Medizin und Wahnsinn (119):Schmerzfrei in Münster

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Münster soll schon bald zur "schmerzfreien Stadt" werden. Die Kooperation der Kommune mit Pharmafirmen und Apothekenkammern lässt aber nichts Gutes ahnen.

Werner Bartens

Was für ein besonderer Menschenschlag in und um Münster zu Hause ist, weiß fast jeder Bewohner Deutschlands. Auch in den Redaktionsräumen der Süddeutschen Zeitung schätzt man den überschwänglichen Humor und den manchmal geradezu exaltierten Charakter der Kollegen, die aus Münster stammen oder dort längere Zeit gelebt haben.

Wie passend, dass die westfälische Metropole jetzt ein medizinisches Modellprojekt ganz eigener Art ausgerufen hat: Münster soll schon bald zur "schmerzfreien Stadt" werden - in der "Rüstkammer" des Rathauses wird das Vorhaben demnächst vorgestellt.

Nach bisherigen Recherchen bedeutet das aber nicht, dass man schmerzfrei sein muss, um in Münster zu wohnen, obwohl chronische Schmerzfreiheit ein Wesenszug mancher Menschen zu sein scheint, die Münster den Rücken gekehrt haben. Wie genau die Stadt ihre Bewohner schmerzfreier machen will, bleibt leider auch unklar.

Die Kooperation der Kommune mit Pharmafirmen und Apothekenkammern lässt aber nichts Gutes ahnen. Vielleicht werden in der Rüstkammer des Rathauses demnächst säckeweise Schmerzmittel eingelagert, mit denen das übermütige Münsterland sediert und betäubt werden kann.

Die Pharmaindustrie hat manchmal solche lustigen Ideen. Bald nach der Erfindung des Aspirins wurde vorgeschlagen, es nicht nur ins Blumen-, sondern auch ins Trinkwasser zu geben. Bevor sie zunehmend in die Kritik gerieten, wurde auch darüber nachgedacht, weibliche Geschlechtshormone ins Trinkwasser zu geben - als so segensreich galten Östrogen und Co.. Man verwarf den Plan allerdings doch, weil ungewiss blieb, wie der männliche Teil der Menschheit auf die Hormone reagieren würde.

Das Pharmaunternehmen Bayer, das seinen Weltruhm vor allem dem Aspirin verdankt, hat sich mittlerweile auch andere Ziele gesetzt, als die Menschen vom Schmerz zu erlösen. Der Medikamentenhersteller informiert gerade in einer PR-Kampagne darüber, wie unangenehm Blähungen und andere Verdauungsstörungen sind, "vor allem wenn sie in Gesellschaft auftreten". Bayer hat passenderweise ein "Mikrogranulat" gegen Blähungen entwickelt. Die Partikel sollen überschüssige Luft im Bauch binden und verlassen den Körper angeblich unverändert wieder.

Die Presseabteilung des Unternehmens hat sich überlegt, dass nicht nur das hauseigene Mikrogranulat gegen Blähungen hilft. Auch ein Tanzkurs, der sinnigerweise nach dem Namen des Anti-Blähmittels benannt ist, soll Abhilfe bei Völlegefühl und Flatulenz schaffen. Lange haben wir hier in der Redaktion gegrübelt, warum die PR-Menschen von Bayer ausgerechnet auf die Idee mit dem Tanzkurs kamen. Dann war klar: Tanzkurs - weil bei Blähungen "die Verdauung aus dem Takt geraten ist". Ein Brüller für Menschen, die schon etwas länger schmerzfrei sind.

Blähmittel fürs Bücherregal

Ein bisschen mit Blähungen und sehr viel mit Schmerzfreiheit zu tun haben auch die unverlangt eingesandten Erfahrungsberichte von Chefärzten. Sie erscheinen fast immer als "Books on demand" und sind zuverlässige Blähmittel für jedes Bücherregal. Dagegen helfen weder Mikrogranulat noch Tanzkurse. Jüngst schickte ein Doktor die Ankündigung seines neuesten Werkes in die Redaktion und legte ein Interview mit sich selbst bei.

Daraus wurde ersichtlich, dass der Autor auch vor heiklen Themen nicht zurückscheut und sogar die eigene Krankenhausverwaltung kritisiert. Ein brisantes Thema, sicher auch im schmerzfreien Münster. Wichtiger ist Chefarzt Jürgen D. Furkert in seinem Buch "Der Patient ist kein Kunde. Ein Jahr Klinikalltag eines Chefarztes", aber etwas anderes: "Der Durchschnittsarzt ist weder ein pfuschender Abzocker, noch ein immer gut gelaunter Strahlemann, sondern vor allem eines: ein Mensch."

© SZ vom 27.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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