Männer:Grayson

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(Foto: N/A)

Manchmal behält man einen Mann im Gedächtnis, weil er einmal einen wirklich klugen Satz gesagt hat. Mag dieser Satz auch sehr unmodern sein.

Von Johanna Adorján

Man muss Trost nehmen, woher man ihn kriegen kann, warum nicht aus der legendären Arte-Reihe "Durch die Nacht mit", in der jeweils zwei Prominente aus Kunst und Kultur einen Abend miteinander verbringen. Da gab es 2004 eine Folge, in der der Schauspieler Udo Kier mit dem englischen Künstler Grayson Perry durch London zog. Perry hatte damals gerade den Turner Prize bekommen. Er ist in Deutschland immer noch nicht besonders bekannt, hat noch nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag. Aber darum geht es jetzt gar nicht, sondern um einen Satz, den Perry in dieser Sendung sagte und an den ich seither oft denke, weil er so klug ist und so wahnsinnig unmodern: Glück, sagte Grayson Perry, der in der Öffentlichkeit oft Frauenkleider trägt und den man sich in dieser Szene möglicherweise, so genau erinnere ich mich nicht, geschminkt und mit Damenperücke vorstellen kann, aber dennoch erkennbar als Mann, Glück sei: Immer das richtige Gefühl zur richtigen Zeit.

Ist das nicht schön? Denn es bedeutet, dass man nicht ständig fröhlich sein muss, sondern auch mal traurig sein kann, ohne dass das gleich therapiert gehört. Dass dunklere Gefühle eben auch zu einem glücklichen Menschen gehören und ständig gut drauf sein zu sollen wider die Natur ist.

Perry beschreibt seine Kindheit in Interviews als schwierig. Sein Vater verließ die Familie, als Perry vier Jahre alt war, der Stiefvater war aggressiv. Durch Perrys Werke, die alle möglichen Techniken umfassen, darunter Keramik und Stickerei, geistert ein Teddybär, Referenz an den geliebten Teddybären seiner Kindheit, mit dessen Hilfe ihm gelang, nicht für alle Zeiten ein negatives Männerbild zu entwickeln: Er projizierte einfach alle guten Eigenschaften, die ein Mann haben könnte, auf diesen Bären, eine Art Vaterersatz, den er Alan Measles nannte, nach seinem besten Freund, Alan, und weil er gerade die Masern, measles, hatte. In Paris kann man den originalen Alan Measles auf einem schweren Motorrad sitzen sehen, das Perry so niedlich, bunt und verspielt dekoriert und bemalt hat, dass seine Version unmöglich noch als männliches Statussymbol durchgeht. Es sei denn, man erweitert die eigene Definition von Männlichkeit.

"Männer, setzt euch hin für Eure Rechte!", steht in der Ausstellung im Museum Monnaie de Paris auf einer Wand: "Das Recht, verletzlich zu sein. Das Recht, schwach zu sein. Das Recht, sich zu irren. Das Recht, intuitiv zu sein. Das Recht, etwas nicht zu wissen. Das Recht, unsicher zu sein. Das Recht, flexibel zu sein. Das Recht, sich für all diese Dinge nicht zu schämen."

Der 58-jährige britische Künstler Grayson Perry zieht sich manchmal Frauenkleider an, weil ihm das Spaß macht. Er ist mit einer Therapeutin verheiratet, die beiden haben eine 26-jährige Tochter. Nein, es wirke sich nicht auf ihr Leben aus, dass ihr Vater Transvestit sei, sagte die mal. Klar, er falle auf, aber das täten auch Menschen, die ein riesiges Mal auf der Nase haben - er sei einfach nur netter anzusehen. Der einzige Unterschied, der ihr dann doch einfällt: "Bei uns zu Hause gab es ein größeres Sortiment an Glitzerschminke fürs Gesicht als bei den meisten anderen."

Gute Familie, gute Tochter, guter Mann.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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