Lob der Realität:Reden über Schaum

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Was genau passiert, wenn aus dem Schaum in der Cappuccino-Tasse plötzlich James Dean spricht, war bislang nur ausgewählten Minderheiten bekannt. Aber wenn es geschieht, heißt es bereit sein für einen Dialog, der schaumgeboren ist.

Von Peter Licht

Heute erschien mir James Dean in einer Kaffeetasse. Ich saß im Café Kamps und glaubte es nicht. Aber so war es. Ich trank meinen Cappuccino. Als ich fertig war, wischte ich mir mit der Hand über den Mund und sah den eingetrockneten James Dean im Boden meiner Tasse. Ein Porträt aus Kaffee, Zucker und Schaum. Sogar als Schaumgesicht noch ausdrucksstark. O.k., alles vielleicht nicht weiter erwähnenswert, o.k., mag sein, aber mich verwunderte es trotzdem. Bislang waren mir eher Schnee- oder Sumpflandschaften erschienen oder geografische Formen. Jetzt das. Vielleicht war es auch Shakin' Stevens oder Mario Götze, ganz sicher kann man sich nie sein, wenn man den Dingen auf den Grund schaut. Helmut Kohl war es nicht, die Frau vom Donald Trump auch nicht. Da war ich mir sicher. Es war nicht Klaus Barbie oder Adolf Eichmann, nicht Uli Hoeneß. Das kann ich sagen. Oder Erich Mielke.

Nein, es war James Dean. Der war mir auch am liebsten. Der Schaumkragen war hochgeschlagen, und die Haare ragten steil in die Höhe. Ich muss sagen, ein schöner Mann. Ich beugte mich vor und betrachtete ihn. Da hob ich den Löffel. Ich wollte in der Tasse stochern, vielleicht um mir noch den letzten Rest Schaum zu angeln. Ahhh, Schaum übertrete die Pforte meiner Lippen! Ich weiß nicht mehr so genau, was ich wollte und wo ich unterwegs war in meinem blasenhaften Zustand. Das Schaumige am langen Ende eines Cappuccino-Vorgangs oder IRGENDEINES kommunikativen Vorganges ist ja immer das Schönste. Wenn man nicht mehr so genau weiß, was man will. Oder wie es weitergeht. Mmhh. Aber o.k., der Schaum war eingetrocknet, was sollte ich mit trockenem Schaum? Ich war mir nicht sicher, was das alles sollte und hatte den Verdacht, dass sich Sicherheit auch nicht einstellen würde. Ich hob den Löffel und wollte zu stochern beginnen. Da hörte ich jemanden "Hey Peter!" rufen.

"Was?"

"Hey Peter!"

"JA! Was?"

Es war James Dean. Er sprach aus dem Inneren der Tasse.

"Hey Peter!"

"Ja was? Wie bitte?"

"FUCK YOU!"

"Häh!"

"Peter, lass den Löffel aus der Tasse!"

"Was?"

"Du sollst deinen fuck Löffel draußen lassen du FUCKER!"

"Ich soll was? Das ist meine Tasse!"

"Halt die Patscherchen still! Lass den Löffel los!"

Ah okay, dachte ich, du sitzt im Café Kamps, du hast deine Nase in einer erkalteten Cappuccinotasse hängen und du redest mit James Dean über Schaum und Schaumlöffel.

"HEY PETER, DU FUCKER!"

"Was?" Ich hielt den Löffel im Trapez aus Daumen, Zeige- und Mittelfinger.

"VERDAMMTER HURENSOHN, LASS DEN LÖFFEL LOS!! ICH PISS DIR IN DEN KAFFEE!"

Ich muss sagen, ich konnte die Feststellung nicht verhindern, dass mir die Stimme von James Dean unangenehm vorkam. So schön es war, James Dean in der eigenen Tasse zu wissen, James verfügte über eine nicht zu ihren Gunsten übergriffige Stimme. Außerdem hatte ich den Kaffee ja schon ausgetrunken, wie sollte man da noch hineinurinieren können?

"Ja was ist denn los, Herr Dean!?"

"Fucker!"

"Was wollen Sie von mir! Erklären Sie sich! Und proleten Sie hier nicht so rum!"

"Ah okay du Fucker, du willst reden?! Okay, dann reden wir! Also, du hängst über einer Tasse mit getrocknetem Schaum und redest über Schaum?"

"Bitte, wie meinen?"

"Du bist dir nicht zu schade über Schaum zu reden! ÜBER SCHÄUME! IN SOLCHEN ZEITEN?! HAST DU MAL DIE NACHRICHTEN GEHÖRT? WEISST DU, WAS DA DRAUSSEN LOS IST?! DU FUCKER!!!

"Herr Dean, ich sitze hier. Ich trinke ein Tässchen, und ungefragt schmuggeln Sie sich in meine Tasse."

"Und damit verbringst du dein Leben? Du Schwanz! FUCK YOU!"

Okay. Ich hatte genug. Ich trug die schimpfende Tasse zum Geschirrablagegestell, das fahrbar neben dem Mülleimer stand, und stellte sie auf ein blassorangenes Tablett.

"Fahr zur Hölle, du Hurensohn", murmelte ich.

So endete mein Besuch im Café Kamps, und ich möchte noch berichten, dass ich mir im Anschluss in einem preiswerten und leider etwas fußkalten Stehimbiss eine Gulaschsuppe bestellte, die in einem weißen Keramikteller serviert wurde.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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