Schön Doof:Auf einen Streich

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Illustration: Bene Rohlmann (Foto: N/A)

Der Kölner "Abikrieg" erinnert an Kästners "Das fliegende Klassenzimmer". Hätten die Schüler das Buch doch ganz gelesen, meint Christoph Dorner.

Wer den Karneval so hemmungslos zu feiern hat wie die Kölner, kann sich nicht mit einem Lausbubenstreich im Schulhof zufriedengeben, wenn der letzte Schultag bevorsteht. In Köln spielen angehende Abiturienten schon seit ein paar Jahren lieber Krieg. Sie vermummen sich wie Hooligans, drehen Videos wie Gangster-Rapper, randalieren nächtelang vor Schulen, werfen erst Wasserbomben aufeinander, später Glasflaschen, Böller, Steine. Da fragen sich manche Erwachsene besorgt: Ist das noch unser Gymnasium?

Man könnte jetzt zu einer Suada auf den Bildungsverfall im Land ansetzen. Dabei haben die Schüler nur eine neue Version von "Das fliegende Klassenzimmer" aufgeführt. Nicht als harmlose Entführung von Diktatheften mit Schneeballschlacht zwischen Gymnasiasten und Realschülern wie bei Erich Kästner, sondern als Kommentar zur weltpolitischen Großlage, als unübersichtlichen Mehrfrontenkrieg. Auch sonst hat der Kölner Abikrieg fast alle Zutaten, die das Kinderbuch zum Klassiker machten: jugendlichen Übermut, verhärtete Lokalrivalitäten, durchaus humanistische Verständigungsversuche (dafür gab es bei Twitter den Hashtag #füreinenfairenabikrieg), den Wortbruch von ein paar Unverbesserlichen, die Lust auf die große verletzungsfreie Keilerei, bevor der Ernst des Lebens losgeht. Natürlich ist der Kölner Gewaltexzess durch nichts zu rechtfertigen. Doch schon beim Moralist Kästner ging es nicht gerade zimperlich zu. Für Rudi, den entführten Sohn des Deutschlehrers, setzte es in der Verfilmung aus dem Jahr 1954 satte 36 Backpfeifen pro Stunde. Am Ende des Buches sprang Uli mit dem Regenschirm vom Klettergerüst und brach sich ein Bein, weil er kein Feigling mehr sein wollte.

Und doch hätte es den Abiturienten, besonders dem martialisch auftretenden Kommando vom Erich-Kästner-Gymnasium, bestimmt nicht geschadet, wenn es während der Schulzeit das "fliegende Klassenzimmer" in voller Länge gelesen hätte. Dann wüssten sie, dass es in dem Buch mitnichten um Krawalle, sondern um Freundschaft, Mut und Zivilcourage geht. Immerhin haben die Kölner Schüler in den sozialen Medien mittlerweile Reue gezeigt. In dem Kinderbuch verzichtet der Hauslehrer Dr. Bökh deshalb auf eine Bestrafung für die ausgebüxten Internatsschüler. Für die Kölner Gymnasiasten wäre es vermutlich schon Strafe genug, zum Runterkommen ein paar Schulbücher zu lesen. Dann klappt es nach den Osterferien auch mit den Abiturprüfungen.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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