Schule:Mathe auf dem Lehmboden

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Charli ist zehn Jahre alt und lebt in einem Flüchtlings-Camp im Kongo in Zentralafrika. Dort geht er auch zur Schule - in eine Klasse mit 100 Kindern. Wie lernt man da?

Von Nina Himmer

Fast wäre Charli der Buchstabenkönig geworden. Dann verwechselte er die Wörter "Nase" und "geboren". Sie klingen im Französischen genau gleich, werden aber unterschiedlich geschrieben: nez und . Ziemlich fies. Trotzdem ist er stolz auf seinen zweiten Platz beim Buchstabier-Wettbewerb in Mobayi-Mbongo.

In seiner Klasse ist der Zehnjährige jetzt ein kleiner Star. Es kommt nicht oft vor, dass ein Camp-Schüler bei der regionalen Runde des Wettkampfs so gut abschneidet. Denn selbst für die fleißigsten Kinder ist das Lernen an Charlis Schule schwierig: Es gibt nicht genug Bücher und Schreibzeug für alle, manchmal fehlt es sogar an Kreide, um etwas an die Tafel zu schreiben. Die Klassenräume sind so überfüllt, dass viele Schüler auf dem Boden sitzen müssen, und es ist immer ein bisschen zu laut. Das liegt an den Wänden des Klassenzimmers, die nur aus großen weißen Plastikplanen bestehen. Und natürlich an den vielen Kindern: Allein in Charlis Klasse gehen 100 Schüler.

Charlis Schule gehört zum Inke-Flüchtlings-Camp im Kongo in Zentralafrika. Das UNHCR, eine Hilfsorganisation der Uno, hat es 2013 eingerichtet, nachdem immer mehr geflüchtete Menschen dort Schutz suchten. Die meisten kommen wie Charli aus der Zentralafrikanischen Republik, einem Nachbarland des Kongo. Dort ist die politische Lage seit dem Sturz des Präsidenten vor fünf Jahren chaotisch. Immer wieder kommt es zu Gewalt zwischen verschiedenen Volksgruppen. Auch Charlis Dorf wurde überfallen, einige Verwandte und Freunde wurden dabei getötet. Charli wächst bei seiner Großmutter Odette auf. Mit ihr und vier Cousins ist er aus seiner Heimat geflohen, als die Lage zu gefährlich wurde. Jetzt leben alle im Inke-Camp, das eigentlich eher eine kleine Stadt ist: Es gibt Märkte, ein Gesundheitszentrum, eine Schule, Kirchen und rund 18 000 Bewohner. Die meisten wohnen in Zelten, manche auch in Häusern aus Lehm, Ästen und Stroh.

Die Schule ist für Charli das Spannendste am ganzen Tag

Wie die meisten Kinder im Camp geht Charli gern zur Schule. Die fünf Stunden, die er von acht Uhr morgens bis ein Uhr mittags dort verbringt, sind die spannendsten des Tages. Geschichten lesen, neue Wörter lernen, etwas über die Welt außerhalb des Camps erfahren - bis auf Mathe mag er all das gerne. Nur Englisch vermisst er auf dem Stundenplan. "Es wäre so nützlich, diese Sprache zu lernen. Aber leider gibt es hier keine Möglichkeit dazu."

In den Pausen kickt Charli mit seinen Freunden. Den Fußball haben sie aus Gummibändern selbst gebastelt. Spielplätze, Freizeit- oder Sportangebote gibt es im Camp nicht.

Das Schulgebäude wird von insgesamt 2550 Schülern und 28 Klassen genutzt. Die eine Hälfte hat am Vormittag Unterricht, die andere am Nachmittag. Nach der Schule hilft Charli seiner Oma in ihrem kleinen Garten oder macht sich auf die Jagd nach neuen Wörtern. Bücher, Plakate, Verpackungen, weggeworfene Zettel: "Ich lese alles, was ich in die Finger bekomme." Später will Charli einmal Bildungsminister werden. Oder Schuldirektor, das wäre auch okay. Hauptsache, in der Zentralafrikanischen Republik. Er hofft, dass bis dahin wieder Ruhe eingekehrt ist in seiner Heimat. Das wäre noch viel besser, als Buchstabenkönig zu sein.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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