Männer:Tim

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Dies ist eine Warnung vor Männern, die sehr groß, sehr gut aussehend und auf eine vertrackte Weise sehr bösartig sind. Sie kommen einem immer zu nahe und sagen verletzende Dinge, weil sie aus irgendeinem unerklärlichen Grund zu kurz gekommen sind.

Von Johanna Adorján

Er ist sehr groß und immer zu nah. Man fühlt sich unwohl in seiner Gegenwart, möchte mehr Abstand, als er einem lässt, ist permanent in erhöhter Fluchtbereitschaft oder wenigstens einer leichten Rückbeuge. Für den Grad der Bekanntschaft umarmt er einen bei der Begrüßung auch definitiv zu fest und zu lang, aber er ist wahnsinnig herzlich dabei, weshalb man nichts sagen oder tun kann, sondern es halt über sich ergehen lässt im Wissen, dass er schon irgendwann wieder loslassen wird, schlimmstenfalls muss er ja auch irgendwann mal was essen.

Aus irgendeinem Grund glaubt dieser Tim, wie er hier mal genannt werden soll (ich kenne mehrere solche Fälle, keiner von ihnen heißt Tim, aber sie sind wirklich alle auffallend groß und tragen, bestimmt unbedeutendes Randdetail, im Sommer in der Stadt wahnsinnig gerne Flipflops), im Leben zu kurz gekommen zu sein. Irgendwas ist da irgendwann entschieden schiefgelaufen, schätzungsweise in der Kindheit, weshalb er trotz blendenden Aussehens (vergaß ich bisher zu erwähnen: Alle Tims sehen sehr gut aus) ein missgünstiger, selbstgerechter, unnetter Erwachsener geworden ist, der allen und jeder sagenhaft passiv-aggressiv entgegentritt. Das heißt, so passiv ist seine Aggressivität eigentlich gar nicht, sie ist eher link. Man könnte ihn fies nennen, aber bei ihm kommt zur Fiesheit dazu, dass er selbst all die kleinen Spitzen und Beleidigungen, die er permanent austeilt, für raffiniert versteckt hält. Oder sein Gegenüber für extrem blöd. Wahrscheinlich beides.

Groß, gut aussehend und aktiv-aggressiv. Gibt es leider öfter, kennen Sie bestimmt

Seine Boshaftigkeit ist in Geschenkpapier eingeschlagen und so freundlich überreicht, dass man mitunter wirklich erst im Nachhinein merkt, dass die eigentliche Botschaft eine Beleidigung war, sein Ziel, einen herabzusetzen, auf keinen Fall ungestraft davonkommen und womöglich noch so etwas wie einen guten Tag haben zu lassen. Nennen wir es hinterfotzig.

Ein typisches Beispiel. Tim weiß, dass man Bücher schreibt. Tim hat jetzt auch ein Buch geschrieben. Es ist sogar ziemlich erfolgreich. Tim, gleich nach der zu langen Begrüßung: "Du, Wahnsinn, ich hatte ja keine Ahnung, wie leicht Buchschreiben ist."

Anderes Tim-Beispiel. Man redet nett, hat kurz vergessen, dass er ein Tim ist, weshalb man ihm ganz offen (Fehler!) erzählt, dass man gerade wirklich glücklich ist, richtig glücklich, was man ja normalerweise viel zu selten bemerke, während es so sei. Darauf Tim: "Echt? Das geht mir eigentlich immer so. Ich bin immer total glücklich und weiß es."

Anderer Tim: "Schön dich zu sehen, du siehst irgendwie anders aus, viel besser als letztes Mal."

Oder: "Es gibt ja viele, die mit deiner Art nicht klarkommen, aber da verteidige ich dich immer vehement."

Es gibt heutzutage auf der Welt nicht mehr viele Sicherheiten, weshalb wir uns an allem festhalten müssen, was wirklich unumstößlich und für alle Zeiten gültig ist. Dies: Niemals wird man von einem Tim weggehen und sich gut fühlen. Niemals wird eine Begegnung mit ihm nett oder auch nur okay gewesen sein, höchstens für ihn. Die Gehässigkeiten, die er austeilt, entfalten ihre Wirkung oft erst mit Verzögerung. Deshalb: weghören, wenn er redet; gehen, wenn er kommt. Mehr kann man nicht machen. Aber weniger muss nicht sein.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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