"Wie ich euch sehe": Alltag einer Polizistin:"Ich spüre, wenn Leute etwas ausgefressen haben"

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Wenn sie winkt, wird es ernst: Streifenpolizistin Anna. (Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Erzählen Sie keine Märchen - wenn Anna L. Sie rauswinkt, dann aus gutem Grund: Die Polizistin hat einen Blick für Menschen. Und erlebt dabei so manche Überraschung.

Protokoll: Sarah Schmidt

In unserer neuen Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: eine Kassiererin im Supermarkt, ein Zahnarzt, ein Hochbegabter oder eine Rollstuhlfahrerin. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt Polizeibeamtin Anna L. von ihrem Alltag. Die 30-Jährige kommt aus Norddeutschland und fährt regelmäßig Einsatz im Streifendienst.

Egal, ob Akademiker, Jugendlicher, Hartz-IV-Empfänger oder die Oma, die nur mal reden will: Über die Jahre entwickelt man einen Blick für Menschen. Ich spüre, wenn Leute etwas ausgefressen haben und habe ein Gespür dafür, wen ich bei einer Verkehrskontrolle rauswinke. Mitunter erleben wir da auch Überraschungen. Plötzlich hat dann die ältere Dame im VW Lupo 1,5 Promille.

Jeder baut mal Mist. Aber mich ärgert es, wenn die Leute es nicht einsehen. Wenn jemand betrunken Auto fährt und dann noch anfängt zu diskutieren. Oder wenn sich erst zwei die Köpfe einschlagen und, kaum ist die Polizei da, gemeinsam auf die "Scheißbullen" schimpfen. Viele Leute haben Vorurteile gegenüber der Polizei. Klar gibt es Fälle, wo sich Kollegen danebenbenehmen. Aber auch Polizisten sind Menschen, und da gibt es ebenso Idioten wie im Rest der Gesellschaft.

Es hat sich bewährt, dass wir als gemischte Streife unterwegs sind. Manche Männer sprechen prinzipiell nicht mit einer Frau - dann hat es keinen Sinn, wenn ich es versuche. Andere werden ruhiger und vernünftiger, wenn ich als Polizistin dazukomme. Aber auch Frauen reagieren - gerade in impulsiveren Situationen - manchmal richtig zickig auf eine Polizistin. Dann übernimmt mein Kollege.

Ich würde mir wünschen, dass uns die Menschen ein bisschen mehr unterstützen. Wenn es einen Einbruch gab, kommen oft erst, wenn wir Tage später gezielt die Nachbarn befragen, konkrete Hinweise. Ich verstehe nicht, warum die nicht einfach früher anrufen und uns das mitteilen. Oft wollen die Leute uns aber auch erklären, wie wir unseren Job zu machen haben. Denen müssen wir erst mal klarmachen, dass wir nicht einfach jemanden festnehmen können.

Was mich besonders berührt, sind Einzelschicksale. Wenn es einen schweren Verkehrsunfall gab oder wenn wir Angehörigen eine schlimme Nachricht überbringen müssen, lässt mich das nicht los.

Ich erlebe Menschen häufig in Extremsituationen. Da sind viele negative Erlebnisse dabei, aber auch gute. Neulich wurden wir zu einer Streitigkeit in einem Asylbewerberheim gerufen, es gab Verletzte. Ein junger Mann, der ganz unbeteiligt war, hat spontan bei der Übersetzung geholfen, er fuhr sogar noch extra mit ins Krankenhaus. Am Ende hat er sich bei uns bedankt und uns einen schönen Abend gewünscht.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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