Männer:Monsieur

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Es geht um einen Mann, der für den Tennisplatz, auf dem er unterrichtet, zu gut gekleidet ist. Und wenn ihn schwierige Bälle zum Schwitzen bringen, sagt er: Quel grand talent!

Von Johanna Adorján

Am 28. Januar 1986 explodierte die Raumfähre Challenger. Millionen Menschen sahen live in ihren Fernsehern, wie sie sich Sekunden nach ihrem Start brutal in einen Feuerball verwandelte und dann in eine Wolke mit zwei Armen. In meiner Erinnerung gehöre ich dazu, obwohl ich bezweifle, dass es so gewesen ist, weil wir, meine Geschwister und ich, nur donnerstags fernsehen durften, und der 28. Januar 1986 ein Dienstag war. Wahrscheinlicher ist, dass ich es erst in den Nachrichten gesehen habe. Sieben Astronauten starben. Es war ein Schock.

Im Sommer dieses Jahres fuhren wir, wie jedes Jahr, nach Korsika. Seit Boris Becker Wimbledon gewonnen hatte, was im Jahr zuvor gewesen war, wollten wir unbedingt Tennisunterricht. Mein Vater hatte uns allen drei Schläger gekauft. Meiner war leichter als die meiner Brüder, und ganz weiß. Ich fand schon das Geräusch aufregend, das es machte, wenn ich nur mit der Handinnenseite gegen die Saiten schlug. Es klang gleich nach Tennis. Ich weiß noch, dass ich zu unserer ersten Stunde türkisfarbene Baumwollshorts trug, die mir unser Vater mal aus Japan mitgebracht hatte, dazu das ärmellose, türkis-weiß gestreifte Shirt, das mit den Shorts zusammen in einem Baumwollbeutelchen verpackt gewesen war, der sich als Rucksack benutzen ließ. Der Stoff aller drei Sachen fühlte sich kühl wie Seide an und hatte nie Falten.

Ein braungebrannter Tennislehrer mit Goldkette. Ein Space Shuttle. Ein Ball

Unser Tennislehrer hieß Monsieur Pierquin. Er war sehr braun, klein, hatte einen spitzen, grauen Bart und trug Goldkettchen. Dafür, dass er auf einem in die Jahre gekommenen Sandplatz unterrichtete, dessen Netz genau so müde durchhing wie sein Bauch, war er übertrieben perfekt gekleidet, weiße Shorts und Polohemd, hochgezogene Socken, Schweißbänder.

Mein Bruder Gabriel konnte sofort alles. Sogar Bälle so anschneiden, dass Monsieur Pierquin ganz schön laufen musste, um sie zu erreichen. Monsieur Pierquin war entzückt: Quel grand talent. Für uns war es keine Überraschung. Mein Bruder Gabriel kann alles mit Bällen. Immer schon. Aber er spielt eben auch sehr gut Geige. Irgendwann klingelte eine Delegation des FC Bayern bei uns, die meine Eltern überreden wollte, Gabriel die Geige zugunsten des Fußballs aufgeben zu lassen. Die Geige gewann.

Mein anderer Bruder David spielte ebenfalls sofort sehr gut. Bei ihm sieht alles immer elegant aus, ein Talent, das sich durch alle Lebenslagen zieht und heute unter anderem seinen Kindern zugutekommt, die er elegant badet, elegant bekocht. Er spielt auch sehr elegant Cello.

Ich spielte sofort sehr schlecht. Es war augenblicklich klar, dass Monsieur Pierquin an mir keinen Spaß hatte. Das verbarg er auch nicht. Ich war der Problemfall. Halt das Mädchen, la fille. Bei mir musste er ewig laufen, um Bälle aufzusammeln, die ich verschlagen hatte, wozu er übrigens nicht lässig den Fuß benutzte, wie meine Brüder, sondern faul den Schläger. Einmal schlug ich einen Ball so hoch, dass wir ihm alle lange nachsahen, ohne erahnen zu können, wo in etwa er wieder auf der Erde aufschlagen würde. Monsieur Pierquin fuhr mit dem Finger seine Flugbahn nach und sagte: Challenger. Alle lachten. Ich nicht. Ich glaube bis heute, dass dies der alleinige Grund dafür ist, dass ich letztlich kein Tennisprofi geworden bin.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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