Männer:Jürgen

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(Foto: N/A)

Wieso gibt es immer noch Männer, die nicht verstehen, dass es absolut in Ordnung ist, sich von einer jüngeren Frau auch mal begründet kritisieren zu lassen? Sind sie noch bei Trost? Oder ist es ein Problem in einem kleinen Teil Frankfurts?

Von Johanna Adorján

Zur Erinnerung an den Filmkritiker Michael Althen, der 2011 im Alter von nur 48 Jahren an Krebs starb, verleiht die FAZ alljährlich den Michael-Althen-Preis, der unter all den vielen Journalistenpreisen, die es gibt, ein besonders schöner ist, weil die Jury aus Nicht-journalisten besteht und ein Text prämiert wird, eine Rezension, aus der möglichst viel Leben spricht, nicht nur Analyse und Theorie.

Dieses Jahr ging der Preis an Antje Stahl von der NZZ für einen Artikel über die bestimmt lieb gemeinte, aber grundsätzlich sehr schlechte Idee, aus Gründen der Gleichberechtigung Frauenghettos zu schaffen. Der Text handelte von einer Ausstellung mit Werken ausschließlich weiblicher Architekten, ich würde an dieser Stelle gerne jede Anthologie, in der nur Frauen schreiben, hinzunehmen, das aber nur nebenbei.

Antje Stahl hatte Anfang des Jahres einen anderen Artikel in der NZZ geschrieben, in dem es um Kunstfreiheit ging, genauer: um die Vehemenz, mit denen sich deren vermeintliche Verteidiger zu Wort meldeten, damals gab es eine Diskussion um Balthus-Gemälde oder dieses Gedicht mit dem Titel "Avenidas", das an einer Hauswand stand und, wir erinnern uns alle, manchen sexistisch vorkam, weil Frauen darin verklärend zu Objekten gemacht würden. Der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube fühlte sich durch die Proteste an "Formeln wie ,entartete Kunst'" erinnert, und dieser Vergleich ging Antje Stahl dann doch etwas zu weit, wie sie in ihrem Artikel ausführte, in dem irgendwo stand, es traue sich niemand mehr zu fragen, ob die Wortführer, gemeint war auch Jürgen Kaube, eigentlich "noch ganz bei Trost" seien.

Das saß.

Jürgen Kaube war durch diese flapsige Formulierung, die einem "Tim und Struppi"-Band entnommen sein könnte, offenbar so gekränkt, dass er es sich nun nicht nehmen ließ, bei der Verleihung des Michael-Althen-Preises das Wort zu ergreifen, ohne dass dazu irgendeine Notwendigkeit bestand. Und nicht etwa, um der Preisträgerin zu gratulieren, sondern: um sie zurechtzuweisen. Hatte das freche Mädchen (1981 geboren) doch gewagt, ihn, einen Herausgeber, öffentlich zu kritisieren, launig infrage zu stellen, ob er, Jürgen Kaube, noch bei Trost sei, und das, meine Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser und alle, denen Sie diese Nachricht überbringen können, das glaubt Jürgen Kaube nämlich schon.

Er sprach dann am immerhin gut unterhaltenen Publikum ("mal was anderes", "war was los") völlig vorbei, das den Artikel, um den es ihm ging, nicht kannte, und der ja auch gar nichts mit dem Abend zu tun hatte, an die Preisträgerin gerichtet, der er nun seine Meinung zu Kunst, Kritik, l'art pour l'art etc. darlegte. Dass sie sich um diesen Preis beworben habe, den Preis eines von ihr kritisierten Feuilletons, nannte er: "außergewöhnlich".

Im Internet ist seine Rede in Gänze zu finden, mitnotiert vom Schriftsteller Joachim Bessing, der bei der Veranstaltung anwesend war. Ist echt vollkommen irre. Offenbar ist in einem sehr eng abgesteckten Teil Frankfurts überhaupt noch nicht angekommen, dass man sich als Mann heute, sogar wenn man es auf einen ansehnlichen Posten gebracht hat, auch mal begründet kritisieren lassen können muss, selbst von einer jüngeren Frau.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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