Lob der Realität:Von Preisen und Menschen

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PeterLicht ist Autor und Musiker und schreibt an dieser Stelle jede Woche die Kolumne "Lob der Realität". Darin erklärt der Künstler die Welt. Er lebt und arbeitet auf dem Boden der Tatsachen. (Foto: Christian Knieps)

Da bekommt Bob Dylan den Literaturnobelpreis. Gut, aber was haben Künstler eigentlich mit Preisen zu schaffen?

Von Peter Licht

Der exquisiteste Moment, den man als Mensch haben kann, ist der Moment, in dem einem der König von Schweden den Nobelpreis in die Hand legt. Ahhh, das ist ein Moment! Jetzt ist es geschafft! Das Menschengrößte des Menschengroßen ist erreicht. Größer geht nicht. Ahh, nein. Natürlich nicht. Das Grundprinzip der Welt heißt: Einer geht noch. Einen kann man IMMER NOCH draufsetzen. Und wirklich: Jetzt ist ein NOCH EXQUISITERER Moment hinzugekommen, und der geht so: zu Hause in der Unterhose am Küchentisch sitzen und eine Tasse Tee trinken, WÄHREND einem der König von Schweden den Nobelpreis verleiht. So oder so ähnlich muss man sich die "anderweitigen Verpflichtungen" vorstellen, die Bob Dylan daran hindern, seiner Nobelpreisträgerwerdung beizuwohnen. Vielleicht geht er auch nur früh ins Bett. Oder bringt den Müll runter oder schneidet Fußnägel. Vielleicht trinkt er statt Tee ein Glas abgestandenes Wasser. Tausende Kilometer entfernt vom schwedischen König. Oder nimmt ein Sitzbad in der Spüle. Oder legt sich auf den Kühlschrank, sodass Arme und Beine seitlich herabhängen wie bei einem erlegten Gnu, das sich ein Buschmann in der Kalahari-Wüste über die Schultern hängt. Einen solcherart ALLEREXQUISITESTEN Künstler- und Menschenmoment hat Bob Dylan uns allen geschenkt, und ich mag ihn dafür noch umso mehr, als ich ihn ohnehin schon mochte. Oh wie recht er hat! Wer ist der König von Schweden? Wer ist das Nobelpreiskomitee? Wie um Himmels willen kommen PREISENTSCHEIDUNGEN zustande? Warum erhält der eine Künstler oder Wissenschaftler oder sonstige Mensch einen Preis und der andere nicht? Warum muss auch noch die Kunst, die Literatur, die Musik, die Wissenschaft, der Frieden eingepreist werden?

Ja, natürlich loben wir Künstler, Musiker, Autoren, Wissenschaftler und sonstige Menschen jeden Preis, den man uns verleiht. Wir freuen uns aufrichtig und sind dankbar über die Ehre, die Bedeutungsaufladung und das Preisgeld. Aber mal ehrlich. Es ist die Verwertungslogik von Rennpferden und Aktienkursen. In der Literatur kann es keinen Gewinner geben. Nicht in der Wissenschaft, nicht in der Kunst, nicht im Frieden. Es macht keinen Sinn, dass irgendwer auf einem Siegertreppchen steht. Warum braucht es einen Gewinner? Was ist das für eine Wahrnehmungsneurose, was ist das für ein Wettrennen, bei dem irgendeine Jury entscheidet, wer DER BESTE sei. Der GEWINNER ist in der Welt des Sports schon so unangenehm, aber o.k., wohl unvermeidbar. Es gibt viele Bob Dylans, viele Elfriede Jelineks, viele Wissenschaftler, deren Namen ich nicht kenne. Es gibt keine Besten. Das Werk der einen findet seinen Widerhall in der Zeit, in der sie leben, das andere nicht. Dafür kann der Werkende nichts. Es ist ein Geschenk des Zeitgeistes. Alle geben ihr Bestes. Alle geben sie ihre Version von einer Welt. Das eine Beste findet seine Fans. Das andere Beste nicht. Keiner hat sich seinen Widerhall verdient. Der Hall sucht sich die Leute. Es kreist ein Suchscheinwerfer im Blumenkohlfeld. Die einen Kohlköpfe erscheinen im Licht. Die anderen nicht. Mal ehrlich: Um wie viel heroischer/preiswürdiger ist es, eine Leben als nicht beachteter Künstler oder Wissenschaftler oder sonstiger Mensch zu führen und WEITERZUMACHEN. Der Preis für den Besten ist die falsche Kategorie. Es ist ein Preisspiel, bei dem es systemisch gesehen nicht um den Gepriesenen geht, sondern um den König, der den Preis verleiht. Selbst wenn der König das gar nicht will. Die Preisträger sind austauschbar. Immer ist irgendwer dran. Und jeder, der den Preis bekam, hätte ihn auch mit genau so viel Begründung NICHT bekommen können. Es geht um die Macht der Verleihung. Es ist ein Gesellschaftsspiel. Aber das Schöne an einem Spiel ist, dass jeder Mitspieler entscheiden darf, OB er mitspielt, und letztendlich auch WIE das Spiel gespielt wird.

Das alles erzählt uns der Mann, der in seiner Unterhose an unbekannter Stelle an einem Küchentisch sitzt. Und nur einer, der schon alles hat und dem es wirklich egal sein kann, erzählt diese Geschichte überzeugend. Mit seinem geschlurchten, höflich halben Interesse schenkt uns eine weise Krähe in Unterhosen einen erhabenen Moment menschlicher Souveränität. Danke, Bob.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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