Medizin und Wahnsinn, Folge 146:Sind die noch ganz dicht?

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Eltern wollen nur das Beste für ihren Nachwuchs. Deshalb boomt Babyschwimmen - auch wenn Babys überhaupt nicht schwimmen können. Es gibt aber noch weitaus kuriosere Plantsch-Angebote.

Werner Bartens

Diese immense Verantwortung, die junge Eltern haben! Jeden Tag bilden sich bei Säuglingen und Kleinkindern Zehntausende Synapsen neu. Was man da alles stimulieren, anregen, erwecken und fördern kann, um die umhereilenden Transmitter und die sprießenden Nervenbahnen in die richtigen Bahnen zu lenken. So ein Gehirn benötigt man ja meistens ein Leben lang, auch wenn manche Benutzer offenbar glauben, durch sparsamen Gebrauch Abnutzungserscheinungen vermeiden zu können. Das Gegenteil ist aber der Fall. Wer selten oder wenig denkt, der denkt sich irgendwann gar nichts mehr, auch wenn das Gehirn noch wie neu aussieht.

Säuglingsschwimmen gilt vielen Eltern als Teil der Frühförderung.  Inzwischen gibt es sogar windelverstärkte Badehosen und Schwimmflügel in Mini-Größe. Und sogar Hundebesitzer zieht es jetzt öfter ins Schwimmbad. (Foto: dpa)

In Kreisen der Besserverstehenden ist bei jungen Eltern eine Methode beliebt, um die Motorik, die Wahrnehmung und die Spielfreude ihres Nachwuchses früh zu fördern - das Säuglingsschwimmen. Die Industrie bietet bereits windelverstärkte Badehosen und Schwimmflügel in XXXS an. Ein authentischeres Gefühl und die natürliche Aufgehobenheit im Wasser stellen sich aber leichter ein, wenn die Babys nackig sind. Manche Mütter hoffen sogar, bei den Kleinkindern im Chlorwasser das Geborgenheitsgefühl im Fruchtwasser simulieren zu können und sie auf diese Weise stark, sicher und selbstbewusst für den Rest des Lebens zu machen.

Ein befreundeter Kinderarzt hat Kernprobleme des Säuglingsschwimmens auf den Punkt gebracht. Man kann es zwar Säuglingsschwimmen nennen, schwimmen können die Säuglinge trotzdem nicht. Im Wasser allein gelassen, würden sie so schnell untergehen wie diese Bernsteinketten, die Babys gegen Schmerzen beim Zahnen umgehängt werden. Ein zweiter wichtiger Punkt: ,,Die sind ja nicht ganz dicht'', wobei der Kinderarzt offenließ, ob er damit nur die Kinder oder auch die Mütter - Väter gehen viel seltener zum Säuglingsschwimmen - meinte.

Wen diese Einwände davon abhalten, seinen Nachwuchs ins Wasser zu scheuchen, bevor es das Seepferdchen-Alter erreicht hat, der kann es in der Zwischenzeit vielleicht mit der ,,Reha für Hunde mit therapeutischem Schwimmen'' versuchen. Im Frühförderwahn, nur das Beste für die Kleinen zu wollen, verschwimmen ja manchmal die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Im Angebot sind Massage und Bewegungstherapien, aber auch die Blutegeltherapie, die ,,inkl. Material und Egel'' 60 Euro für eine bis eineinhalb Stunden kostet.

Für ihre Schwimmrunden steht den Hunden ein ,,vier mal drei Meter großes, beheiztes Becken'' zur Verfügung. Die Anwendungsgebiete sind vielfältig: Muskelaufbau nach Operationen, Physiotherapie zur schnelleren Genesung, Schmerzen an der Vorderpfote und Vorbeugung einer Arthrose. Auch ,,alten Hunden bekommen physiotherapeutische Maßnahmen sehr gut'', schreiben die Anbieter. Die Beweglichkeit werde gefördert und so die ,,Steifheit im Alter'' etwas verlangsamt. Aber das Wichtigste ist: ,,Die Hunde haben ein besseres Körpergefühl.''

In der Hunde-Reha wird übrigens analog zum Säuglingsschwimmen auch das Welpenschwimmen angeboten. Es wird ,,grundsätzlich mit zwei Welpen'' durchgeführt - 15 Euro pro Welpe für 15 Minuten. Früher war im ländlichen Raum auch eine Art Welpenschwimmen verbreitet. Man nannte es nur nicht so, und es war nicht nur für junge Hunde, sondern auch für überzählige kleine Katzen im Programm. Es galt das inzwischen überholte Prinzip: fordern statt fördern. Ähnlich wie beim Reha-Angebot wurden die Tiere zu zweit oder in größerer Zahl zu Wasser gelassen. Vorher wurden sie allerdings in einen Sack gesteckt.

© SZ vom 25.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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