Porträt:Musik für Millionen

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"Ein guter Schlagertext spricht den Menschen aus der Seele", sagt Liessmann. Als Produzent nennt er sich Jean Frankfurter. (Foto: Markus Hintzen/laif)

Erich Liessmann ist der erfolgreichste deutsche Schlagerproduzent. Das behält er nur lieber für sich.

Von Anne Backhaus

Hätte die Seele des deutschen Schlagers ein Zuhause, es läge in Rottach-Egern. Die bayerische Gemeinde schmiegt sich an das Südufer des Tegernsees, umrahmt vom Mangfallgebirge. Die Gästehäuser hier heißen "Heidi" oder "Liedschreiber", die alten Tannen sind tiefgrün, und an der Supermarktkasse stehen die Einwohner auch schon mal in ihrer Tracht Schlange. Nicht weit vom Ortskern entfernt sitzt außerdem regelmäßig Erich Liessmann an seinem Piano. Das ist nicht unerheblich, denn Liessmann, der sich als Künstler Jean Frankfurter nennt, ist der erfolgreichste Schlagerkomponist und -produzent des Landes. Er ist seit 40 Jahren im Musikgeschäft, hat für Bata Illic "Michaela" geschrieben und Sänger wie Michelle und Patrick Lindner groß rausgebracht. Und er hat Helene Fischer entdeckt.

Was ist das für ein Mann, der wie kein Zweiter Hits für die Deutschen schreibt? Der einen Großteil der Schlagerstars überhaupt erst zu Stars gemacht hat? Der allen Grund hätte, sich zu brüsten, aber niemals irgendwo zu sehen ist?

Öffnet Liessmann die Tür zu seinem Ferienanwesen, wirkt er jedenfalls nicht wie eine Größe des Musikbetriebs. Er begrüßt einen wie einen alten Bekannten und fragt, ob man sich tatsächlich seinetwegen auf den Weg in einen der südlichsten Zipfel Deutschlands gemacht habe. Ruhm, das merkt man sofort, ist nicht so sein Ding. "Ich wollte mich zwar nie nur mit einer Gitarre in eine Kneipe setzen und Kleinkunst machen, sondern immer viele Leute erreichen", sagt er auf dem Weg ins Wohnzimmer. "Trotzdem wollte ich aber selber nie berühmt werden, das ist mir unheimlich."

Liessmann, 68, trägt einen gepflegten Dreitagebart und seine grauen Locken im Nacken etwas länger. Neben ihm an dem massiven Holztisch hat seine Frau Uschi Platz genommen. Er nennt sie "Mausi" und lobt, dass sie ihn im Haus rauchen lässt. Mausi lächelt und legt ihre Hand auf seinen Arm. Die beiden machen so was oft, also lächeln und sich kurz berühren, sich etwas verträumt ansehen auch. Fast so, als wären sie ein Paar aus einem alten Schlagerhit. Einem, der ewige Liebe besingt und heute vielleicht etwas zu zuckrig daherkommt. Das Ehepaar Liessmann als zuckrig abzutun würde ihnen aber nicht gerecht werden. Die beiden haben ein regelrechtes Schlagerimperium errichtet.

Schon seit Schulzeiten sind sie zusammen, heiraten 1969 und bekommen kurz darauf den ersten ihrer beiden Söhne. Da ist Erich Liessmann 21 Jahre alt und Musikstudent in Frankfurt. Erst verkauft er seine geliebte Hammond-Orgel, um die Familie zu ernähren. Dann hat er seinen ersten Hit: Er schreibt für Danyel Gérard den deutschen Text von "Butterfly". Der Song landet 1971 auf Platz eins der Charts, dafür gibt es eine Goldene Schallplatte und "für uns ein Sofa", wie Liessmann sagt. Es ist sein Einstieg ins Musikgeschäft.

Der nächste Nummer-eins-Hit ist dann schon "Michaela". Mit seinem damals noch unbekannten Freund Costa Cordalis komponiert er anschließend "Anita" und wird Produzent der Flippers. Liessmann installiert in der kleinen Frankfurter Wohnung ein eigenes Studio und beginnt dort, Künstler aufzubauen. "Das war die beste Entscheidung meines Lebens", findet er heute. "Dabei wollte ich ursprünglich einfach nur die Möglichkeit haben, die Melodien in meinem Kopf sofort aufnehmen zu können, ohne erst jemanden um einen Studioplatz bitten zu müssen."

Uschi ist immer an seiner Seite, sie übernimmt die Büroarbeit der Schlagerfirma. Ihr Mann verlässt manchmal wochenlang kaum das Studio, die Küche ist meist voller Musiker. Das zahlt sich aus. Liessmann hält sich nicht nur in dem harten Geschäft, sondern er bestimmt es irgendwann. Bekommt den Echo, gewinnt den Grand Prix und die Krone der Volksmusik. Schließlich baut er einen der umstrittensten und zugleich erfolgreichsten Stars der deutschen Gegenwart auf: Helene Fischer.

"So ein Glück, so jemanden zu finden, das gibt es nur einmal im Leben", sagt Liessmann. Kein Wort zu seinem Anteil an ihrem Erfolg. Stolz sei er schon, ja klar. Aber dann redet er schnell wieder von harter Arbeit, seiner Leidenschaft für Melodien. Als könnte er gar nicht anders. Als wäre sein Lebenswerk nichts Besonderes.

Ist es aber schon. Der deutsche Schlager wurde nach seiner Blütezeit in den Siebzigerjahren erst von Popmusik und der Deutschen Welle aus den Hitparaden vertrieben und verkam dann zum Inbegriff der banalen Mitklatschmusik. Unterhaltungssendungen wie der "Musikantenstadl" zementierten das Bild der Trachten tragenden Landeier, die einfältig eintönige Lieder trällern. Nicht mal die Retrowelle in den Neunzigern, die mit Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn ein Schlager-Revival auslöste, konnte daran wirklich etwas ändern. Schlagerliebhaber waren nun einfach nur an den Plastik-Sonnenblumen an ihrem Minirucksack besser zu erkennen.

Liessmann hat das alles mitgemacht, jede Flaute überstanden - und immer Hits geschrieben. Man kann von Schlager halten, was man will: Das ist bewundernswert. Natürlich sagt Liessmann das so nicht. Er sagt: "Ich konnte mich wohl immer gut an den Zeitgeist anpassen." Er arbeitete ja auch mit den Branchen-Ikonen Marianne und Michael und den Kastelruther Spatzen. Die Stücke nennt er "einfache" Musik, die ihre Berechtigung habe. Sein Anspruch sei es trotzdem immer gewesen, eben nicht den "Doof-Schlager" zu machen. Er gibt sich Mühe bei den Arrangements, anstatt nur den beliebten Stampf-Rhythmus zu kopieren. Und die Musik, die er Jahrzehnte später mit Helene Fischer macht, ist dann tatsächlich etwas völlig anderes. Niemand hat die kommen sehen.

Liessmann belebt mit seinem Star das Schlagerbusiness. In der kränkelnden Musikbranche sorgt er für Millionenumsätze. Das volkstümliche Heimatlied ist Musik von gestern, abgelöst vom Popschlager, der heute ungeniert auf Partys gespielt wird. Sogar die Schlagersängerinnen Michelle und Vanessa Mai sitzen nun in der Jury von "Deutschland sucht den Superstar". Eigentlich unfassbar. Selbst Dieter Bohlen hat erkannt, dass der Schlager Potenzial hat. Vor allem als Geldmaschine, denn Schlagerfans kaufen tatsächlich noch Platten. Und all das beginnt mit Liessmann.

Helene Fischer hat das Mikrofon in die Menge gehalten, und 70 000 Zuschauer haben meine Songs gesungen, das war der perfekte Gänsehautmoment."

Dabei will er 2004 eigentlich aufhören. Er ist Mitte fünfzig, denkt, er habe genug erreicht, und dass es schön wäre, wieder mehr Zeit für die Familie zu haben. Dann hört er ein Demoband. Darauf der Song "Power of Love" von Jennifer Rush, gesungen von einer 20-jährigen Frau mit dem Namen Jelena Petrowna Fischer. "Ich habe immer auf eine Stimme gewartet, die einem diese Gänsehaut gibt", schwärmt Liessmann. "Und da war sie, und ich konnte nicht aufhören. Wir mussten es mit ihr versuchen."

Aus dem Versuch wird Helene Fischer. Das erste Album bringt in drei Jahren fünffach Gold. Einige ihrer ersten Aufnahmen macht sie im Studio seines Ferienhauses in Rottach-Egern. "Ich habe sie hier kaum vom Mikro weggekriegt. Wir wollten alle essen gehen, und sie wollte immer noch ein Lied singen", sagt Liessmann. Danach macht er sieben weitere Platten mit ihr. Er ist zehn Jahre lang ihr Produzent. Er überredet sie nicht nur, überhaupt Schlager zu singen, sondern schreibt ihr die Songs. Er schreibt so, dass aus einem zwanzigjährigen Mädchen mit Musical-Ambitionen die umjubelte Helene wird. Er formt ihr Image. Rein, gefühlvoll, nahbar.

Die Fischer-Hits "Du lässt mich sein, so wie ich bin" und "Du hast mein Herz berührt" sind seine Lieblingslieder. "Da ist viel von mir und meiner Frau drin", sagt Liessmann und schaut wieder Uschi an. Das ist schon etwas zuckrig. Aber letztlich vielleicht genau das, was ihn ausmacht. Liessmann tut nicht bescheiden, er ist es. Er will nicht berühmt sein, er will gute Arbeit machen. Er liebt die Musik. Egal wie oft der Schlager als banal abgetan wird, Liessmann spricht ungeniert von seinem Herz für Melodien. Und musikalisch trifft wohl kaum jemand sonst so gut das Gefühlsleben der Deutschen. "Komponieren ist eine Begabung, die einen nicht mehr loslässt", sagt er, der eigentlich Konzertpianist werden wollte. "Bei mir ging es als 16-Jähriger auf der Gitarre los, ab da war es lebenswichtig, wie Atmen."

Hits zu schreiben könne aber auch er nicht planen. Manchmal sitzt er in der Kneipe, beißt in eine Weißwurst und hat plötzlich eine Melodie im Kopf. Wird er die nicht los, spielt er sie später auf seinem Piano und nimmt das mit einem Kassettenrekorder auf. Seit 40 Jahren macht er das so. Helene Fischers größter Hit "Atemlos durch die Nacht" ist aber anders entstanden. Den Erfolgssong hat Kristina Bach geschrieben, Liessmann mochte ihn, aber als erste Single des Albums "Farbenspiel" wählte er eine andere Nummer. ",Atemlos' hat uns alle überrascht. Echte Hits sucht sich eben das Publikum aus."

Viele der berühmten Lieder, die er früher geschrieben hat, wären heute wohl keine Hits mehr. ",Anita' würde ich als Gassenhauer aber genau wieder so texten. Das kann halt immer noch jeder mitsingen." So sei es auch bei den Kastelruther Spatzen. Erst neulich war er mit Uschi in Südtirol bei einem der Spatzenfeste. 20 000 Leute saßen da in einem Zelt, sangen und tranken Bier. "Für die Menschen ist der Schlager Lebensfreude", sagt Liessmann. "Wir waren ganz gerührt." Sein persönlicher Höhepunkt war aber der Besuch bei Helene Fischers Stadiontour. "Sie hat das Mikrofon in die Menge gehalten, und 70 000 Zuschauer haben meine Songs gesungen, das war der perfekte Gänsehautmoment", sagt er. "Da wollte ich immer hin."

Jetzt tritt er kürzer. Er wird in Zukunft nur noch einen Teil der Fischer-Hits beisteuern, die Gesamtverantwortung hat er an das Label Universal abgegeben. "Ich freue mich auf die Ruhe", sagt Liessmann. Neben dem Wohnzimmertisch liegt ein Stapel Urlaubsprospekte. Er und Uschi wollen dieses Jahr nach Thailand fahren. Einfach mal weg aus der Heimat.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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