Pokerturnier in Mainz:Abgezockt

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Wer sich einmal beobachtet fühlen möchte, sollte sich an einen Tisch mit Pokerprofi Chris Ferguson setzen - und sich ausspielen lassen.

Jürgen Schmieder, Mainz

Es ist dieses Geräusch. Diese Mischung aus Imbusschlüssel und Kastagnetten. Nur lauter. Zwei Stunden lang. 900 Menschen spielen unentwegt mit ihren Pokerchips. Der eine lässt sie filigran ineinandergleiten, der andere hämmert auf ihnen herum, manch einer vollführt Fingerübungen, bei denen ein Pianist Probleme hätte, sie nachzuahmen. Dabei entsteht dieses Geräusch, das sich festsetzt im Gehirn und auch noch da ist, als das Turnier längst vorbei ist.

Wollen Sie von diesem Mann beobachtet werden? Chris Ferguson beim Pokerspielen. (Foto: Foto: FullTiltPoker)

Die Menschen sitzen in der Rheingoldhalle in Mainz, sie sorgen nicht nur allesamt für dieses Geräusch, sondern haben alle den Traum, einen Tag später als Millionär aufzuwachen. Darum geht es bei diesem Event, der "Million Euro Challange" des Online-Casinos FullTiltPoker. Mehr als 40.000 Spieler haben versucht, sich online zu qualifizieren, jetzt spielen die 2700 Finalisten live gegeneinander in drei Gruppen mit jeweils 900 Spielern. Der Sieger des Turniers tritt gegen drei der weltbesten Spieler an - schlägt er auch sie, gewinnt er mehr als eine Million Euro.

Ich bin einer von ihnen. Ich will Millionär werden. Ich bin kein Pokerprofi, ich gehöre eher zur Kategorie "Amateur, der denkt, er spielt super". Und es ist mein erstes großes Turnier.

Es kommt einem vor, als wäre man auf einer "Star-Trek"-Konvention. Die Menschen wuseln durch die Hallen und unterhalten sich in einer Sprache, die Klingonisch sein könnte, bei genauem Zuhören wohl doch als Poker-Latein durchgeht. "Bei King-Kongs musst du aggressiv sein, da ist deine Wahrscheinlichkeit am Sechsertisch höher als 64 Prozent", sagt einer. Die Antwort: "Ja, und dann geht der Maniac mit und ich verliere gegen Runner-Runner-Straße." Aha. Sie philosophieren über Wahrscheinlichkeiten, über das Zucken des Handrückens und unglückliche Karten. Und sie sind auf der Suche nach den weltbesten Spielern, die ebenfalls in der Halle sein sollen. Die Helden sind nicht Mr. Spock oder Captain Kirk, sie heißen Chris "Jesus" Ferguson und Howard "Professor" Lederer.

13 der besten Pokerspieler weltweit sind an dem Online-Casino beteiligt. Sie müssen schon lange nicht mehr pokern, um Geld zu verdienen. Mit Fernsehauftritten, Lehrbüchern und eben diesem Casino haben sie ein Vielfaches von dem eingenommen, was sie jemals an einem Pokertisch gewinnen könnten. Sie haben den Pokerboom ausgenutzt, der seit etwa fünf Jahren weltweit herrscht. Sie sind damit unfasslich reich geworden. Ferguson etwa soll mehr als 100 Millionen Dollar verdient haben. Sie sind Geschäftsleute und Maskottchen zugleich - und sie spielen ihre Rolle perfekt.

Ferguson gibt sich als eine Art moderner Cowboy, mit martialischer Musik wird er auf die Showbühne geholt. Er trägt schwarze Kleidung, einen schwarzen Hut und extrem lange Haare. Er gibt belanglose Antworten auf die belanglosen Fragen von TV-Kommentator Michael Körner. Ein paar Anekdötchen aus dem Pokerleben, ein paar Hinweise für Anfänger, ein paar Autogramme für die schlangestehenden Fans. Die sind begeistert. Ferguson ist das Idol, sein Leben ist das Ziel. Sie möchten auch mit Pokerspielen ihren Lebensunterhalt bestreiten und cool auf Bühnen herumsitzen.

Das will ich nicht. Ich will nur Millionär werden.

Ich erhalte eine Platzkarte und komme zu spät an meinen Tisch, weil ich ihn nicht auf Anhieb finde. Die anderen spielen schon. Neben mir sitzt ein Mann im Anzug, daneben ein älterer Herr mit einem offensichtlich selbstgestochenen Tattoo auf dem Unterarm. Weiter links sitzt ein Bub, den ich auf höchstens 16 Jahre alt schätzen würde. Das Mindestalter ist 18 Jahre, die Ausweise wurden kontrolliert. Wird schon alles in Ordnung sein.

Aggressiver spielen

Dann geht es los - und mir wird langweilig. Ich bekomme keine Karten, mit denen ein Amateur wie ich etwas anfangen könnte. Also sitze ich 30 Minuten nur herum und sehe den anderen beim Spielen zu. Chris Ferguson schaut in der Halle vorbei und ruft in ein Mikrofon: "Good luck to everyone - you need it!" Na, das war doch mal nett. Am Nebentisch ist schon einer ausgeschieden, er beschimpft erst die Karten und dann sich selbst. Ich sehe auf meinen Chips-Stapel, dessen Wert aufgrund meiner Untätigkeit von 5000 auf 4200 geschmolzen ist.

Der deutsche Pokerprofi Hans-Martin Vogl hat mir den Tipp gegeben: "Vielleicht kannst du mit einem aggressiven Schachzug andere Spieler vertreiben, auch wenn du keine guten Karten hast." Daran halte ich mich aber erst, als ich zwei gute Karten erhalte - ein Ass und einen König in der gleichen Farbe. Ich werfe ein paar Chips in die Mitte und blicke selbstbewusst in die Runde. Alle werfen ihre Karten weg - bis auf einen. Der ruft: "All in!" Dann schiebt er seine Chips nach vorne - und ich muss überlegen.

Was könnte er haben? Ein Pärchen? Nur eine Neun und eine Zehn? Oder vielleicht doch zwei Asse? Nun müsste man analysieren, wie der Typ - es ist der, den ich für einen 16-Jährigen hielt - vorher gespielt hatte. Aber ich habe in meiner Langeweile lieber den Masseurinnen zugesehen und mich unterhalten, anstatt aufzupassen.

Ich sehe ihn an und wundere mich: Ausdrucksloser ist nur der Gesichtsausdruck des Schauspielers Steven Seagal. Seine Hand zuckt nicht, seine Augen auch nicht. Ich glaube, er blufft. Oder er will, dass ich glaube, er wolle bluffen. Ich habe keine Ahnung. Ich sage "Call" und schiebe meine Chips in die Mitte. Plötzlich ist es nicht mehr langweilig, es ist hochspannend. Er dreht seine Karten um: eine Zehn und ein Junge. Ich liege deutlich vorne und meine Führung hält bis zum Ende. Ich habe mehr als 9000 Chips vor mir liegen. Ein Hochgefühl stellt sich ein. Irgendjemand sagt zu mir: "Glück gehabt."

Das ist das Auffällige an diesem Tag: Von den 2700 Finalisten würde wohl keiner zugeben, dass er deshalb ausgeschieden ist, weil er schlecht gespielt hat. "Pech gehabt", sagt einer. Ein anderer: "Mann, der andere Typ war verrückt und hatte nur Glück!" Vom eigenen Unvermögen keine Rede - die Regel ist: Gewinnt man, dann war es Können. Verliert man, dann war es Pech. Und trotzdem behaupten alle felsenfest, Poker sei kein Glücksspiel.

Mir ist das egal, ich bin euphorisiert, ich will mehr. In der kommenden halben Stunde gewinne ich immer wieder und bin schließlich der Mann mit den meisten Chips am Tisch. Dann wird es wieder langweilig, ich sehne eine Spielpause herbei, in der man durch die Hallen streifen kann.

Duell mit einem der besten Pokerspieler

Das Rahmenprogramm erinnert nämlich noch stärker an eine "Star-Trek"-Konvention als die Eröffnungsshow. Man kann gegen Profis im Eins-gegen-Eins antreten, es gibt zahlreiche Workshops und Gewinnspiele. Und dann gibt es eine blaue Wand, vor die man sich stellen muss und fotografiert wird. Dann wird das eigene Foto in das Bild mit den Profis geschnitten. Man muss ihnen also nicht einmal begegnen, um gemeinsam mit ihnen abgelichtet zu werden.

Ich schaffe es trotzdem, einen zu treffen. Es gelingt mir, mit Chris Ferguson an einem Tisch zu sitzen und gegen ihn zu spielen. Niemand hat mehr Preisgeld erspielt als Ferguson, er hat auch die meisten Armbänder bei der "World Series of Poker" gewonnen - der inoffiziellen Weltmeisterschaft. Wir spielen Heads up, also Mann gegen Mann. Das erste Spiel gewinne ich und habe den Eindruck, Ferguson hat keine Lust. Er sieht mich an, als würde er gleich vor Langeweile vom Stuhl fallen.

Ich habe mich getäuscht: Er wollte mich beobachten. Die nächsten vier Begegnungen verliere ich deutlich, er sagt: "Ich brauchte ein Spiel, um dich zu lesen. Dann hatte ich dich!" Wie das ging? "Du wackelst mit dem Fuß, wenn du gute Karten hast. Du siehst mir in die Augen, wenn sie mittelmäßig sind. Und du tust cool, obwohl du einen Puls von 150 hast." Ich messe nach: 148 Schläge. Der Mann ist wirklich gut. Viel zu gut für mich. Ich muss zurück zu den Amateuren.

Zurück zu meinem Spiel mit den Finalisten. Irgendwann sitze ich nur noch einem Konkurrenten gegenüber und habe auch noch mehr Chips als er. Noch ein Sieg und ich spiele am Abend mit den restlichen 90 Gewinnern um den Einzug ins Millionen-Finale. Ich werde arrogant - und verliere alle meine Chips. Aber nicht, weil ich schlecht gespielt habe, ich hatte einfach nur Pech. Ehrlich.

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