Medizin und Wahnsinn (102):Neues aus der Hirnliga

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Deutsche Ärzte haben sich zur Hirnliga zusammengeschlossen. Andere Forscher wollen da nicht zurückstehen. Und so gibt es nun auch eine Lipid- und eine Hochdruck-Liga.

Werner Bartens

Man muss auch mal die positiven Seiten der Medizin hervorheben. Das geschieht viel zu selten. Es gibt schließlich viele Nachrichten aus der Heilkunde, die erwartungsfroh stimmen. Immerhin haben sich schon vor längerer Zeit ein paar Ärzte in Deutschland zur Hirnliga zusammengeschlossen. Die Bundesliga kennen wir ja. Wie das wohl ist, wenn man Ergänzungsspieler in der Hirnliga ist?

Ob die Hirnliga eine Vereinigung besonders intelligenter Mediziner ist, erschließt sich auf den ersten Blick nicht. Vielleicht halten die Mitglieder sich auch für die Champions League der Ärzte, die ihr Hirn regelmäßig benutzen. Erst nach intensiver Recherche zeigte sich, dass es sich bei der Hirnliga um eine Vereinigung von Alzheimer-Forschern handelt. Ach so.

Andere Mediziner wollen da nicht zurückstehen. Ein paar Fettforscher haben sich zur Lipid-Liga zusammengetan, was entschieden besser klingt als Fettliga. Ärzte, die gerne und häufig hohen Blutdruck behandeln, treffen sich in der Hochdruck-Liga. Wir warten noch auf eine Geburtsliga der Gynäkologen, die Kreisliga wohl mit "ß" schreiben würde. Ein befreundeter Arzt sagt zwar, dass Ärzte-Vereinigungen sich nur dann Liga nennen, wenn sie besonders viel Geld von der Pharmaindustrie bekommen. Das will ich aber nicht glauben, bestimmt steht einzig der sportliche Wettstreit der Mediziner zum Wohle der Patienten im Vordergrund.

Gerne möchte man sehen, wie die Hirnligisten gegen die Lipidligisten in einer Art Bunten Liga der Heilkundler gegeneinander Fußball spielen, wobei die Mitglieder der Herzliga sicher konditionelle Vorteile hätten. Verzichten sollten die Ärzte allerdings auf eine Bruchliga der Orthopäden und Unfallchirurgen. Auch witzig gemeinte Namen für die Teams wie Tennis Borrelia sind zu vermeiden.

Ähnlich lobenswert wie die Ligabildung in der Medizin ist die publizistische Aktivität vieler Ärzte. Hervorzuheben ist besonders ein neuartiges Buchprojekt, das in den zahlreichen Beilagen und Besprechungen zur Frankfurter Buchmesse untergegangen ist. Das Buch ist von Dieter Alt und Manfred Kaufmann herausgegeben und trägt den schönen Titel: "Lieblingsgerichte deutscher Chefärzte". Der Untertitel verspricht ein "Benefiz-Kochbuch der Aktion Bewusstsein für Brustkrebs".

Was das Hirnliga-Mitglied mag

Das Buch ist "liebevoll und aufwendig gestaltet", betont der Verlag. In dem Werk werden aber nicht nur kulinarische Vorlieben der Mediziner zwischen Klinikkantine und Pharma-Lunch aufgeführt. Es verspricht "auch Einblick in die unterschiedlichen Interessensgebiete von 64 deutschen Chefärztinnen und Chefärzten".

Was wohl der Urologe oder der Fußexperte am liebsten isst - und was mag das Hirnliga-Mitglied? Was beschäftigt HNO-Ärzte in ihrer Freizeit? Und wie bewerten Deutschlands maßgebliche Mediziner den Trend, aus jedem Lebensmittel ein Carpaccio zu machen oder es in der aufgebrezelten Molekular-Küche bis zur Unkenntlichkeit zu verunstalten? Wer beruflich viel mit Kleinteiligem zu tun hat, mag es auf dem Teller vielleicht eher hand- und bissfest.

Wir mussten gleich ein Rezensionsexemplar bestellen. Und wir warten sehnlichst auf das Buch "Die Lieblingsleiden deutscher Chefköche". Wahrscheinlich plant das ZDF längst ein Kochduell, in dem Ärzte gegen Heilpraktiker antreten.

Einer Benefizaktion zugunsten von Kranken ist immer Erfolg zu gönnen, deshalb sind diesem Buch auch ganz viele Leser zu wünschen. Aber selbst nach ausführlichem Nachsinnen fiel uns nicht ein, was der Kampf gegen Brustkrebs damit zu tun hat, ob ein Chefarzt lieber Roulade oder Risotto mag und ob er lieber Boule oder Backgammon spielt. Noch schleierhafter ist uns, welche Leserkreise das ansprechen soll. Aber wahrscheinlich fehlt uns hier die Phantasie. Oder es liegt daran, dass niemand aus der Redaktion in der Hirnliga ist.

© SZ vom 24.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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