Life Ball in Wien:Ja zur Party

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Feiern mit Sharon Stone: Beim Life Ball zeigen die einen verkrampfte Toleranz - und die anderen viel nackte Haut.

Michael Frank

Was für eine Lust, einer schönen Frau das Hinterteil abzulecken! Ganz so ordinär hat es Moderator Christian Clerici dann doch nicht gesagt, aber er hat es so gemeint, und das Publikum hat die Zote mit der angemessenen Verachtung gestraft. Es ging um die Rückseite der Sonderbriefmarke mit dem Konterfei des Models Nadja Auermann, die man in Österreich anlässlich des 15. Life Balls in Wien herausgebracht hat. Der missglückte Witz war präzise Parabel für dieses gigantische Fest offizieller Peinlichkeiten, von einem witzigen Publikum mit Humor und Phantasie gefeiert.

Jüngst erst erläuterte ein Wiener Stadtführer das Rathaus an der Ringstraße so: "Hier findet alle Jahr die größte Ätz-Gala der Welt statt, mit Elton John und anderen Politikern." Er meinte zwar Aids-Gala, ob das mit dem "ätzen" Absicht oder dem Singsang des Wiener Slangs geschuldet war, wer weiß. Denn obwohl sich Initiator Gery Keszler zu Recht rühmt, "den größten Aids-Hilfe-Event der Welt" auf die Beine gestellt zu haben, sind sich viele Bürger der noch immer recht machomäßig gewirkten Hauptstadt keineswegs sicher, ob das nur positiv zu sehen wäre.

Denn der in Österreich tobende Streit um gleichgeschlechtliche Partnerschaften gründet tief in profunden Vorurteilen. Selbst wenn die Veranstalter und Hollywoodstar Sharon Stone versichern, Aids sei eine Weltgefahr jenseits der sexuellen Orientierung; wenn man eine ugandische Organisation ehrt, die junge Leute zur Aufklärung unter Altersgenossen ausbildet; wenn man noch so neutral das "Ja zum Leben" beschwört - der Life Ball in Wien bleibt letztlich eine Homosexuellen-Fete. Unbelehrbare lassen folglich nicht von dem Irrtum, Aids sei nur ein neigungsbedingtes Randgruppenproblem.

Beängstigender Unernst

In der Wedding Chapel - Säle und Galerien des Wiener Rathauses mit ihren Kreuzgewölben verströmen die Weihestimmung von Kathedralen - werden an dem langen Abend serienweise gleichgeschlechtliche "Ehen" geschlossen. Mit kicherndem Publikum und beängstigendem Unernst, wo es doch eigentlich um ein respektables Anliegen ginge. Sogar Modemacher Richie Rich ließ sich nach Mitternacht mit seinem Partner Joe Korniewicz trauen. Rich und Traver Rains, vereint in dem exzentrischen New Yorker Duo Heatherette, hatten zuvor mit einer quicken Fashion Show dem offiziellen Teil des famos schrillen Festes einen Rest an Originalität gerettet. Die kuriosen, oft an antikischen Monumentalinszenierungen orientierten Klamotten hielten sich streng ans Motto des heiß diskutierten Klimawandels: Textilien möglichst vermeiden.

Auf dem Catwalk mischte sich Prominenz unter die Models. Der Kleinwitzbold Dirk Bach etwa trug seinen bloßen Wanst zur Schau. Das war etwa so lustig wie die hölzerne Co-Moderatorin Barbara Schöneberger, deren Maulfertigkeit diesmal gerade für zwei müde Witze auf die Ehe des einstigen Beau-Finanzministers Karl-Heinz Grasser mit der Swarovski-Erbin Fiona reichte. Da kam die neue christsoziale Wiener Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky als Model schon sehr viel besser an: Sie, die in Sachen Familienrecht einen zähen Kampf mit den Klerikalkonservativen in ihrer eigenen Partei führt, war bei der Aids-Charity recht am Platz, und die Feiernden dankten es ihr.

Der sozialdemokratische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sagte klugerweise nichts. Denn sogar dem Hausherrn, Wiens Bürgermeister Michael Häupl, und seinem Vorgänger Helmut Zilk, der vor 15 Jahren den ersten Life Ball ins Rathaus lud, war anzuhören, wie schwer es selbst Sympathisanten noch heute fällt, dem Ereignis unverkrampft zu huldigen.

Nacht der prachtvollen Ärsche

Die sonstigen Stars der wuchernden Wiener Charity-Auftritte, insbesondere die furchtbaren Schönheiten mit den glattgezurrten Gesichtern und den aufgeschäumten Lippen, deren Berufsbezeichnung gewöhnlich mit "Charity-Lady" angegeben wird, hatten diesmal kein Forum. Denn das Publikum feierte sich fröhlich selbst. Und auch wer nackte Gesäße nicht für die korrekteste Ballbekleidung hält, erkannte in dieser Nacht der prachtvollen Ärsche, dass es hier um gänzlich unverstellte, ehrliche Physiognomien geht. Obszönes blieb krasse Ausnahme.

Rapunzel und Medusen, schwarze Raben und androgyne Engel, Feen und Bösewichter - hier waren originelle Roben, märchenhafte Allegorien und Phantasien zu sehen. Etwa 40.000 Menschen und Masken sollen beim Mummenschanz auf dem Platz zwischen Rathaus und Burgtheater gewesen sein. Drinnen quetschten sich gut 4000 durch die wummernden Gotik-Discos. Doch die Stadt wacht getreulich. Allerorten diskrete Schildchen: "Jeder Ballgast und Mitwirkende hat die Möglichkeit, am Tombola-Stand kostenlos Ohropax als Gehörschutz zu bekommen."

© SZ vom 29. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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