Magenverkleinerung:Das dünne Ende kommt zum Schluss

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Immer mehr Deutsche werden immer dicker. Manche hoffen daher auf eine Magenverkleinerung.

Nina von Hardenberg

Sabine Naß passt wieder in ihren Konfirmationsanzug. Zuletzt konnte die 40-Jährige das schwarze Samthosenkostüm am Festtag tragen. Sie war damals 13 Jahre alt und wog 80 Kilo, zu viel für ihr Alter und doch leicht im Vergleich zu allem, was später kam.

(Foto: Foto: Roselieb)

Den gefürchteten 100 Kilo etwa, die sie mit 18 Jahren erreichte; den 136, die ihre zweite Schwangerschaft zum Risiko werden ließen - und leicht auch im Vergleich zu den 150, die sie wog, als sie sich entschloss, ihr Leben zu ändern. Heute wiegt Naß wieder 80 Kilo. Und sie ist eine Operierte.

Sabine Naß sitzt an einem langen Tisch in der Cafeteria des Krankenhauses Sachsenhausen in Frankfurt. Eine eher schmale Frau in weißer Bluse und modischer Lederjacke zwischen vielen Menschen mit runden Gesichtern und T-Shirts in Übergrößen.

Doch der Kontrast ist nur oberflächlich. Die Menschen hier teilen dasselbe Schicksal. Sie sind hier, weil sie einen radikalen Schritt gehen wollen oder wie Sabine Naß schon gegangen sind: Sie wollen ihren Magen, dieses ewig hungrige Tier, mit einer Operation ausschalten. Und sie haben einen gemeinsamen Feind: die Krankenkassen, die den Eingriff häufig nicht bezahlen.

Viele Menschen hierzulande haben mit erheblichem Übergewicht zu kämpfen. Knapp ein Fünftel der Bevölkerung leidet nach Angaben der Deutschen Adipositas-Gesellschaft unter starkem Übergewicht, genannt Adipositas, Tendenz steigend. Die Deutschen werden zu einem Volk der Dicken, wenn sie ihre Essgewohnheiten nicht gründlich ändern, warnen Wissenschaftler. Zu dem Stammtisch der Frankfurter Selbsthilfegruppe aber kommen nur Menschen, die das längst versucht haben.

Ein radikaler Schnitt

Es ist der Treffpunkt der hoffnungslos Übergewichtigen, der XXL-Betroffenen, wie sie sich nennen. Die Menschen hier sind nicht einfach nur schwer, sie sind krank. Denn starkes Übergewicht führt zu Diabetes, Gelenkschäden und Herzleiden. Viele der Anwesenden setzen darum ihre letzte Hoffnung auf eine rabiate Therapie: den sogenannten Magenbypass.

Es ist ein schwieriger Eingriff, bei dem ein Chirurg den Magen an einer hohen Stelle abtrennt und ihn mit einem unteren Teil des Dünndarms verbindet - das bedeutet, dass ein Großteil des Magendarm-Trakts ausgeschaltet wird. Der aktive Teil des Magens schrumpft auf die Größe eines unaufgeblasenen Luftballons und hat gerade noch Platz für zwei Stück Schokolade.

Der verkürzte Magendarmtrakt kann die Nahrung nicht mehr richtig verdauen. Deshalb gilt der Bypass auch als betrugssicherer als das in Deutschland bekanntere Magenband, bei dem manche Patienten trotz des Zwangs zu kleinen Portionen nicht abnehmen, weil sie weiterhin süß essen. Menschen mit Bypass können süße und fettige Speisen dagegen gar nicht mehr bei sich behalten. Dafür lockt sie ein unwiderstehliches Versprechen: Einige Patienten erreichen nach der OP Normalgewicht, einen Zustand, den die meisten überhaupt nicht kennen.

In den USA wird der Bypass bei lebensbedrohlicher Fettsucht inzwischen bevorzugt operiert. Auch in Ländern wie der Schweiz und Österreich ist die OP üblich. Gemessen an der Zahl der krankhaft Übergewichtigen, werden in Deutschland dagegen weniger Menschen operiert. Der Grund: Die OP gehört nicht zum Regelleistungskatalog der Kassen. Und die Versicherungen entscheiden im Einzelfall sehr unterschiedlich.

Übergewicht als Krankheit

Normann Henkl etwa kämpft seit Mai 2006 verbissen um eine Operation. Der 34-Jährige sitzt in seinen Stuhl zusammengesunken am anderen Ende des Tisches. So lange er sich erinnern kann, war Henkl immer schwerer als die anderen Menschen. Mit dreizehn machte er die erste Kinderdiät. Doch dann kam die Scheidung der Eltern und mit ihr folgten neue Pfunde und weitere Diäten. "Ich habe Probleme immer in mich reingefressen", sagt Henkl.

Inzwischen wiegt er 200 Kilo. Bei einer Körpergröße von 1,75 Meter erreicht er damit einen Wert, der in der Medizin als Adipositas gigantea beschrieben wird, eine gefährliche Form des Übergewichts, die fast immer zu weiteren Krankheiten führt. Henkls Wirbelsäule hat sich unter dem Gewicht verkrümmt. Ohne Schmerzmittel kann er nicht schlafen und auch nicht länger als drei Stunden sitzen. Seinen Job als Lkw-Fahrer musste er aufgeben.

Doch seine Krankenkasse lehnt eine Operation ab. Sie beruft sich auf ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen, wonach Henkl noch nicht genug versucht hat, mit Diäten abzunehmen. Die Argumentation ärgert den Frankfurter Anwalt Tim Werner: "Selbst wenn mein Mandant mit Diäten zehn Kilo verliert, erreicht er kein gesundes Gewicht." Der Anwalt hat die Ablehnung vor Gericht angefochten.

Warum zahlen die Krankenkassen nicht für eine Operation, die das Gewicht so wirkungsvoll verringert und teure Begleit-Krankheiten häufig quasi nebenbei verschwinden lässt? "Adipositas ist immer noch wenig als Krankheit anerkannt", sagt Bernd Schultes, Leiter des interdisziplinären Adipositas-Zentrums in St. Gallen. Viele Menschen glaubten nicht, dass Übergewichtige litten, denn sonst würden sie ja abnehmen.

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Eine Wunderpille gibt es nicht

Studien zeigten dagegen, dass stark übergewichtige Menschen ihr Essverhalten nicht mehr steuern könnten. "Ich bin überzeugt, dass es in vielen Fällen ein genetisches Problem im Gehirn ist", sagt Schultes. Bestimmte Patienten reagierten mit übermäßigen Reizen auf süße und fettige Speisen. Der Magenbypass führe zu hormonellen Veränderungen, die sich auch auf das Gehirn auswirkten und damit das Essverhalten änderten.

Doch nicht allen hilft die Operation. "Es gibt Menschen, die nach der Operation nicht abnehmen", gibt Volker Schusdziarra, Ernährungsexperte am Klinikum rechts der Isar in München zu bedenken. So würden Patienten mit einer Vorliebe für zuckrige Getränke häufig auch mit einem Bypass kein Gewicht verlieren, da sie die Flüssignahrung weiter trinken könnten.

Der Gastroenterologe bietet in München eine individuelle Ernährungsumstellung an, mit der es stark Übergewichtige schaffen können, einen Gewichtsverlust von fünf bis zehn Kilo zu halten. Nach einem Bypass sei die dauerhafte Gewichtsreduktion höher, doch der Eingriff riskanter. Schusdziarra fordert deshalb eine bessere Auswahl der Patienten.

Ausgerechnet der behandelnde Chefarzt in Frankfurt, Professor Rudolf Weiner, bewertet den Eingriff ebenfalls zurückhaltend. "Manche Patienten denken, wir hätten hier eine Wunderpille für sie", sagt er. Dabei sei die Operation ein massiver Eingriff, der nur für Menschen in Frage käme, die in der Lage seien, danach ein diszipliniertes Leben zu führen.

Essen im Überfluss

Die OP verkleinere zwar den Magen, nicht aber die Lust am Essen. Weiner sitzt in seinem schmucklosen Büro in der Frankfurter Klinik und wirkt müde angesichts der vielen Patienten, die noch vor seiner Tür warten. Das Krankenhaus Sachsenhausen gehört zu den führenden Zentren für Adipositas-Chirurgie, mit mehr als 1000 Operationen im Jahr.

Trotzdem gibt sich der Chirurg nachdenklich: "Wir können nicht alle Menschen operieren." Das gesellschaftliche Problem lasse sich ohnehin nicht leicht lösen: "Seit 50 Jahre bewegen sich die Menschen immer weniger. Gleichzeitig gibt es Essen im Überfluss."

Ähnlich wie Alkoholiker werden auch stark Übergewichtige das Thema Essen nie mehr los, auch wenn sie nach der OP ihr Gewicht verlieren. Mit dem Mini-Magen müssen sie Nährstoffe und Vitamine als Tabletten schlucken und alles Essen gut kauen, um nicht zu erbrechen. Teilnehmer der Selbsthilfegruppe berichten von Komplikationen.

Ein Mann kollabierte, nachdem er ein Stück Fleisch gegessen hatte. Auch hat er nach der OP zwar jede Menge Gewicht verloren, nicht aber seine Depression. Bei einer Frau bildete sich ein Magengeschwür. Die Operation aber hat sie nie bereut: "Egal was für Komplikationen noch kommen, ich würde es wieder tun."

So sieht das auch Sabine Naß. In den zwei Jahren nach dem Eingriff verlor sie nicht nur fast die Hälfte ihres Körpergewichts, sie verlor auch ihr altes Ich. "Wenn du so behindert bist, sagst du zu allem ja und amen", erzählt sie. Damit war Schluss. Naß war nicht mehr freundlich und gemütlich, wie es dicke Menschen häufig automatisch sind, sie wurde "hummelig".

Sie fing wieder an, als Kindergärtnerin zu arbeiten, ging bis spät in die Nacht aus, holte ihre Jugend nach. Ihr Mann kam mit der Veränderung nicht klar. Die beiden trennten sich. Naß lernte in der Selbsthilfegruppe einen neuen Mann kennen. Der ist schwerer, als sie es je war. Ein ruhiger freundlicher Mann, der der quirligen Freundin das Reden überlässt. Noch - denn auch seine Krankenkasse hat dem Eingriff zugestimmt. Gerade erst ist er operiert worden.

© SZ vom 27.02.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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