Nachwuchsdesigner:Götter am Modehimmel

Lesezeit: 9 Min.

Die großen Modewochen stehen an: Was kommt, ist noch geheim. Aber so viel vorab: Dies werden die Designer-Stars der Saison.

Verena Stehle und Antje Wewer

PARIS

Das Modehaus Givenchy erlebt gerade einen großen Hype: Chefdesigner Riccardo Tisci wird in der Presse in höchsten Tönen gelobt. (Foto: Foto: Getty)

Paris war immer die Grande Dame unter den Modewochen: gesetzt, elitär, unbeeindruckt von allzu Neuem. In jüngster Zeit aber mehren sich die Hypes. Letztes Jahr war es die "Balmainia": Plötzlich war das Modehaus Balmain so angesagt, dass sich Frauen für eine 2600-Euro-Jeans von Kreativchef Christophe Decarnin freiwillig verschuldeten.

Diese Saison liegt das Epizentrum der Aufregung in der 44 rue François 1er, 75008 Paris; Stammsitz von Givenchy, dem Label, das schon Alexander McQueen leitete. Seit 2005 ist Riccardo Tisci Chefdesigner. Noch vor zwei Jahren wurde der Italiener gemobbt: Die Presse nannte seine Kollektionen "mess", Chaos, und auch die Modekritikerin Suzy Menkes war kein Fan.

Heute aber hat der Central-Saint-Martins-Absolvent seinen Stil gefunden - und Schauenkritiken lesen sich, als habe man die Jubelchöre nach einem Lady Gaga-Konzert zu einer Endlosschleife zusammengeschnitten: fabelhaft, diese Kreuzungen aus Grufties und griechischen Göttinnen, und erst diese couturige Umsetzung, ganz fabelhaft!

Als "hardcore-hip" wird Tiscis Givenchy bezeichnet - was auch daran liegen mag, dass so geheimnisvolle, zauberhübsche Jetset-Eulen wie Leigh Lezark und Julia Restoin-Roitfeld auf Partys nur in Givenchy erscheinen. Das können jetzt alle: Seit Herbst ist Givenchy "Redux" auf dem Markt, eine günstige Best-of-Kollektion des Luxuslabels. Verständlich also, dass die Japaner Givenchy gerade in einer Umfrage zur zweitheißesten Modemarke kürten - gleich hinter Alexander Wang. Aber noch vor Balmain. Voilà!

Bei dieser und anderen Modenschauen werden Modechefinnen synchron in ihre Blackberrys tippen, welches Shirt sie für die Yacht-Fotostrecke brauchen oder welchen Gürtel Scarlett Johansson beim nächsten Editorial-Shooting tragen soll.

Nicht so bei Isabel Marant. Hier werden sie im Isabel-Marant-Pythondress in der vorderen Reihe kauern und notieren, was sie selber gerne hätten. Jogginghose? Haken. Pinke Tunika? Haken. Tweedjäckchen? Haken. Zottelstiefel? Haken! Seit der französische, gutbürgerlich-intellektuelle Chic weltweit nachgeahmt wird, und Vorzeige-Franzosen wie Lou Doillon und Camille Bidault-Waddington in Modeblogs auf ihre Outfits reduziert werden, fällt der Name Isabel Marant gefährlich oft.

Denn, apropos, Bidault-Waddington stylte schon ihre Show, und jede kleine Parisienne trägt Isabel Marant. Die Designerin ist mit ihren 42 Jahren zwar schon ein alter Hase in der Branche (seit nunmehr 15 Jahren kreiert sie Mode), außerhalb Paris kannten sie aber nur Insider. Caroline Sieber, Stylistin und Chanel-Groupie, gestand in einem Interview: "Ihr Pariser Shop ist einer der ersten Orte, wo ich hingehe, wenn ich in Paris ankomme. Alles sehr einfach zu tragen!"

In diesem Monat noch eröffnet Isabel Marant ihren ersten Laden in New York, bald gibt es ihre Mode auch online zu kaufen. Was mit diesem anderen französischen, einst irre gehypten Mädchenlabel ist, Chloé? Das schon als das Chanel der Jungen galt und jetzt von dieser Blondine verantwortet wird, Hannah MacGibbon? Ach, wenn es nicht Gas gibt, ist es bald: abgehängt.

NEW YORK

Marc Jacobs will heiraten und kürzer treten. Gut, dann kann der Nachwuchs auch mal zeigen, was er kann. (Foto: Foto: AP)

New York ist der Mode-Himmel, denn bisher saß da einer, der von dort aus irgendwie die ganze Modewelt lenkte: Marc Jacobs, nicht selten auch "Gott" genannt. Doch auf einmal hört man kaum mehr was vom einst so einflussreichen, weltgerühmten, ach so coolen Modemacher, nur dies: Er heiratet bald einen Mann, Lorenzo Martone, und trägt selber nur noch Röcke.

Das größte kreative Potential der Stadt hat ohnehin ein anderer: Alexander Wang. Wer noch nie etwas von ihm gehört hat, lebt hinter dem Mond: Sein Label gilt derzeit als das coolste, was man in New York tragen kann - obwohl oder gerade weil es das genaue Gegenteil ist vom blitzblanken, überperfekten, von Haarkaskaden gerahmten Uptown-Look.

Alex Wang, 25 Jahre alt, entwirft Mode für Hipster, Clubkids, bambibeinige und bambiäugige Nachwuchs-Supermodels. Seine Shirts wirken ungebügelt, Taschen verschmutzt, Lederjacken und Röcke leicht vulgär, eigentlich sieht alles so aus, als hätte man darin eine Nacht durchgemacht. "Scherzhaft nuttig" nannte das mal jemand.

Der Wunderknabe ist dem frühen Marc Jacobs übrigens recht ähnlich: Er besuchte die Parsons School For Design und liebäugelte von Anbeginn mit dem Grunge-Stil, mit dem auch Marc Jacobs der Durchbruch gelungen war. Sein erstes Teil entwarf Wang in der Highschool, einen Minirock, der prompt im US-Magazin W landete.

2005 gründete der "Straßenästhet" (Cathy Horyn) seine eigene Modefirma - heute ein 20-Millionen-Miniimperium. Der Bub hat eben nicht nur Talent, sondern auch Geschäftssinn: Am Ende, sagte er einmal einem Reporter, gehe es doch bloß darum, die Kleider zu verkaufen. So designt er außer Damenmode auch Taschen, Schuhe, eine Linie namens T - und bald auch Männersachen. Laut New York Times zieht Alexander Wang jetzt alle an, auch "gebotoxte Societylibellen und Lehrer." Machen wir uns also auf absolut verschärfte Kordjacketts gefasst.

Bei einer Show werden sicher keine Halbstarken, dafür umso mehr Einkäufer sitzen und Leute, die den Zusatz "Fashion Deputy" auf ihren Visitenkarten tragen - bei Zero + Maria Cornejo. Vielleicht wird Michelle Obama hinter dem Laufsteg herumhuschen, Maria Cornejo ist nämlich ihre Lieblingsdesignerin.

Seit das bekannt ist, können auch New Yorks Modechefs, Modeassistentinnen und Modepraktikantinnen nicht länger verheimlichen, dass das Label längst zu ihren Favoriten zählt: Die Overalls, Tuniken und Print-Kleider sind schlicht, schön und tragbar. Suzy Menkes nennt ihre Entwürfe "smart", und wer genau hinsieht, findet sie in der US-Vogue und etwa zwei Dutzend anderen Modeheften.

Maria Cornejo ist geborene Chilenin, sie studierte in London and lebt seit 1996 in New York. Ihre Kreationen verkauft sie außer in ihrem New Yorker Flagshipstore auch in Paris, London, Tokio, Katar. Sogar die britische Schauspielerin Tilda Swinton trägt ihre Kleider. Aber Maria Cornejo scheint das alles gar nicht zu freuen. Sie fürchtet das In-Sein: "Wenn man in ist", erklärt sie auf ihrer Website, "ist man nächste Saison wieder out". Hoffentlich hat sie nicht auch Höhenangst, jetzt, wo es doch steil nach oben geht.

MAILAND

Früher, ja früher, da pulsierte es in Mailand, und Karten zu den Schauen waren hart umkämpft. Genauso wie Hotelzimmer, Taxis, Restauranttische. Über die Jahre hat Mailand an Schlagkraft verloren, das Gütesiegel "Made in Italy" ist angekratzt, und die italienische Modekammer versucht durch allerlei Marketing-Gags verzweifelt, das Image wieder aufzupolieren.

Zum Glück gibt es Prada: Ohne Miuccia hätte Mailand wirklich ein Problem. Außerdem ist da noch Angela Missoni, die immer noch emsig für das Familienunternehmen entwirft, weil ihre Tochter Margherita lieber in New York Party macht. Und Consuelo Castiglioni, die bereits seit 1994 für Marni im Einsatz ist - die Branche aber mit ihren verspielten Kreationen so beeindruckt, dass man glauben könnte, bei ihr sei eine Horde talentierter Newcomer am Werk. Aber: niente!

Der italienischen Modemetropole fehlt nämlich schlicht der Nachwuchs. Es geht sogar so weit, dass sich Donatella Versace Christopher Kane ausborgen musste; seit letzter Saison entwirft der umschwärmte Schotte für Versus, die wiederbelebte junge Linie von Versace. Ein weiblicher Newcomer? Hallo! Posten zu vergeben!

Als einheimisches Designduo haben vielleicht noch Tommaso Aquilano und Roberto Rimondi das Zeug, groß rauszukommen. Sie gelten zwar als Pechvögel der Branche: unterzeichneten bei der Traditionsmarke Gianfranco Ferré, um eine Saison später herauszufinden, dass der Besitzer IT Holding SpA Konkurs angemeldet hat.

Die Mode aber, die sie unter ihrem eigenen Label Aquilano.Rimondi zeigen, nennen Kritiker "glamourös" und "ausgeklügelt". Aber mal ehrlich: Der einzige wirkliche Aufreger in Mailand wird wieder einmal Dsquared2 sein. Das Label der kuriosen Zwillingsbrüder Dan und Dean Caten. Die Marke gehört Diesel-Gründer Renzo Rosso, der auch schon Maison Martin Margiela und Sophia Kokosalaki (beide zeigen in Paris) aufgekauft und aufgemotzt hat.

Letzteres war bei Dsquared2 nicht nötig, denn die Kanadier zelebrieren ihr Rockstar-Image, das sie in den USA groß gemacht hat - und auch die Italiener lieben ihre immer etwas zu schrillen, zu bunten, zu kitschigen Entwürfe. Die eineiigen Zwillingsbrüder haben nebenbei auch beste Kontakte ins Showbiz, kleiden amerikanische Stars wie Madonna oder Justin Timberlake ein. Kein Wunder also, dass sie ihre Mailänder Männershow im Januar tatsächlich von Bill Kaulitz eröffnen ließen, dem Sänger von Tokio Hotel, den sie in enge, geschnürte Lederhosen und ein mit Federn dekoriertes Mieder steckten.

Die Jungs schrecken eben vor nichts zurück, um Aufmerksamkeit zu generieren. Deshalb wird schon jetzt fleißig spekuliert, wen sie wohl für ihre Damenkollektion als Show-Opener auf den Catwalk schicken. Vielleicht Michelle Hunziker? Oder Marta Cecchetto, die Spielerfrau von Luca Toni? Oder doch George Clooneys Freundin Elisabetta Canalis? Früher hätte die Milano Moda Donna so etwas nicht nötig gehabt.

LONDON

Lange Zeit war die Londoner Modewoche eine Art Schattengewächs, so gut wie nicht im Scheinwerferlicht. Anna Wintour ließ sich zuletzt im Jahr 2007 dort blicken, Fotografen reisten den Großen hinterher; und die großen Briten zeigten nun mal in Mailand (Christopher Bailey von Burberry Prorsum) oder Paris (Westwood, McCartney).

Im Schatten der anderen Städte entwickelte die London Fashionweek einen düsteren Look: Milliardärs- und Rockstarkinder im Publikum sahen aus wie Filmakademiestudenten mit Schwerpunkt Splatter, Designer wie Gareth Pugh (mittlerweile in Paris) oder Meadham Kirchhoff lieferten die Kostüme dazu.

Heute ist aber alles anders: Seit Giganten wie Christopher Bailey wieder in London zeigen, blüht die Mode auf. Allen voran der Kanadier Erdem Moralioglu: Der 32-Jährige, den die britische Journalistin Sarah Mower als "Christian Lacroix von London" bezeichnet, kreiert sagenhaft moderne Abendkleider. Nach seinem Abschluss am Royal College of Art 2000 arbeitete er bei Diane von Furstenberg in New York und präsentierte sein eponymes Label 2006 erstmals bei der London Fashionweek.

Dank einiger renommierter Modepreise fliegen Show-Käfer wie Keira Knightley, Chloë Sevigny und Ashley Olsen auf seine Cocktail- und Bandeaukleider, die oft von Blumen übersät sind. Der Evening Standard zählt den Designer zu den "1000 einflussreichsten" Londonern, das US-Modeblatt W nannte ihn den "neuen It-Briten". Sein Kosename ist uns im Grunde herzlich egal - solange er nur die Roteteppichmode bei den Bambis, Oscars und Golden Globes nachhaltig von Apricotfarben und anderen Abszessen kuriert.

Eine ähnliche Karriere könnte auch Louise Goldin blühen: Die gebürtige Britin sticht nicht nur heraus, weil sie bei der Londoner Modewoche eine der wenigen Frauen ist - wie gesagt: alle großen Ladys sind ausgebüchst -; ihre Strickmode lässt sich einfach nicht übersehen, erst recht nicht, seit sie Londons It-Crowd um Alexa Chung trägt.

Zuletzt zeigte sie eine futuristische, bonbonfarbene Kollektion aus Togakleidchen und Faltenröcken, die aussah wie Ladurée-Makronen auf Ecstasy. "Ihre Show war umwerfend", lobte der Guardian im September und rechnete ihre Frühjahrskollektion - für die sie sich von Versaces pastellig-zuckrigen 80er-Werbekampagnen inspirieren ließ - zu den fünf Höhepunkten der London Fashionweek (ein anderer Höhepunkt war "Joan Collins in der Front Row", aber sei's drum).

Die Britin, die auch an der Kaderschmiede Central Saint Martin's studierte, ist seit 2007 fester Bestandteil des Londoner Schauenkalenders, und wird seither regelmäßig mit Preisen bedacht: Unlängst gewann sie den Nachwuchspreis des British Fashion Council, und stach gleich eine Reihe männlicher Mitstreiter aus.

Jetzt muss sie nur noch die Einkäufer überzeugen, dass sie auch Kleider entwirft, die man nicht nur zur Star-Trek-Convention, sondern auch auf der Straße tragen kann. Das passende Schuhwerk gibt es bei Topshop: Louise Goldins Schuhkollektion für die britische Jugendmodekette ist seit dieser Woche erhältlich. Wenn sie nicht schon ausverkauft ist.

KOPENHAGEN

Sicher: Die Kopenhagener Fashionweek ist nicht so prominent aufgestellt wie ParisLondonNewYork - dafür aber ist sie völlig unhysterisch. Die Designer zeigen in der wunderschönen Stadthalle und versuchen nicht, sich gegenseitig mit extravaganten Off-Locations zu übertrumpfen.

Es lohnt sich trotzdem, gerade die Dänen im Auge zu behalten; als Stilvorbilder sind sie aus vielen Modezeitschriften nicht mehr wegzudenken. Die Krise macht zwar der zeitgleich stattfindenden Messe zu schaffen (weniger Aussteller als in den Jahren zuvor), nicht aber der Modewoche. Wie schon in den letzten Jahren zeigen alle wichtigen skandinavischen Marken, die kommerziell etablierten wie Bruuns Bazaar oder By Malene Birger sowieso.

Aber eben auch die neue nordische Generation - von Avantgarde-Designer Henrik Vibskov, dessen Show eher Kunst- als Modeevent ist bis hin zu Bo van Melskens. Sarah Elbo, die Designerin hinter dem Label, lebt zwar in Berlin, zeigt aber aus alter Verbundenheit in Kopenhagen: Sie ist Dänin. Wer fehlt? Vielleicht die ein oder andere große internationale Designermarke.

Den Dänen aber ist das ziemlich egal, Jammern ist nicht ihr Ding, und solange ihre Landsleute nicht woanders zeigen, ist ihre kleine Modewelt in Ordnung. Bedauert wird nur, dass das skandinavische Überflieger-Label Acne, bekannt für sexy Jeans, bei der sehr viel kleineren Modewoche in Stockholm zeigt. Nun gut; dafür verdienen aber zwei Labels, die auch in Deutschland schon Fans haben, mehr Aufmerksamkeit.

Große Vorfreude auf ihre Herbst/Winter-Kollektion 2010/11 hat gerade die Dänin Stine Goya bei der Berliner Modewoche geschürt. Die Designerin mit dem mondänen Namen hat am Central St. Martin's College Textildesign studiert und nebenbei für Chanel gemodelt, bevor sie ihr eigenes Label gründete. In Berlin zeigte Stine Goya ihre aktuelle Sommerkollektion - und als Appetizer für Kopenhagen fünf Winteroutfits: übergroße Capes, großstadttaugliche Präriehüte und Lederdetails.

Zu den Goya-Fans der ersten Stunde zählt Prinzessin Mary, die Australierin ist Schutzpatronin der Fashionweek. Ob sie auch mit der Streetwear von Wood Wood etwas anfangen kann? Nicht überliefert. Die Dänen Karl-Oskar Olsen und Brian Jensen kommen aus der Graffiti-Szene und lernten sich auf der Royal Design Schule kennen. Anfangs entwarfen sie nur T-Shirts, eröffneten Wood Wood-Shops in Berlin und Wien und kleiden nun ganz offiziell Frauen mit eher weiten als engen Teilen ein. Übergroß geschnittene Kleider und lustige Hosen. Kein Prinzessinnen-Outfit, aber sehr lässig.

Das Styling für die Show übernimmt der britische Designer Kim Jones, der gerade bei den Männerschauen in New York seine Kollektion für Dunhill präsentierte und lobende Worte von Suzy Menkes erntete. Die Dänen machen es richtig: Sie locken Leute wie Kim Jones nicht mit Geld, sondern mit ihrer unaufgeregten Begeisterung. Ist da was faul im Staate Dänemark? Nicht in der Mode.

© SZ vom 06.02.2010/dog - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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