden Kindern zu.

Klar, Väter waren auch da, aber die zählen in diesem Fall leider nicht.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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